Der russische Angriffskrieg gegen das Nachbarland dauert inzwischen fast 16 Monate. Sowohl der Kreml als auch die Ukraine schwören ihre Truppen auf den Sieg ein. Doch die militärische Lage gleicht einem Patt, beide Seiten stellen sich auf einen langen Kampf ein. Russland greift Kiew massiv mit Drohnen und Raketen an, die Ukraine versucht eroberte Gebiete im Osten des Landes zurückzugewinnen. "Die Gegenoffensive hat zwar begonnen, aber sie ist bislang in einer Anfangsphase", sagt Roderich Kiesewetter, Verteidigungsexperte der CDU und selbst Oberst a.D. Die ukrainische Armee verfolge die Strategie, gezielt Nadelstiche zu setzen, dazu werde weiterhin auch ausgekundschaftet, die Verteidigungslinien würden getestet und das Feld an verschiedenen Punkten vorbereitet, indem russische Kommandostationen, Munitionslager und Versorgungslinien zerstört werden. "Bislang ist nur ein kleiner Teil an Personal eingesetzt", sagt der Abgeordnete. "In dieser Phase kommt es leider zu hohen Verlusten, aber die Ukraine kommt langsam voran."
Das ukrainische Militär selbst spricht zwar von einem planmäßigen Verlauf der eigenen Gegenoffensive– räumt zugleich aber eine "schwere Lage" an der Front ein. Im Süden des Landes sei man auf "erbitterten Widerstand" der russischen Besatzer gestoßen. Doch auch der russische Präsident Wladimir Putin steht unter Druck. Und das zunehmend sogar im Inneren seines Landes. Der Chef der Wagner-Milizen, Jewgeni Prigoschin, geht auf Konfrontationskurs mit dem Kreml. Ramsan Kadyrow, der Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus, fordert eine härtere Linie. Putin kann sich folglich kein Signal der Schwäche erlauben. Das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) weist zudem in seinem regelmäßigen Lagebericht darauf hin, dass "es bei den russischen Einheiten an der Front weiterhin erhebliche Probleme mit der Moral und der Befehlsgewalt gibt und dass die Russen weiterhin Sperrkräfte einsetzen, um auf zurückweichende Soldaten zu schießen". Mit "Sperrkräften" werden spezialisierte Einheiten bezeichnet, die "damit drohen, auf ihr eigenes Personal zu schießen, um einen Rückzug zu verhindern oder es zum Angriff zu zwingen".
Roderich Kiesewetter über Gegenoffensive in der Ukraine: "Wir stehen erst am Anfang"
Für Roderich Kiesewetter ist klar: Die Gegenoffensive werde noch sehr lange andauern und es könne sein, dass es nicht die einzige bleibe. "Wir stehen erst ganz am Anfang", sagt er und verweist auf den einstigen preußischen Militärwissenschaftler Carl von Clausewitz. "Zudem liegt über dem Ganzen, wie schon Clausewitz sagte, der Nebel des Krieges. Wir müssen uns in Geduld üben und uns auf einen schwierigen Marathon einstellen!"
Ein rascher Weg zum Frieden scheint damit ausgeschlossen. "Es ist in Zukunft kein Frieden in Sicht", glaubt auch Nicole Deitelhoff vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Gemeinsam mit Forscherkollegen hat sie ein Friedensgutachten erstellt, das kürzlich präsentiert wurde. Ihre Prognose: "Wir reden nicht über Monate, sondern eher über Jahre, vermutlich sogar Jahrzehnte." Gegenwärtig seien Friedensverhandlungen keine realistische Option. Das wird auch künftig zu einer Herausforderung für die deutsche Politik. Die müsse die Ukraine, so Deitelhoff, weiter massiv unterstützen – und die Bevölkerung schon jetzt darauf einstimmen.
Die Friedensinitiative ist gescheitert
Zwar gibt es immer wieder Versuche, die Kämpfe zu beenden. Doch die sind erfolglos, wie zuletzt eine afrikanische Initiative. Moskau lasse keine Absicht erkennen, tatsächlich in einen Friedensprozess einzusteigen, sagt das ISW. Schon nach Vorstößen aus China und Brasilien hatte sich Russland grundsätzlich offen für Verhandlungen gezeigt – mehr aber nicht. Das Institut spricht von einer "falschen Bereitschaft". Es gehe Moskau vielmehr darum, den Westen zu verunsichern und die militärische Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. Zugleich wolle Russland die Kontakte nach Afrika nutzen, um die Zusammenarbeit mit dortigen Staaten auszubauen.