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Tel Aviv
Das Grauen von Rafah
Erst am Wochenende kam es in Rafah zu einem Feuerdrama. Nun weitet die israelische Armee allen Warnungen zum Trotz ihre Offensive im Gazastreifen aus. Sie sieht keinen anderen Weg.
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Foto: Jehad Alshrafi, dpa | Palästinenser fliehen aus Rafah während einer israelischen Boden- und Luftoffensive.
Margit Hufnagel
 |  aktualisiert: 01.06.2024 02:51 Uhr

Die Bilder zeichnen den Horror, der hier geschehen sein muss, nur noch bruchstückhaft nach: Von den Blechhütten sind kaum mehr als verkohlte Reste übrig, Kleidung liegt auf dem Boden, einzelne Glutnester qualmen vor sich hin. Es war ein Zeltlager für Flüchtlinge, das hier vor wenigen Tagen in Flammen aufgegangen ist. Dutzende Menschen haben in Tal Al-Sultan, einem Stadtviertel von Rafah, den Tod gefunden. Die israelische Armee hatte am Sonntag Stellungen der Hamas angegriffen und zwei führende Terroristen exekutiert, doch die Aktion war weniger präzise als gehofft. Granatsplitter haben offenbar einen Treibstofftank getroffen, der fing Feuer und löste den verheerenden Brand aus. Selbst die oberste Militärstaatsanwältin Israels, Yifat Tomer-Yerushalmi, bezeichnete die Tragödie später als „sehr schwerwiegend“.

Dennoch will Premierminister Benjamin Netanjahu nicht nur an seinem Vorgehen im südlichen Gazastreifen festhalten – neuesten Informationen zufolge wird die Offensive in Rafah seit Dienstag sogar ausgedehnt. Die israelische Nachrichtenseite ynet berichtete, es seien in Tal al-Sultan israelische Panzer im Einsatz. Dort seien Bodentruppen bisher nicht gewesen. Erneut verloren Zivilisten laut der Hamas ihr Leben. 

Dabei wächst die internationale Kritik an Israel ohnehin seit Wochen. Der Internationale Gerichtshof hatte Israel am Freitag dazu verpflichtet, den Einsatz in Rafah unverzüglich zu beenden. Eine ähnlich weitrechende Einschränkung hatte es bislang nicht gegeben. Es dürften keine Lebensbedingungen geschaffen werden, „die zur vollständigen oder teilweisen Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung in Gaza führen könnten“, hieß es im Richterspruch. Allerdings bedeutet der nicht, dass Israel im Gazastreifen die Waffen vollständig niederlegen muss. Die Offensive darf fortgesetzt werden, solange sie im Einklang mit dem Völkerrecht steht. „Voraussetzung wäre, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Nahrungsmitteln und mit Medikamenten sichergestellt werden könnte“, sagte der Völkerrechts-Professor Stefan Talmin im Interview mit dem Spiegel. „Dann könnte die Offensive auch weiterlaufen. Aber in der Praxis scheint mir das nur schwer möglich zu sein.“ 

Wie reagieren die USA auf die Ausweitung der Offensive?

Mit großer Spannung wird erwartet, wie die amerikanische Regierung auf die Ausweitung der Rafah-Offensive reagiert. Präsident Joe Biden hatte Netanjahu immer wieder vor diesem Schritt gewarnt, gar von einer roten Linie gesprochen, die nicht überschritten werden dürfe. Der aktuelle Vorfall dürfte die Einschätzung des Weißen Hauses noch bestätigen, das stets davon ausgegangen war, dass im dichtbesiedelten Rafah die Gefahr zu groß sei, dass Zivilisten noch stärker als ohnehin in Gefahr geraten. Der Ort an der Südgrenze des Gazastreifens war in den vergangenen Monaten zum Zufluchtsort für Binnenflüchtlinge geworden, nachdem die israelische Armee zunächst im Norden des Streifens gegen die Hamas gekämpft hatte. Zugleich ist Rafah aber eben auch einer der letzten Zufluchtsorte der Terrororganisation Hamas selbst. Erst am Wochenende hatten deren Kämpfer von dort aus eine Rakete auf die israelische Großstadt Tel Aviv abgefeuert. Für die israelische Armee eine Bestätigung ihrer Lagebeurteilung. 

Ziel der israelischen Regierung war von Beginn an ein umfassender militärischer Sieg über die Hamas. Seit Jahren terrorisiert die Gruppe aus dem Gazastreifen heraus die israelische Bevölkerung. Sollten in Rafah einzelne Zellen den Krieg überdauern, ist die Befürchtung groß, dass von dort aus erneut Anschläge auf Israel geplant werden. Auch Hamas-Anführer Yahya Sinwar soll sich hier aufhalten. Israel vermutet in Rafah außerdem die noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln, die Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Organisationen am 7. Oktober bei ihrem brutalen Großangriff mit mehr als 1200 Toten aus Israel verschleppt haben. Netanjahu betonte nach Angaben seines Büros vom Montagabend deshalb auch: „Ich werde nicht nachgeben oder kapitulieren. Ich werde den Krieg nicht beenden, bevor wir alle unsere Ziele erreicht haben.“

Diplomatische Rückschläge für Israel

Für viele Israelis selbst ist das ein zweischneidiges Schwert. Seit Monaten gehen regelmäßig Menschen zu Demonstrationen auf die Straße, um größeren Einsatz für die Geiseln zu fordern. Ihre Befürchtung ist, dass weitere von ihnen in den Tunneln zu Tode kommen können, wenn die Armee ihren Einsatz verstärkt. 

Auch für die palästinensischen Zivilisten bedeutet die Offensive weiteres Unheil. Eskaliert der Krieg weiter, dürften die Räume für sie erneut schrumpfen. Nach Informationen des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA sind binnen drei Wochen rund eine Million Menschen wieder aus Rafah geflüchtet. 

Wie sehr die eigene Kriegsführung inzwischen zum politischen Bumerang für Israel wird, zeigte sich aktuell an einer weiteren Entscheidung: Die linke Regierung in Spanien beschloss nun auch formell, Palästina als Statt anzuerkennen. Und zwar auf Grundlage der Grenzen vor dem Sechstagekrieg von 1967. „Dies ist eine historische Entscheidung, die ein einziges Ziel hat: Den Israelis und den Palästinensern zum Frieden zu verhelfen“, sagte Ministerpräsident Pedro Sánchez. Der Staat Palästina müsse, so der sozialistische Politiker, „in erster Linie lebensfähig sein. Das Westjordanland und der Gazastreifen müssen durch einen Korridor verbunden sein, mit Ostjerusalem als Hauptstadt und vereinigt unter der rechtmäßigen Regierung der Palästinensischen Autonomiebehörde“. Auch Norwegen und Irland erkennen nun einen palästinensischen Staat an. Faktisch ändern wird dieser Schritt nichts, doch vor allem für die Hamas ist damit ein symbolischer Sieg verbunden. 

Eine Umfrage des palästinensischen Umfrageinstituts PSR in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung ergab kürzlich, dass 61 Prozent der Palästinenser aufgrund des israelischen Siedlungsbaus nicht mehr daran glauben, dass die Einrichtung eines palästinensischen Staates noch möglich ist. Eine Mehrheit setzt weiter auf den bewaffneten Kampf als bestes Mittel, um die israelische Besatzung zu beenden. (mit dpa)

 
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