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Wien
Sebastian Kurz oder der Geist, der nicht verschwinden will
Die Gerüchte um eine Rückkehr von Österreichs gescheitertem Ex-Kanzler reißen nicht ab. Doch das "System Kurz" wirkt insgeheim ohnehin weiter.
Sebastian Kurz bestreitet alle Vorwürfe. Foto: Lisa Leutner/AP/dpa       -  Sebastian Kurz gibt sich selbstbewusst - trotz der zu erwartenden Mega-Prozesse gegen ihn.
Foto: Lisa Leutner, AP/dpa | Sebastian Kurz gibt sich selbstbewusst - trotz der zu erwartenden Mega-Prozesse gegen ihn.
Werner Reisinger
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:57 Uhr

Es gibt Spitzenpolitiker, denen sieht man keinen Tag nach ihrem Ausscheiden aus ihren Ämtern, nach ihrem Rückzug aus dem anstrengenden Job mehr an, dass sie überhaupt in der Politik waren. Matthias Strolz, ehemaliger Chef der österreichischen Liberalen, der Neos, ist so einer. Strolz trat nach seinem Rückzug von der Parteispitze eine Karriere als Musiker an, in einem Anzug sieht man den ehemaligen Top-Politiker nicht mehr und auch seinem Habitus nach lässt nichts mehr auf seine ehemalige Karriere schließen. Und dann gibt es Politiker wie Sebastian Kurz. 

Als dieser vor einem Monat, Mitte Oktober, zum ersten Mal nach dem Auffliegen der massiven ÖVP-Korruptionsaffäre vor dem Wiener Straflandesgericht erschien – da war alles ganz so wie früher. Strahlendes Lächeln, perfekt frisiert, blauer Anzug, so trat Kurz zuerst vor die Traube aus Kameraleuten und Journalistinnen, bevor er auf der Anklagebank Platz nahm. Kurz und zwei seiner Mitstreiter wird mögliche Falschaussage vor dem Parlament vorgeworfen. Es ist erst der Auftakt zum gerichtlichen Nachspiel seiner Kanzlerschaft, und dennoch nur ein Nebenschauplatz. Im Hauptstrang der Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) – es geht um mutmaßliche Inseraten-Korruption mit den österreichischen Boulevardmedien Krone und Österreich – ist noch länger nicht mit einer Anklageerhebung zu rechnen. 

Sebastian Kurz weiß um die Bühne, die ihm der Gerichtssaal bietet

In seinem fast schon schauspielerisch zum Besten gegebenen Auftritt vor und im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts unterscheidet den gefallenen konservativen Ex-Kanzler nichts von seiner Rolle, die er einst als vermeintliche Paradefigur für die europaweit unter Druck geratenen konservativen Volksparteien zu geben wusste. Vor dem Richter hält Kurz ausschweifende und geschliffene Reden – der Vorsitzende unterbricht ihn dabei nicht. Die Staatsanwaltschaft würde bewusst jede seiner damaligen Aussagen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss gegen ihn auslegen, der Prozess sei politisch motiviert – ein Zusammenspiel zwischen Oppositionsparteien und der WKStA, die Kurz in der Vergangenheit vor Journalisten als von "roten Netzwerken" durchzogen darstellte. Angst habe er damals gehabt, als er vor dem U-Ausschuss stand, sagt Kurz, Angst, in eine strafrechtliche Verfolgung "hineingezogen" zu werden. Die Fragen des Staatsanwalts beantwortet der 37-jährige Ex-Kanzler lieber nicht. Er weiß um die Bühne, die ihm der Gerichtssaal bietet. Und genau um die geht es Kurz – damals wie heute. 

Ein Erneuerer, ein unglaubliches politisches Talent. Spätestens als Kurz im Juni 2011 mit nur 25 Jahren zum Integrationsstaatssekretär im ÖVP-geführten Innenministerium ernannt wurde, begannen sich die Medien in der Alpenrepublik in ihren Lobeshymnen zu überschlagen. Was Kurz zuvor politisch und beruflich geleistet hatte, schien nicht relevant – jung, redegewandt und pragmatisch, das traf den Nerv der Zeit und ließ das Parteiestablishment im wahrsten Wortsinne alt aussehen. Seine Netzwerke formte Kurz in den Jahren davor in der konservativen Jugendorganisation, der Jungen ÖVP, die er übernommen hatte. Dort sammelte er all jene Vertrauten um sich, die ihn teils bis heute begleiten – der Kern der späteren türkisen ÖVP. Und tatsächlich gab Kurz als Integrationsstaatssekretär einen durchaus innovativen Kurs vor, der auch Skeptikern Respekt abverlangte. Kurz besuchte Brennpunktschulen und sprach mit den migrantischen Communities, "Integration durch Leistung" war die Losung. Schon zwei Jahre später, die nächste Station: 2013 ist der im Wiener Bezirk Meidling geborene, gescheiterte Jus-Student der jüngste Außenminister Österreichs. 

