Die Scheinwerferkegel leuchten in das Dunkel. Dann ein blauer Laser-Strahl, der die Drohne anvisiert. Ziel erfasst. Jetzt rattern die Maschinengewehre. Brack, brack, brack, brack. Sie speien die Kugeln mit Feuerstößen aus. Das Ziel verschwindet aus dem Kegel. „Verfehlt“, sagt Josya und knirscht mit den Zähnen. Der 26-Jährige bedient das schwere Maschinengewehr, das auf einen Pick-up geschraubt ist. Es ragt aus einer Metallplatte hervor, die im Gefecht Schutz vor Splittern und Kugeln geben soll. Drei Meter entfernt steht ein betagtes Sowjet-Maschinengewehr auf einem Dreibein. Die Patronenhülsen fallen im Stakkato auf den Boden.
Heute ist nur Übung, aber sie entspricht einer Gefechtssituation. Josya ist ein ukrainischer Drohnenjäger. Mit drei weiteren Soldaten bildet er eine Einheit. Es sind nicht nur die großen Hightech-Flugabwehrsysteme wie Patriot oder der satellitengestützte Gepard-Flugabwehrpanzer, die die Shahed-Kampfdrohnen und die russischen Raketen vom Himmel holen. Im Hinterland der großen Städte wie hier, rund 175 Kilometer von Kiew entfernt, aber auch an der Front sind kleine mobile Einheiten wie die von Josya unterwegs.
Drohnen im Ukraine-Krieg: Dass Sirren ist das Geräusch des Krieges
Zwei Jahre ist es inzwischen her, dass die Armee von Wladimir Putin am 24. Februar 2022 in der Ukraine einmarschiert ist. Millionen Menschen sind vor den russischen Angriffen auf der Flucht – innerhalb des Landes und im Ausland. Mehr als 10.000 Zivilisten, darunter Hunderte Kinder, haben nach Angaben der Vereinten Nationen ihr Leben verloren. Etwa doppelt so viele Verletzte gibt es. Zu vielen lang umkämpften und inzwischen russisch besetzten Städten wie Mariupol, Lyssytschansk, Popasna und Sjewjerodonezk haben die UN keinen Zugang. Die wahre Zahl der Toten dürfte daher deutlich höher liegen. Hinzu kommen Zehntausende getötete Soldaten.
Der Krieg selbst ist gefangen irgendwo zwischen Gestern und Morgen. In den Schützengräben sterben die Soldaten wie im Ersten Weltkrieg, zugleich hat auf den Gefechtsfeldern modernste Technik Einzug gehalten. In der Ukraine gilt die Drohne als die Waffe, die den Krieg grundlegend verändert hat. Ihr Sirren ist das Geräusch des Krieges, das die Soldaten oft zermürbt. Hier einen Vorsprung zu haben, kann mitunter kriegsentscheidend sein. Durch den Einsatz der sogenannten Seedrohnen – unbemannte Boote mit großer Sprenglast – ist etwa die russische Schwarzmeerflotte sowohl von der südukrainischen Küste als auch aus der Umgebung der Halbinsel Krim verdrängt worden.
Ukraine und Russland entwickeln Störsender für Drohnen
Doch auch Russland versetzt der Ukraine mithilfe von Drohnen immer wieder schmerzhafte Schläge. Putins Armee setzt fast jede Nacht Drohnen iranischer Bauart ein, die am Ende des Fluges mit einer Sprengladung über ihrem Ziel abstürzen. Zum Einsatz kommen verschiedene Gattungen, mehr als 30 verschiedene Typen dürften im Einsatz sein: die Eigenbau-Kamikaze-Drohne, auf der Kabelbinder eine Granate halten, genauso wie Kampfdrohnen in allen Größen. Die Ukraine hat jüngst die neue Truppengattung "unbemannte Systeme" ins Leben gerufen. Die Entwicklung der tödlichen Geräte schreitet rasant voran. Shaheds gibt es inzwischen mit Düsenantrieb. Kamikaze-Drohnen mit Nachtsicht-Kamera sind ein Albtraum der Soldaten in den Gräben, denen jetzt nicht einmal mehr die Dunkelheit Schutz bieten kann. Aufklärungsdrohnen wiederum sind das Auge der Artillerie. Vor allem der Wettlauf bei der Entwicklung von Störsendern, die Drohnen des jeweiligen Feindes zum Absturz bringen, ist in vollem Gange. Ein elektronisches Katz-und-Maus-Spiel.
