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Nahost
Die Tunnel der Hamas in Gaza: Eine Stadt unter der Stadt
Es ist Kommandozentrale, Versteck und Waffenlager zugleich: Das weitverzweigte Röhrensystem könnte für die israelische Armee die vielleicht größte Herausforderung sein.
Tunnelsystem der Hamas im Gazastreifen an der Grenze zu Israel. Foto: Israeli Defense Forces       -  Versteck, Waffenlager, Kommandozentrale: das Tunnelsystem der Hamas im Gazastreifen.
Foto: Israeli Defense Forces, dpa | Versteck, Waffenlager, Kommandozentrale: das Tunnelsystem der Hamas im Gazastreifen.
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:12 Uhr

Die Fans der Action-Serie „Fauda“ kennen die Unterwelten des Terrors. In einer der vier Staffeln soll eine Spezialeinheit der Armee zwei junge Israelis aus dem von der Hamas beherrschten Gazastreifen holen und nimmt für die Verfolgung der Entführten den direktesten Weg: durch einen der Tunnel, die die Hamas unter dem Grenzzaun hindurch gegraben hat, um ihrerseits ihre Kämpfer unbemerkt nach Israel einzuschleusen. Dunkel ist es in dem weit verzweigten System, eng – und beklemmend realistisch. Selten war die Fiktion der Realität näher. 

Fast alle Tunnel liegen unter bewohntem Gebiet in Gaza

Die Terrortunnel der Hamas sind für Israels Militär die vielleicht größte Herausforderung, wenn sie sich zu einem Einmarsch in Gaza entschließt. Weitverzweigt, kaum auszumachen und mit Einstiegen in Privathäusern, Moscheen oder Kliniken so angelegt, dass ein Angriff auf einen Tunnel fast zwangsläufig zivile Opfer verursacht – selbst in einer Schule der Vereinten Nationen in Gaza wurde nach einem Bericht der Jerusalem Post bereits ein Eingang gefunden. „Wir reden hier von Tausenden von Gräben, Tunneln und Höhlen“, sagt Arye Sharuz Shalicar, einer der Sprecher der israelischen Armee, im Gespräch mit unserer Redaktion. „Und fast alle unter bewohntem Gebiet.“ Die Kämpfer der Hamas können sich so bis zu 40 Meter unter der Erde schnell und unsichtbar von einem Ort zum anderen bewegen, sie können Waffen und Gerät unbemerkt verlegen und die israelische Armee so aus dem Hinterhalt angreifen. 

Die schmalen Gänge unter dem Grenzzaun nach Israel sind dabei noch das geringste Problem, seit das Militär dort begonnen hat, mit speziellen Sensoren im Boden jede Bewegung unter der Erde zu registrieren und diese Tunnel gezielt zu zerstören. In Gaza-Stadt allerdings würden die israelischen Soldaten auf ein ungleich größeres und ausgeklügelteres System stoßen, eine Stadt unter der Stadt sozusagen – mit Tunneln, von denen einige so breit und hoch sind, dass sogar kleine Lastwagen durch sie fahren können, mit unterirdischen Kommando- und Kontrollzentren, mit Lagern für Lebensmittel und Waffen und mit Raketenabschussrampen, die versteckt unter der Oberfläche liegen und so schnell in Stellung gebracht werden können. Auch die rund 200 Geiseln, die die Hamas nach Gaza entführt hat, dürften nach Einschätzung von Shalicar irgendwo im Untergrund gefangen gehalten werden. 

Hamas prahlt, das Tunnelsystem sei 500 Kilometer lang

Die Israelis nennen die Tunnel die „Metro von Gaza.“ Die Hamas selbst prahlt damit, dass ihr Röhrensystem 500 Kilometer lang sei, das wäre annähernd das Vierfache der Berliner U-Bahn. Ob diese Zahlen stimmen, weiß niemand, da Israel auch immer wieder Tunnel entdeckt und zerstört. In jedem Fall aber, sagt Armeesprecher Shalicar, seien seit der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Jahr 2007 Hunderte von Millionen an Hilfsgeldern, darunter auch Gelder aus Deutschland, in den Tunnelbau geflossen und nicht in den Bau von Schulen, Krankenhäusern oder Elektrizitätswerken. „Und Tausende von Familien haben mit dem Tunnelbau ihren Lebensunterhalt verdient.“ 

So habe nicht nur Gaza-Stadt mithilfe einer regelrechten Tunnelindustrie eine zweite, unterirdische Welt dazu bekommen, sondern nahezu der ganze, lediglich 40 Kilometer lange Gazastreifen. Das Hauptquartier der Hamas soll sich dabei unter dem Al-Shifa-Spital im Zentrum von Gaza-Stadt befinden. 

Gaza: Die ersten Tunnel wurden vor allem von Schmugglern genutzt

Die meisten Tunnel sind nach allem, was die israelische Armee weiß, eher einfach gebaut, teilweise nur knapp mannshoch, ein Teil von ihnen stammt noch aus der Zeit vor dem Beginn der Hamas-Herrschaft und wurde bis dahin vor allem von Schmugglern genutzt. Mit den Jahren allerdings hat das Hamas-Regime das System für eine dauerhafte Nutzung ausgebaut, hat Stromleitungen verlegt, stabile Betonwände eingezogen und regelrechte Vorratskammern angelegt. Und wenn die Israelis wieder einen Tunnel entdecken und zerstören, entsteht an anderer Stelle schnell ein neuer. 

Im Norden Israels, an der Grenze zum Libanon, hat die islamistische Hisbollah ebenfalls Tunnel gegraben, die von der israelischen Armee in den vergangenen Jahren aber alle gesprengt oder zugeschüttet wurden, teilweise demonstrativ vor laufenden Fernsehkameras. Ob es dort im Moment neue Versuche gibt, unterirdisch nach Israel einzudringen, darf Shalicar nicht sagen, weil die Terrormiliz nicht wissen soll, was Israel weiß. Nur so viel vielleicht: „Wir haben die Aktivitäten der Hisbollah sehr genau im Auge.“ 

Der Schauspieler Lior Raz, der in der Serie „Fauda“ mit seiner Einheit nach Gaza eindringt, war in einem früheren Leben übrigens selbst Mitglied in einer Spezialeinheit der israelischen Armee. Nach den Massakern der Hamas vom 7. Oktober hat er sich dort wieder zum Dienst gemeldet.

 
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