"Kurz kann jetzt Geld scheissen", schrieb sein Kumpel per SMS

In den folgenden Jahren und im Verborgenen entwickelten er und seine Getreuen das, was später als "Projekt Ballhausplatz" bekannt werden und schließlich auf den Schreibtischen der Ermittelnden und in den Postfächern der Journalisten landen sollte – einen Plan zur Übernahme der Macht zuerst in der eigenen Partei, und dann im Kanzleramt. Im Zentrum davon: Mutmaßlich gekaufte Umfragen, die seine eigene Partei unter dem damaligen Chef Reinhold Mitterlehner im steilen Sinkflug darstellten, und ihn, Kurz, als die naheliegende Lösung. Gleichzeitig bemühte sich Kurz damals um Sponsoren aus der Industrie, für seine Wahlkampagne braucht er Mittel, rund 13 Millionen Euro sollten es schließlich werden. "Kurz kann jetzt Geld scheissen", war eine der SMS-Nachrichten, die später in den Datenbanken seines ehemaligen Mitkämpfers Thomas Schmid – damals an zentraler Stelle im ÖVP-geführten Finanzministerium – gefunden wurden. 

Der Plan ging auf: Handstreichartig entfernten Kurz und seine später türkise Truppe Mitterlehner von der Parteispitze, übernahmen das Zepter in der ÖVP – und standen nach den Wahlen 2017 am Zenit ihres Aufstiegs. Kurz wurde Kanzler und holte die extrem rechte FPÖ in die Regierung. Der Tenor in den meisten deutschen Medien: Endlich sei da einer, der er schaffe, die konservativen Standpunkte – allen voran zur Migrationspolitik – so zu formulieren, dass es nicht nach den Rechtspopulisten klinge. Dass Kurz ebendiesen sämtliche sicherheitsrelevanten Ministerien überließ – als Innenminister zerschlug der heutige FPÖ-Chef Herbert Kickl den Verfassungsschutz – stieß auf weniger Beachtung in der internationalen Öffentlichkeit. "So einen brauchen wir auch!", titelte stattdessen in Deutschland die Bild-Zeitung.

Sebastian Kurz: Grenzverschiebungen und Tabubrüche

Die ÖVP unter Kanzler Kurz erlebte einen Höhenflug, die Mischung aus messianischem Sendungsbewusstsein gemischt mit rechtspopulistischen Elementen galt bald vielen Konservativen in ganz Europa, vor allem aber in Deutschland, als Vorbild. Ein neuer Wind und eine Rückkehr zu konservativen Werten, das schien – nach Jahren der Ära von Angela Merkels Kurs in Richtung Mitte – die Antwort auch für viele Deutsche rechts von ebendieser Mitte. Der Rest ist Geschichte: Im Juni 2019, nach kaum zwei Jahren Kanzlerschaft, leitete die Ibiza-Affäre das Ende von Kurz' Karriere ein. Am Ende standen die Korruptionsermittler vor dem Bundeskanzleramt. Eine Aufarbeitung der Welle an Begeisterung und der journalistischen Vorschusslorbeeren, die Kurz den Weg an die Spitze der Republik mit ermöglichten, bleib aus. Warnungen, wonach der rechtspopulistische Kurs, auf den Kurz die österreichischen Konservativen geführt hatte, den programmatischen Kern der Konservativen nachhaltig beschädigen würde, wurden in Deutschland ebenso kaum gehört wie die unverhohlenen Versuche der türkisen Truppe, Medien und Justiz zu gängeln. Die Geschichte der Regierungszeit von Sebastian Kurz – sie ist auch eine Geschichte von Grenzverschiebungen und Tabubrüchen. Und längst hat der Anti-Migrationskurs, mit dem Kurz ins Wiener Kanzleramt gelangte, auch im deutschen Diskurs Einzug gehalten – nicht nur in der CDU unter Friedrich Merz. 