Josya und sein Team wirken mit ihren Maschinengewehren fast antiquiert in der digitalen Drohnen-Welt. Doch sie leisten ihren Beitrag bei der Verteidigung von Kiew und der nahen Stadt Cherkassy. Vor allem die Propeller-angetriebenen Shaheds geben für den 26-Jährigen ein Ziel ab. Diese Drohnen sind vergleichsweise langsam, sie tragen eine Sprengladung von bis zu 60 Kilogramm. Keine 200 Stundenkilometer schaffen sie. Raketen sind gut viermal so schnell. Nach dem Start ist keine Steuerung mehr möglich. 36 Shaheds will die Einheit zwischen Oktober und Dezember 2023 getroffen haben, dazu 15 Raketen. Mehr aktuelle Zahlen verrät das Bataillon nicht. „Der Feind soll sich kein Bild machen, wie effektiv die mobilen Einheiten sind“, sagt Josuas Kommandant Volodymyr in seinem Büro. An der Wand hängen Fahnen, hinter einem aufziehbaren Vorhang die Bilder der Gefallenen des Bataillons. „Wenn ich mir ihre Porträts ansehe, bin ich ihnen dankbar für das, was sie geleistet haben. Ihre Tapferkeit ist mein Ansporn“, sagt der Offizier.
Kämpfen und Sterben geht weiter in der Ukraine
Die Standorte, zu denen die Drohnenjäger ausrücken, sind vorgegeben und innerhalb von 18 Minuten nach Alarmierung für die Teams erreichbar. Ihre Position ist geheim. Wüssten die russischen Streitkräfte, wo die Maschinengewehre auf Drohnen warten, würden sie die Flugrouten entsprechend ändern. Die Angriffe erfolgen meist nachts, wenn die Drohnen für die Flugabwehr schlechter zu erkennen sind. Wichtig für die Drohnenjäger ist es, dass eine möglichst weitreichende Schussbahn gewährleistet ist. Da die Flugroute oft auch direkt über einem Flussbett verläuft, gilt auch hierauf ein Augenmerk der Drohnenjäger. In diesem Fall ist es der Dnipro, der seit der Sprengung des Kachowka-Staudamms in der Breite geschrumpft ist, dafür aber ein großes, flaches Sandmeer hinterlassen hat. Das frühere Flussbett. „Über 1,5 Kilometer ist die effektive Reichweite meines Maschinengewehrs. Andere Modelle können über zwei Kilometer erreichen“, erklärt Josya. Wie viele Einheiten in der ganzen Ukraine im Einsatz sind, ist Geheimsache. Geschickt verteilt, können sie jedoch durchaus Erfolge erzielen.
Der 26-Jährige hat an der Front gekämpft. In Bachmut hat eine Kugel einen Freund getroffen. Er starb nur drei Meter entfernt von ihm. Er selber fing sich einen Splitter bei russischem Beschuss ein. Bachmut ist ein Begriff in der ukrainischen Armee für Kämpfen und Sterben. So gesehen ist seine jetzige Aufgabe als Drohnenjäger im Hinterland sicher. Aber auch eine Herausforderung. In Charkiw tötete am 10. Februar ein russischer Drohnen-Angriff eine fünfköpfige Familie, darunter ein sechs Monate altes Baby. Im Bericht der regionalen Polizeibehörde steht in knappen Worten zu dem Neugeborenen: „Die Temperatur des Brandes war so hoch, dass Knochen und der Körper des Kindes zu Asche wurden. Wir gehen davon aus, dass die Mutter ihr Kind im Arm hielt.“
„Das macht mich so wütend. Dieser Terror gegen die Zivilbevölkerung. Deswegen müssen wir gut sein, so viel wie möglich von den Drohnen und Raketen vor den Städten abfangen. Auch wenn wir nur ein Zusatz zu Patriot und Co. sein können“, erklärt der Soldat. Denn selbst abgeschossene Flugkörper können noch Wohnblocks in Brand stecken. Feuert ein Patriot-Abwehrsystem, sind das gewaltige Explosionen, deren Knall den Kindern Angst macht. Nebenbei sind die Abwehrraketen teuer. Der Abschuss durch ein Maschinengewehr kommt da wesentlich billiger. Ein wichtiger Aspekt, seitdem die Republikaner in den USA weitere Hilfsleistungen für die Ukraine blockieren. Aber ohne eine funktionierende Flugabwehr hätte Putin sein Ziel erreicht. 2022 terrorisierten im ersten Kriegswinter dauernde Angriffe auf die Energie-Infrastruktur die Menschen in der ganzen Ukraine. Stromrationierungen waren die Folge. Dank westlicher Lieferungen von Flugabwehrsystemen scheiterte in diesem Winter Putins Plan. Doch noch immer zerstören und töten russische Drohnen und Raketen.
