Die Überschriften transportierten die Jubelstimmung: „Wie Österreich das Asylwunder schafft“, titelte vor wenigen Wochen die Springer-Zeitung Welt. Die ÖVP-geführte Regierung schaffe es, die Asylzahlen drastisch zu senken, um ganze 29 Prozent seien die Antragszahlen im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Und das, wo doch überall sonst die Asylzahlen stark ansteigen würden. Für die angeschlagenen Konservativen von Kanzler Karl Nehammer ist das Medien-Echo aus Deutschland eine hochwillkommene Gelegenheit, sich als erfolgreiche Hardliner in der Migrationspolitik zu präsentieren – und dabei im selben Zug auch gleich das Lieblingsthema der extrem rechten FPÖ, die aktuell in Umfragen führt, zu besetzen.
Da kostet es ÖVP-Innenminister Gerhard Karner auch nichts, zuzugeben, was er in den vergangenen Jahren gerne verschwieg, wenn es darum ging, die hohen Asylantragszahlen in Österreich zu beklagen: Dass rund die Hälfte der Asylverfahren wieder eingestellt wird, weil die Antragssteller Österreich verlassen haben. Im ersten Halbjahr 2023 ist in Österreich die Anzahl der Einstellungen sogar höher als die der originären Neuanträge. Den relativen Rückgang der Anträge feiert Karner als seinen Erfolg: Strenge Grenzkontrollen, Kampf gegen die Schlepper und raschere Asylverfahren seien der Grund. Die ÖVP betont unablässig, man müsse Österreich als Zielland für Migranten und Flüchtlinge unattraktiver machen: Sozialleistungen sollen gesenkt werden und Zugewanderte sollen künftig in Österreich fünf Jahre warten müssen, bis sie Sozialhilfe beantragen können, sagte etwa ÖVP-Integrationsministerin Susanne Raab am Donnerstag.
Migranten können in Österreich höhere Sozialleistungen beziehen
Tatsächlich ist die Sache wohl komplizierter. Obwohl Migranten in Österreich tatsächlich höhere Sozialleistungen beziehen können als in Deutschland, ziehen laut Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich die Migranten – vor allem Afghanen und Syrer – genau dorthin weiter. Auch Frankreich ist ein beliebtes Zielland. „Wir sehen, dass Deutschland und Frankreich einfach eine bessere Perspektive bieten, was die Chancen auf den Aufbau eines erfolgreichen Erwerbslebens angeht“, sagt der Experte. Sozialleistungen seien also erwiesenermaßen nicht der Haupt-Anreiz. Deutschland als Wirtschaftsmacht ziehe eben Zuwanderer an, man erwarte sich, dort am Arbeitsmarkt rasch unterzukommen. Vor allem Syrer und Afghanen wüssten, dass sie in Österreich mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Aufenthaltstitel bekommen und dann auch Anspruch auf Sozialleistungen hätten, sagt Gahleitner-Gertz: „Und sie ziehen trotzdem weiter.“
Wenig hält der Experte auch von der angeblichen Effektivität der Grenzkontrollen. Diese würden niemanden abschrecken und könnten nicht verhindern, dass Flüchtlinge und Migranten an der Grenze einen Antrag stellen. Rund 4000 Afghanen haben im ersten Halbjahr in Österreich um Asyl angesucht, 4800 Verfahren von Afghanen wurden eingestellt - es gab also mehr Einstellungen als neue Verfahren. Ebenso wie Innenminister Karner betont auch die Asylkoordination, dass die Verlagerung der Migrationsrouten – einen besonders hohen Anstieg an Ankünften verzeichnete in den vergangenen Monaten Italien – ein wichtiger Grund sei, wieso die Anträge in Österreich zurückgegangen seien. Im Vorjahr waren viele Menschen über die Balkanroute nach Österreich gelangt.
Arbeitskräfte werden auch im Niedriglohnsektor gesucht
In Deutschland wie auch in Österreich ist der Bedarf an Arbeitskräften enorm – „und das nicht nur im hoch qualifizierten Sektor, wie Ministerin Raab gerne betont, sondern inzwischen auch in den niedrigqualifizierten Bereichen“, sagt Gahleitner-Gertz. Zur Attraktivität Deutschlands käme aber sehr wohl hinzu, dass in Österreich beispielsweise nach wie vor eine schlechte Unterbringungssituation für Asylwerber herrsche. Das habe sich bei Afghanen herumgesprochen. Ebenso habe die Ankündigung von Kanzler Nehammer bei der Machtübernahme der Taliban, Österreich werde weiter nach Afghanistan abschieben, seine Wirkung unter Afghanen nicht verfehlt. Umgesetzt wird die Drohung allerdings aktuell nicht.