Es ist eine seltsam anmutende Szene, als am vergangenen Samstag um Punkt halb vier nachmittags, viel früher als erwartet, das Ergebnis der Kampfabstimmung um die SPÖ-Spitze vorliegt: Im „Design Center“ in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz, am Sonderparteitag der SPÖ, scharen sich dutzende von Kameras um Hans Peter Doskozil, den burgenländischen Landeshauptmann, jetzt der neue Mann an der Spitze von Österreichs Sozialdemokraten. Seine Anhänger unter den 603 stimmberechtigten Delegierten jubeln und umringen ihren „Dosko“, wie der ehemalige Polizist genannt wird. Vor allem links von der Bühne aber gibt es vielfach Tränen, erstarrte Minen, betroffene Gesichter, vor allem Frauen sind tief enttäuscht. Manche von ihnen stehen auf und verlassen den Saal, als Doskozil auf die Bühne tritt, um seine Siegesrede zu halten: Mit nur 37 Stimmen Unterschied (316 zu 279) hat der Burgenländer seinen Kontrahenten, den linken Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler, geschlagen. Die Entscheidung im monatelangen Kampf um die SPÖ-Spitze ist endlich gefallen und von Erleichterung oder gar einem Aufbruch in eine „neue Zeit“, wie sie den ganzen Tag über vielfach beschworen wurde, kann keine Rede sein.
Hans Peter Doskozil ist am Ziel, hat seinen „Lebenstraum“, den Parteivorsitz, erreicht. Für die Anhänger Andreas Bablers, dessen flammende Rede zuvor nur vermeintlich die Stimmung im Saal zu seinen Gunsten gedreht hatte, ist hingegen ein Traum vorbei: Von einer neuen, selbstbewussten und deutlich nach links gerichteten SPÖ, von einem neuen Momentum, das Mitglieder und Stimmen von Politikverdrossenen und Frustrierten bringen könnte, von neuer Kampfkraft. Unter diesem Vorsitz, das denken in den Minuten von Doskozils Triumph viele in der Halle, ist die Chance dahin – auf „eine Sozialdemokratie, die sich vor nichts und niemandem fürchtet“, wie Babler sie beschworen hatte.
Gegner von Hans Peter Doskozil sagen, er habe sich den Parteivorsitz freigemobbt
Dem Babler-Lager, den Parteilinken wie auch den Anhängern der scheidenden Parteichefin Pamela Rendi-Wagner gilt Doskozil als Usurpator. Als einer, der mit seinen jahrelangen öffentlichen Unter- und Angriffen gegen die Parteivorsitzende mit ehernen Gesetzen der Partei gebrochen hatte. Als einer, der sich den Weg an die Parteispitze mit unfairen Methoden gleichsam freigemobbt hat– Babler hingegen hatte sich stets zur Fairness bekannt.
Das alles soll jetzt Vergangenheit sein, Doskozil und seine Anhänger sprechen von Versöhnung und davon, dass es nun keine Lager mehr, sondern „nur mehr eine SPÖ“ gebe. Eine Koalition mit der extrem rechten FPÖ schließt Doskozil in seiner Dankesrede aus – auch das ein Signal an das Babler-Lager. Dass der Burgenländer ebenso die aktuelle Kanzlerpartei ÖVP als Koalitionspartner ausschließt, nehmen ihm viele Delegierte nicht wirklich ab. Aber auf den neuen SPÖ-Chef warten ohnehin ganz andere Aufgaben.
Die verfeindeten Lager müssen zusammengeführt werden
Die verfeindeten Lager in der Partei wieder zusammenzuführen, ist nun eine Mammutaufgabe für Doskozil– ob sie ihm gelingt, ist fraglich. Die Wunden, die Doskozil auf seinem Weg in den Chefsessel geschlagen hat, sind tief, riesengroß ist das Misstrauen. Erwartet wird, dass Doskozil zwar Partei-Schlüsselstellen mit loyalen Anhängern besetzt, Babler selbst wie auch dessen Unterstützern aber ein personelles Angebot unterbreitet. Abzuwarten bleibt, ob Doskozil inhaltliche Positionen und Forderungen Bablers in seine Linie übernimmt. Dazu ist der neue Parteichef gezwungen, will er ein Ausrinnen der beträchtlich angewachsenen linken Basis in der SPÖ verhindern: Der Polizist an der SPÖ-Spitze droht die Parteijugend zu verlieren.
Durch Doskozils Sieg in Linz steht in Österreich erstmals seit Jahrzehnten die Tür für ein linkes Wahlprojekt im Bund sperrangelweit offen. Die Kommunisten scharren nach ihren Erfolgen in Graz und zuletzt in Salzburg schon in den Startlöchern. Gelingt Doskozil keine Integration des linken Lagers, werden ihm bei den spätestens 2024 anstehenden Nationalratswahlen entscheidende Stimmen fehlen. Dazu kommt das Mobilisierungsproblem, wenn die Aussöhnung mit der Wiener Landespartei nicht gelingt. Die SPÖ ist in Wahlen traditionell nur dann erfolgreich, wenn vom Spitzenpolitiker bis zum kleinen Funktionär die gesamte Partei in den Wahlkampf zieht.
Doskozils Ziel: Stimmen von der FPÖ zurückholen
Das erklärte Ziel Doskozils ist es, FPÖ-Stimmen zurückzuholen, erreichen will er das mit einer „faireren Migrationspolitik“. Genau dieses „rechts Blinken“ aber lehnt der linke Parteiflügel ab – ein Dilemma für Doskozil, das sich schon jetzt abzeichnet.
Bleibt das Problem der angeschlagenen Stimme des neuen SPÖ-Chefs: Nach mehreren Operationen klingt Doskozil seit Monaten heiser, ein klares Handicap im Wahlkampf. Die Stimme aber werde ihm erhalten bleiben, das versicherte Doskozil den Delegierten in Linz.