Luftabwehr ist entscheidend für die Ukraine
Yulia ist für jede Drohne und jede Rakete, die vor Kiew abgefangen wird, dankbar. Sie steht vor einem Wohnblock in Stadtteil Holossijiw. Ein grauer Betongigant aus Sowjetzeiten, der vor ihr aufragt. Im Kinderwagen schlummert das jüngste Kind. Der elfjährige Bruder sieht erschrocken aus, als er die Zerstörung sieht. Am Tag zuvor schlugen dort die Trümmer einer abgeschossenen Rakete ein. Jetzt blickt die 33-Jährige zu den ausgebrannten Wohnungen empor. Yulia lebt mit ihrer Familie im Nachbarblock. „Es hat einen gewaltigen Schlag getan“, sagt sie. Aufgrund des Luftalarms hatte die Familie auf dem Flur zwischen den Wohnungen Matratzen ausgelegt und dort Zuflucht gesucht. „Im Keller des Hauses steht das Wasser und bis zur Metro ist es ein guter Kilometer“, erklärt die junge Frau. Der Flur ist fensterlos. Das ist wichtig. Denn eine Druckwelle kann Glasscheiben in Tausend fliegende und messerscharfe Splitter verwandeln.
„Manchmal haben wir es zu leicht genommen und sind bei Alarm in der Wohnung geblieben. Der Flur ist kalt und zugig. Das ist schlecht für das Baby. Es gibt doch so viele Alarme. Vor allem nachts", sagt Yulia. Das Heulen der Sirenen für den Luftalarm gehört für die Ukraine zu den ständigen Begleitern des Krieges – im ganzen Land. Seit Kriegsbeginn wurde laut den Statistiken der Seite alerts.in.ua über 33.000-mal im Land Luftalarm ausgelöst. Dabei mehr als 3800-mal im Gebiet Donezk und gut 1000-mal in der Hauptstadt Kiew. In der Hauptstadt dauerten die Alarme dabei bei zwei Jahren Krieg insgesamt fast 50 Tage. "Ab jetzt gehen wir aber immer auf den Flur“, sagt die Frau.
Nicht weit vom Viertel steht auch ein Flugabwehrsystem. „Wir sind froh, dass es da ist. Aber für meinen Sohn wirkt der Lärm beim Abfeuern bedrohlich. Ich erkläre ihm, dass das gute Explosionen sind. Weil sie die eingehenden Raketen abschießen.“ Dann deutet sie auf den ausgebrannten Teil des mächtigen Sowjetblocks. In einer der Wohnungen habe eine Bekannte gewohnt. „Sie war gerade mit ihren zwei Kindern im Bad. Das hat ihnen das Leben gerettet. Sie wären sonst wohl verbrannt. Was bleibt für uns, ist Angst. Aber noch mehr als Angst empfinden wir Wut auf die, die uns das antun“, sagt sie. 77 Prozent der russischen Bevölkerung stehen hinter dem Angriffskrieg auf das Nachbarland, verkündete das als unabhängig geltende Lewada-Zentrum (Moskau) am 6. Februar 2024 nach einer Umfrage.