Dieser Tage steht die ÖVP, nun geführt von Kanzler Karl Nehammer, in den Umfragen abgeschlagen auf dem dritten Platz, noch hinter den Sozialdemokraten. Das Potenzial, das Kurz mit seiner türkisen "Bewegung" zu mobilisieren vermochte, ist längst zu Kickls FPÖ gewandert. Die extreme Rechte führt seit Monaten stabil in der Wählergunst und von der einstigen Geschlossenheit unter Kurz ist in der ÖVP nichts mehr übrig. Spricht man mit ÖVP-Insidern, herrscht in der Partei Planlosigkeit: Die einen wollen ein Comeback des einstigen Messias und seines politischen Kurses. Die anderen wollen zwar "Kurzismus", aber besser ohne Kurz, eine Rückkehr des Ex-Kanzlers sei aufgrund der Korruptionsaffären und der zu erwartenden Monster-Prozesse in den kommenden Jahren unmöglich. Die dritte und kleinste Gruppe in der ÖVP will zurück zum Status quo vor dem oft so bezeichneten "Wunderwuzzi" und zu den christlich-sozialen Wurzeln der Partei – und abrechnen mit dem "System Kurz". 

Dabei wirken die von Kurz geschaffenen Netzwerke und Strukturen auch jetzt noch weiter. Gerald Fleischmann, Kurz' engster Vertrauter und nun ebenfalls Beschuldigter in den Korruptionsermittlungen, fungiert wieder als oberster Kommunikationschef. In den ÖVP-geführten Ministerien gab und gibt es nach wie vor Postenbesetzungen im Sinne von Kurz' Netzwerken – und der ehemalige Parteichef selbst nutzt jede sich bietende Möglichkeit, der Partei öffentlich aufzuzählen, wie es seiner Meinung nach zu laufen habe. Vor einer rot-weiß-roten Fahne, ganz so, als hielte er die Zügel noch immer in der Hand, ließ sich Kurz im August vom ungarischen Premier Viktor Orban bei dessen Leichtathletik-WM empfangen – ein rein privater Besuch, der auch nicht mit der Regierung in Wien abgestimmt worden sei, betonte ein Sprecher von Kurz. Wochen zuvor besuchte er ein Treffen von Orbans "Corvinus-Kollegium", das neurechte und rechtsextreme Ideologen, auch aus den USA, zusammenführte. Das alles habe freilich nichts mit etwaigen Comeback-Plänen zu tun, beteuert man aufseiten von Kurz. 

Sebastian Kurz' jetziger Chef Thiel würde die Demokratie gern ersetzen

Zu derartigen ideologischen Verbindungen passt auch der Mann, für den Kurz nun unter der Bezeichnung "Global Strategist" tätig ist: der deutschstämmige US-Milliardär Peter Thiel. Die Demokratie würde Thiel gerne durch eine Art Oligarchie von Superreichen ersetzen, er steht in Verbindung mit Vertretern der sogenannten "neoreaktionären Bewegung" in den USA, zuletzt machte er mit der Ankündigung, sich nach dem Tode einfrieren zu lassen, Schlagzeilen. Kurz arbeitet nun auch als Firmengründer – seine Büros hat der Ex-Kanzler an bester Adresse in der Wiener Innenstadt, und dort längst eine Reihe von ebenfalls privatwirtschaftlich tätigen Ex-Getreuen versammelt. 

Alles wartet nun auf den Ausgang des Falschaussage-Prozesses, vor allem aber auf die Einvernahme von Thomas Schmid, dessen Abertausende Handy-Chats schließlich die Korruptionsaffäre in Rollen gebracht und das – vorläufige – Ende von Kurz' Politikkarriere herbeigeführt hatten. Diesen Freitag geht der Prozess weiter, am 11. Dezember soll Schmid in Wien vor den Richter treten. Ein Urteil für ihn könnte es noch dieses Jahr geben. Erst dann wird klar werden, was an den Comeback-Gerüchten wirklich dran ist – und wofür sich Kurz' Partei entscheidet. Im Falle eines Freispruchs rechnen jedenfalls zahlreiche Beobachter mit einem ernsthaften Versuch von Kurz, auf die politische Bühne zurückzukehren. Seinen Schatten, das ist sicher, werden Österreichs Konservative aber ohnehin nicht loswerden. 

 
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