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Berlin
Wie Kinder und Jugendliche in Flüchtlingsunterkünften leiden
Für eine aktuelle Unicef-Studie wurden Asyl- und Schutzsuchende zwischen sechs und 17 Jahren befragt. Aus den Ergebnissen leitet das Kinderhilfswerk Forderungen an die Bundesregierung ab.
Brandenburg will Flüchtlingsunterkünfte sanieren.jpeg       -  Nicht selten ist die Situation in Flüchtlingsunterkünften für Heranwachsende besonders schwer zu ertragen. Unicef und das Deutsche Institut für Menschenrechte haben nun die Betroffenen für eine Studie zu Wort kommen lassen.
Foto: Patrick Pleul, dpa (Archivbild) | Nicht selten ist die Situation in Flüchtlingsunterkünften für Heranwachsende besonders schwer zu ertragen. Unicef und das Deutsche Institut für Menschenrechte haben nun die Betroffenen für eine Studie zu Wort kommen ...
Simon Kaminski
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:42 Uhr

Was viele von ihnen auf dem Weg nach Deutschland an Leid gesehen und erlebt haben, „reicht“ oft für mehrere Leben: Kinder und Jugendliche, herausgerissen aus ihrer Welt, unterwegs in wackeligen Booten oder zu Fuß, ausgesetzt der Willkür von Schleppern, in ständiger Angst vor Verhaftung und Abschiebung. Bis zu 40 Prozent der Asyl- und Schutzsuchenden, die in Deutschland ankommen, sind unter 18 Jahre alt. Wie ergeht es ihnen in fremder Umgebung, wer kümmert sich um sie? Werden ihre universellen, in der UN-Kinderrechtskonvention garantierten Rechte respektiert? 

Einblicke in Lebensumstände, die meist unbelichtet bleiben

Das Sinus-Institut hat für eine Analyse im Auftrag des Kinderhilfswerks Unicef und des Deutschen Instituts für Menschenrechte 50 Gespräche mit Heranwachsenden in vier großen Unterkünften für Flüchtlinge im Norden, Süden, Osten und Westen der Republik geführt. Herausgekommen ist die Studie „Das ist nicht das Leben“. Die Erhebung ist nicht repräsentativ, aber sie gestattet „Einblicke in Lebensumstände, die meist unbelichtet“ bleiben, wie die Geschäftsführerin des Sinus-Instituts, Silke Borgstedt, am Dienstag bei der Pressekonferenz zur Präsentation der Studie sagte.

Quintessenz ist, dass die Rechte von Kindern und Jugendlichen in den Unterkünften weiterhin verletzt werden. Kindgerechte Bedingungen seien dort weder strukturell verankert, noch werden sie systematisch überprüft, heißt es in der Studie. Das sei auch deswegen so problematisch, da die jungen Flüchtlinge oft Monate oder gar Jahre in den Einrichtungen zubringen würden, sprich in einer für sie „wichtigen und unwiederbringlichen“ Lebensphase ausgebremst werden. Die Ergebnisse bestätigten die regelmäßigen Studien, die Unicef seit 2014 zu diesem Thema durchführe, erklärte Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef Deutschland. 

Kinder und Jugendliche nur für möglichst kurze Zeit in Großunterkünften unterbringen

„Es gibt Handlungsbedarf. Die Bundesregierung muss Kinderrechte von Geflüchteten systematisch schützen und dafür die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen“, forderte Michael Windfuhr, stellvertretender Direktor des Instituts für Menschenrechte. Wichtig sei, dass Kinder und Jugendliche nur möglichst kurze Zeit in den für sie nicht geeigneten Großeinrichtungen untergebracht werden würden – auch wenn der Einsatz der vielen ehrenamtlichen Helfer in den Unterkünften großartig sei. 

Wo sehen die Initiatoren die drängendsten Nöte der Betroffenen? Vor allem Flüchtlinge über 13 Jahre beklagten Schulstress, Einsamkeit oder fehlende Privatsphäre. Sie wünschten sich mehr Betreuung oder zumindest Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner, denen sie ihre Nöte anvertrauen können. Sie leiden unter der oft angespannten Atmosphäre. Nicht selten sind sie von ihren Eltern getrennt, zusammen mit fremden Familien untergebracht: „Ein Ehepaar, das hier wohnt, hat sich gestritten und die Frau wurde verletzt. Jetzt sind sie aber wieder friedlich“, sagte ein 17-jähriger Junge den Interviewern. Nicht nur Unicef kritisiert seit Jahren, dass es an der eigentlich rechtlich obligatorischen psychosozialen Betreuung für die zum Teil Traumatisierten mangele.

Außerhalb der Einrichtung schlägt ihnen Misstrauen entgegen

Gleichzeitig treffen die Kinder und Jugendlichen außerhalb der Unterkünfte auf eine Welt, die ihnen zum Teil mit Misstrauen oder offen rassistisch, teils sogar mit Gewalt begegnet. „Wenn ich in der Bahn bin, haben die Leute irgendwie Angst. Ich spüre das. Ich saß auf einem Viererplatz. Die Bahn war voll, aber keiner wollte neben mir sitzen. Ich verstehe nicht, warum“, sagte ein Jugendlicher.

Gleichzeitig waren die Macher der Studie beeindruckt vom starken Willen der Mädchen und Jungen, das Beste aus der schwierigen Situation zu machen: „Bei vielen ist eine große Zuversicht spürbar. Eine Sehnsucht nach Bildung, der Wunsch, Deutsch zu lernen“, sagt Silke Borgstedt. Dieses Potenzial müsse genutzt werden.

 
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