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Amman
Eine deutsche Ministerin auf heikler Mission in Israels Nachbarland Jordanien
Im Nahen Osten gilt Jordanien als Stabilitätsanker. Nun droht das Land selbst in den Strudel der Eskalation zu geraten. Der Besuch von Svenja Schulze wird zur Gratwanderung.
Nahostkonflikt - Pro-Palästina Demonstration Jordanien.jpeg       -  Tausende Menschen gehen in Jordanien, dessen Führung als pro-westlich gilt, auf die Straße, um gegen die israelische Reaktion auf die Terroranschläge der Hamas zu protestieren.
Foto: Ahmed Shaker, Zuma Press Wire/dpa | Tausende Menschen gehen in Jordanien, dessen Führung als pro-westlich gilt, auf die Straße, um gegen die israelische Reaktion auf die Terroranschläge der Hamas zu protestieren.
Bernhard Junginger
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:01 Uhr

Aufgebrachte Männer schwenken an einem heißen Mittag an einer Straßenecke in Amman ihre Fahnen. Sind es palästinensische oder jordanische? Aus den Fenstern der in halsbrecherischem Tempo vorbeirasenden Autos und Kleinbusse ist das schwer zu erkennen – beide Flaggen unterscheiden sich nur durch ein winziges Detail. Schwarz-weiß-grün mit einem roten Dreieck auf der linken Seite sind beide, auf der jordanischen prangt zusätzlich noch ein kleiner weißer Stern. In der Kolonne, die die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze zum nächsten Termin bringt, bleibt offen, ob es sich um eine der zahlreichen propalästinensischen Demonstrationen handelt, die seit Wochen in Jordanien stattfinden.

Tausende Menschen gehen in dem Königreich, dessen Führung als pro-westlich gilt, auf die Straße, um gegen die israelische Reaktion auf die Terroranschläge der militanten Palästinenserorganisation Hamas zu protestieren. Es kam schon zu Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften, aufgebrachte Demonstranten versuchten, die israelische Botschaft zu stürmen. Die Stimmung dreht sich auch gegen westliche Staaten und Unternehmen, die Israel offen unterstützen. So ist die Filiale einer US-Fastfood-Kette an einer vielbefahrenen Ausfallstraße in Amman um die Mittagszeit gähnend leer – propalästinensische Gruppen hatten zum Boykott aufgerufen. 

Jordanien gilt als Stabilitätsanker im explosiven Nahen Osten

Schulze ist unterwegs in einem Land, das im Pulverfass Nahost bisher als Stabilitätsanker gilt, nun aber selbst in den Strudel der Eskalation zu geraten droht. Würde in Israels Nachbarland die Stimmung vollends kippen, raunt ein westlicher Diplomat, wären die möglichen Folgen drastisch: Der Konflikt könnte zum Flächenbrand werden, schlimmstenfalls ganz Nahost in ein Kriegsgebiet verwandeln. Für die Entwicklungsministerin ändern sich damit die Vorzeichen ihrer Reise, die sie schon lange vor dem Hamas-Terror gegen Israel geplant hatte, komplett. Fast wäre der Besuch wegen Sicherheitsbedenken abgesagt worden, heißt es in der Bundesregierung. Dass sie doch flog, sei nicht nur ihr eigener, sondern auch der ausdrückliche Wunsch von Kanzler Olaf Scholz gewesen. So wird sie zu einer Art Sondergesandten auf einer heiklen Mission.

Als Vertreterin eines Landes, das Israels Sicherheit als Teil seiner Staatsräson begreift, soll sie klarmachen, dass der Bundesrepublik auch das Leid palästinensischer Zivilistinnen und Zivilisten nicht gleichgültig ist. Schulze punktet mit ihrer herzlichen, zugewandten Art, wenn sie zur Begrüßung eine jordanische Ministerin umarmt oder mit einem zweijährigen syrischen Flüchtlingsmädchen schäkert. Doch sie bewegt sich auf einem schmalen Grat, sorgfältig wägt sie ihre Worte, biedert sich nicht an, gerät nie auch nur in die Nähe des Eindrucks, dem Partner Israel in den Rücken zu fallen. „Der brutale Hamas-Angriff gegen Israel schadet auch in großem Maße der palästinensischen Bevölkerung. Wir sehen das große Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza und wollen es lindern“, sagt sie, als sie die nach dem Hamas-Terror eingefrorenen Hilfsgelder für das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) wieder freigibt. Eine Maßnahme, die in Deutschland nicht unumstritten ist, gab es doch Berichte, wonach die im Gazastreifen herrschenden Islamisten zumindest indirekt von deutschen Hilfsgeldern profitieren. Schulze weist das zurück, die 91 Millionen Euro, die die Bundesrepublik in diesem Jahr dem UNRWA gibt, kämen ausschließlich humanitären Zwecken zugute, das werde strengstens nachverfolgt. 

