In kaum einem EU-Land ist die Solidarität mit den Palästinensern im Gaza-Streifen so groß wie in Spanien. Zehntausende Menschen gingen in den letzten Tagen in Madrid und in Barcelona gegen die israelische Offensive und für eine sofortige Feuerpause auf die Straße. Auch in vielen anderen spanischen Städten wurde mit Palästina-Fahnen protestiert. Spaniens einflussreichste Zeitung „El País“ verurteilte „die nicht akzeptable kollektive Bestrafung“ der Zivilbevölkerung in Gaza.
Sogar Regierungsmitglieder schlossen sich den Protesten an und warfen Israel vor, bei den Angriffen auf die palästinensische Terror-Organisation Hamas keine Rücksicht auf ZiviIisten zu nehmen. Allen voran marschierte in Madrid Spaniens linksalternative Vize-Regierungschefin Yolanda Díaz. „Israel begeht in Gaza Kriegsverbrechen und verletzt das internationale Recht“, sagt sie. Díaz ist der Kopf der Linksallianz, die in Spanien als Juniorpartner mit den Sozialdemokraten regiert.
Die spanische Sozialministerin wirft Israel "Genozid" vor
Laut Polizei nahmen 35.000 Menschen an dem Protestzug in Madrid teil, der friedlich ablief. Es war der größte Solidaritätsmarsch für die palästinensische Zivilbevölkerung, den Spanien je gesehen hat. Vergleichbare Kundgebungen zur Unterstützung Israels fanden in Spanien bisher nicht statt. Auch Verbote von Pro-Palästina-Demonstrationen, wie sie etwa in Deutschland, Österreich oder der Schweiz verhängt wurden, gibt es in Spanien nicht.
Zuvor hatte bereits die ebenfalls linksorientierte Sozialministerin, Ione Belarra, Israels Vorgehen hart kritisiert. Sie warf dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vor, ein „Genozid“ an der palästinensischen Bevölkerung zu begehen und forderte, ihn vor dem Internationalen Strafgerichtshof anzuklagen. Den Staat Israel bezeichnete sie als „Besatzungsmacht“, die „seit Jahrzehnten“ die UN-Resolutionen hinsichtlich der palästinensischen Gebiete missachte.
Israel hält die Erklärung für gefährlich
Die israelische Botschaft in Madrid verurteilte in einem scharfen Kommuniqué die Kritik. „Diese Erklärungen sind nicht nur absolut unmoralisch, sondern gefährden auch die Sicherheit der jüdischen Gemeinden in Spanien.“ An mehreren jüdischen Einrichtungen tauchten inzwischen Schmierereien auf. Während eines Protests vor der Synagoge in der spanischen Stadt Melilla wurden sogar „Mörder“-Rufe laut und israelische Flaggen verbrannt.
Spaniens sozialdemokratischer Außenminister José Manuel Albares wies derweil die Vorwürfe Israels gegen die in Madrid mitregierende Linksallianz zurück: „In einer Demokratie wie in Spanien kann jeder politische Verantwortungsträger seine Meinung als Repräsentant einer Partei frei ausdrücken.“ Damit stellte er aber auch klar, dass der spanische Regierungschef, der Sozialdemokrat Pedro Sánchez, die harten Verbalattacken des linken Koalitionspartners nicht durchweg teilt.
Madrid fordert eine Zwei-Staaten-Lösung
Die offizielle Position Madrids hinsichtlich der terroristischen Hamas-Attacken auf Israel sei eindeutig und auf EU-Linie, sagte Außenminister Albares: „Kategorische Verurteilung; sofortige Freilassung der Geiseln; und die Anerkennung des Rechts Israels, sich in den Grenzen des Völkerrechts zu verteidigen.“ Dazu gehöre aber, dass Israel in Gaza zwischen Zivilisten und Hamas-Terroristen unterscheide. Zudem müsse man auf die „einzig gangbare Lösung“ hinarbeiten: die Anerkennung zweier nebeneinander existierenden Staaten auf der Basis der UN-Resolutionen.
Das diplomatische Scharmützel zwischen Spanien und Israel hat sich inzwischen wieder beruhigt, obwohl der Streit nicht beigelegt ist. So stellte sich Spaniens geschäftsführender Regierungschef Sánchez jüngst hinter UN-Generalsekretär António Guterres, der Israel eine Verletzung des Völkerrechts vorgeworfen hatte – Israel reagierte auf Guterres‘ Kritik empört. Doch Sánchez, der noch bis Ende des Jahres den turnusmäßigen Vorsitz des EU-Ministerrates innehat, applaudierte dem UN-Spitzenmann: „Guterres hat meine volle Unterstützung.“
Zuletzt sorgte Sánchez auf der EU-Ratssitzung in Brüssel für Irritationen, weil er in der Gipfelerklärung die Forderung nach einer Waffenruhe verankern wollte. Der Plan wurde von der Mehrheit der 27 EU-Staaten, unter anderem von Deutschland und Österreich, abgelehnt. Als Kompromiss konnte Sánchez aber durchboxen, dass sich die EU laut Gipfelresolution „für die baldige Ausrichtung einer internationalen Friedenskonferenz“ ausspricht – und diese soll vermutlich in Madrid stattfinden.