Flüchtlinge in Jordanien denken an den Aufbruch nach Europa

Bei jeder sich bietenden Gelegenheit zollt die 55-Jährige den Gastgebern Lob. Jordaniens humanitäres und politisches Engagement ist zentral für den Frieden im Nahen Osten. "Die Vermittlerrolle des Landes ist von unschätzbarem Wert – und das nicht erst heute", sagt sie etwa in einem Gemeindezentrum im großen Flüchtlingslager Zaatari, eine gute Autostunde von der Hauptstadt in einer steinigen Wüste gelegen. Rund 80.000 der insgesamt rund 1,3 Millionen syrischen Flüchtlinge, die Jordanien aufgenommen hat, leben dort in Metallcontainern. 

Doch nach gut zehn Jahren beginnen nicht nur die Behausungen zu rosten, sondern auch die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. "Viele Bewohner wollen nicht mehr länger hier bleiben, es fehlen Perspektiven, nicht wenige denken darüber nach, sich auf den gefährlichen Weg über Libyen und das Mittelmeer nach Europa zu machen", sagt Roland Schönbauer, Landessprecher der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR in Jordanien. 

Das Los der vielen Flüchtlinge im Land – neben Palästinensern und Syrern leben in Jordanien etwa zahlreiche Iraker und Jemeniten – hängt davon ab, dass genügend Mittel für ihre Versorgung bereitstehen. Anders als etwa der ölreiche Nachbar Saudi-Arabien verfügt Jordanien über kaum wertvolle Rohstoffe, das Bruttosozialprodukt beträgt umgerechnet 4000 Euro pro Kopf. Die Unterschiede im Lebensstandard zwischen einer kleinen, wohlhabenden Oberschicht, die ihren Reichtum offensiv mit westlichen Luxuslimousinen zur Schau stellt, und der armen Landbevölkerung sind extrem. So werden die Flüchtlinge von vielen Einheimischen als Bedrohung wahrgenommen. Schulze sieht die gut 400 Millionen Euro, mit denen Deutschland Jordanien pro Jahr unterstützt, deshalb auch als Fluchtursachenbekämpfung. Angesichts der aktuellen Krise hat die Bundesregierung auf ihre Hilfe für Jordanien noch einmal 41 Millionen draufgelegt – unter anderem zur Linderung des bedrohlichen Trinkwassermangels im Wüstenstaat.

Auch die üppigen Schecks aus Berlin öffnen Schulze bei ihrem Nahost-Besuch Türen von Regierungspalästen, die anderen verschlossen bleiben. Denn wichtiger als die eigentlichen Programmpunkte, zu denen auch der Besuch von Frauenprojekten und der Startschuss für eine stärkere deutsch-jordanische Kooperation in der Berufsbildung gehören, sind die diskreten Begegnungen, die im Hintergrund stattfinden. In Gesprächen mit Premierminister Bisher Al-Kawasneh und mehreren Kabinettsmitgliedern sowie einem hochrangigen Vertreter des mächtigen Königshauses, Prinz Mired Bin Ra’ad, geht es letztlich um das Verhältnis Deutschlands zur gesamten arabischen Welt. In dem spielt Jordanien für die Bundesrepublik heute mehr denn je eine wichtige Scharnierfunktion. 

Das Scharnier zur arabischen Welt knirscht immer lauter

Dass das Scharnier immer lauter knirscht, hat damit zu tun, dass Schätzungen zufolge bis zur Hälfte der rund elf Millionen Jordanier einen palästinensischen Hintergrund hat. Das Land war aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina entstanden – wie Israel, das lange erbittert bekämpft wurde. Unter anderem ging es um das Westjordanland, das Jordanien beanspruchte. Im Zuge der arabisch-israelischen Konflikte flüchteten Hunderttausende Palästinenser ins Land. Doch die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO wurde immer mächtiger, bildete eine Art Staat im Staat. Schließlich zerschlug die sich immer bedrohter fühlende Monarchie die PLO im "Schwarzen September" 1970/71 mit Gewalt. Aus weiteren arabisch-israelischen Konflikten hielt sich Jordanien weitgehend heraus, gab schließlich seine Ansprüche auf das Westjordanland auf und schloss 1994 offiziell Frieden. Für die Radikalen in den Palästinensergebieten, für die Hamas und die hinter ihr stehende Muslimbruderschaft ist die jordanische Führung seither ein rotes Tuch. 

Doch nun läuft der Konflikt im Gazastreifen praktisch in Dauerschleife über die Bildschirme der jordanischen Wohnzimmer. Programme aus der gesamten arabischen Welt senden rund um die Uhr aus dem Krisengebiet, zeigen in einer für westliche Sender kaum vorstellbaren Unmittelbarkeit schwer verletzte Menschen in Nahaufnahme, Krankenwagen mit heulenden Sirenen, die blutige Opfer in Notaufnahmen bringen, immer wieder in weißen Stoff gehüllte Leichen, umgeben von trauernden Frauen. Die israelische Perspektive kommt nicht vor, die Gründe für die Militäraktion gegen die Hamas im Gazastreifen bleiben ebenso unerwähnt wie der Umstand, dass die Terrororganisation die Bewohner des Gazastreifens als menschliche Schutzschilde missbraucht, zivile Opfer bewusst in Kauf nimmt, um den Hass auf Israel immer weiter zu steigern.

Der Druck der Straße auf König Abdullah II steigt von Tag zu Tag, die Demonstranten fordern etwa, den Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen. Auf den Monarchen, der sich als direkten Nachkommen des Propheten Mohammed sieht, blickt zudem die ganze muslimische Welt. So wählte der Anführer des Landes, das etwa in den Bereichen Energie und Wasser seit Jahren immer enger mit Israel zusammenarbeitet, ungewöhnlich scharfe Worte in Richtung Jerusalem: Das "unerbittliche Bombardement" in Gaza sei "grausam und skrupellos", stelle ein Kriegsverbrechen und einen Bruch des Völkerrechts dar. Auch seine glamouröse Frau Rania, Palästinenserin und Liebling westlicher Illustrierten, sagte: "Will man uns sagen, dass es falsch ist, eine Familie mit Schusswaffen zu töten, aber dass es in Ordnung ist, sie mit Granaten zu töten?" Wie viele ihrer Landsleute wirft sie dem Westen vor, mit zweierlei Maß zu messen, für zivile palästinensische Opfer weniger Mitgefühl zu zeigen als für Menschen aus Israel oder der Ukraine.

Es ist kompliziert in der jordanischen Politik

Das Restaurant Majdoline liegt in einem wohlhabenden Viertel von Amman, zur deutsch-jordanischen Begegnung sind Diplomaten und Vertreter der einheimischen Zivilgesellschaft gekommen. Zur Vorspeise, gefüllten Weinblättern und der allgegenwärtigen Kichererbsenpaste Hummus, werden Höflichkeiten ausgetauscht, beim Hauptgericht, gegrilltem Hühnchen und scharf gewürzten Hackfleischbällchen, werden die Gespräche offener. Erst als zum Abschluss der türkische Mokka gereicht wird, kommen die wichtigen Fragen auf den Tisch. Ein in Regierung und Königspalast bestens vernetzter Jordanier erklärt die markigen Töne der Führung mit innenpolitischen Nöten. Würden Palästinenser durch die israelische Militäraktion massenhaft aus dem Gazastreifen vertrieben, wäre nicht nur die auch von Jordanien favorisierte Zwei-Staaten-Lösung in weite Ferne gerückt. Zudem, so sagt der Insider, könnten Terroristen der Hamas und anderer radikaler Organisationen ins Land kommen und gefährlich destabilisieren.

Auch in Jordanien glauben demnach viele, dass der brutale, militärisch aber sinnlose Angriff der Hamas auf Israel nur das zynische Ziel hatte, durch die unweigerlich folgende israelische Gegenreaktion die schwindende arabische Solidarität für den palästinensischen Kampf zurückzugewinnen. In der in weiten Teilen propalästinensischen jordanischen Bevölkerung verfange dieses Kalkül durchaus. Nun gehe es darum, Signale zu setzen, die den Volkszorn dämpfen. So warf die jordanische Luftwaffe medizinische Hilfsgüter über dem Gazastreifen ab. Dass dies in enger Absprache mit der israelischen Regierung geschah, darauf verweist der Kenner der Hauptstadt-Politik diskret, spielte in der Berichterstattung der Staatsmedien keine Rolle.

Als Svenja Schulze am Ende ihrer zweitägigen Jordanien-Mission wieder in den Regierungs-Airbus steigt, wirkt sie erschöpft, aber aufgeräumt. Aus ihrem Umfeld heißt es, sie sei durchaus zufrieden mit den Ergebnissen. Die jordanischen Gesprächspartner hätten betont, dass ihnen und Deutschland letztlich dieselben Dinge wichtig seien: ein rasches Ende der Gewalt im Gazastreifen und auf längere Sicht eine Zwei-Staaten-Lösung.

 
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