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Tel Aviv/Ramallah
Gaza und sein Verhältnis zur Hamas: Zwischen Zuspruch und Verdrängung
Der Krieg der Hamas gegen Israel ist blutig. Wie groß ist der Zuspruch der Palästinenser im Westjordanland für die Terrororganisation?
Ramadan in den Palästinensischen Autonomiegebieten.jpeg       -  Palästinensische Mädchen machen Fotos an der Trennmauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten.
Foto: Ilia Yefimovich, dpa | Palästinensische Mädchen machen Fotos an der Trennmauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten.
Mareike Enghusen
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:53 Uhr

Zehn Tage nach dem Terrorangriff der Hamas kursierte in den sozialen Medien ein Video, angeblich aus Ramallah im Westjordanland. Hunderte Männer skandierten darauf im Chor: „Wer eine Waffe hat, töte damit einen Juden oder gebe sie der Hamas!“ Die Quelle des Clips war unklar, ebenso seine Authentizität. Rechtsgerichteten Kommentatoren diente er dennoch als Beweis dafür, dass der mörderische Judenhass der Hamas in der palästinensischen Gesellschaft tiefe Wurzeln hat. 

Und nicht nur Rechte denken so. „Es ist eine ganze Nation da draußen, die verantwortlich ist“, sagte Israels Präsident Izchak Herzog über die Palästinenser kurz nach dem Angriff auf einer Pressekonferenz. Später relativierte er: „Natürlich gibt es viele, viele unschuldige Palästinenser, die nicht einverstanden sind“ mit dem Terror der Hamas. Aber wie viele sind es? Eine neue Erhebung scheint eine Antwort zu geben – und lässt doch Fragen offen.

65 Prozent der Palästinenser stehen hinter dem Angriff der Hamas

Das Institut AWRAD (Arab World for Research and Development), das zur palästinensischen Birzeit-Universität bei Ramallah gehört, hat kürzlich die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, die die Forscher zwischen dem 31. Oktober und dem 7. November im Westjordanland und dem Gazastreifen durchführten. 65 Prozent der Befragten unterstützen demnach den Angriff der Hamas vom 7. Oktober. Ganze 98 Prozent seien seitdem sogar „stolzer auf ihre palästinensische Identität“.

Die Birzeit-Universität gilt als beste Hochschule der palästinensischen Gebiete. Dennoch lohnt es sich, die Ergebnisse mit einer gewissen Vorsicht zu behandeln. Grundsätzlich muss bei der Auswertung von Umfragen die sogenannte soziale Erwünschtheit berücksichtigt werden, sprich: Menschen haben eine Tendenz dazu, diejenige Antwort zu geben, die sie für gesellschaftlich erwünscht halten. Für die AWRAD-Umfrage suchten die Forscher eigenen Angaben zufolge die Befragten persönlich auf, was den sozialen Druck noch verstärkt haben könnte. Einen Hinweis darauf könnte die Antwort auf eine weitere Frage der Erhebung geben: jene nach dem Ausgang des Krieges. Demnach gehen 73 Prozent davon aus, dass „Palästina gewinnt“ – und die meisten davon erwarten, dass „Gaza die israelische Invasion zurückschlägt“. Angesichts der extrem ungleich verteilten militärischen Stärke scheint es zweifelhaft, dass die Mehrheit der Palästinenser tatsächlich so denkt.

Hamas verbreitet Falschmeldungen über das Massaker vom 7. Oktober

Was den 7. Oktober betrifft, ist überdies unklar, welches Bild die Befragten von den Geschehnissen haben. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) behauptete jüngst in einer Mitteilung, nicht die Hamas, sondern Israels Armee habe das Massaker auf dem Nova-Festival im Süden des Landes angerichtet. Nach internationaler Kritik löschte die PA das Statement zwar wieder, doch mehrere palästinensische Medien griffen die Falschmeldung auf. Vertreter der Hamas selbst hatten schon zuvor in Fernsehinterviews geleugnet, Zivilisten ermordet zu haben. Und auch in persönlichen Gesprächen äußern manche Palästinenser Zweifel daran, dass die Hamas die dokumentierten Gräueltaten tatsächlich begangen hat.

Und trotzdem: „Es gibt keine Kritik in der palästinensischen Gesellschaft an den Massakern. Die Mehrheit der Palästinenser ist sehr zufrieden damit“, ist Michael Milshtein überzeugt, der an der Universität von Tel Aviv dem Forum für palästinensische Studien vorsitzt und fließend Arabisch spricht. Tatsächlich hatte die Hamas schon vor dem Überfallzwar keinen überwältigenden, aber durchaus stabilen Rückhalt, wie Umfragen des Forschungsinstituts PCPSR (Palestinian Center for Policy and Research) regelmäßig belegen. In einer PCPSR-Erhebung vom Juni, die in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah entstand, gaben 34 Prozent der Befragten im Westjordanland an, bei neuen Parlamentswahlen für die Hamas stimmen zu wollen (die Fatah von Mahmoud Abbas kam auf 31 Prozent).

Freie Wahlen wird es in Gaza nicht geben

Freie Wahlen wird es allerdings auf absehbare Zeit wohl weder im Westjordanland noch in Gaza geben – die letzten fanden vor 17 Jahren statt. Und sollte Israel sein Kriegsziel erreichen, die Hamas entmachten und ihre Anführer töten, wird die Organisation zumindest physisch in Gaza keine Rolle mehr spielen.

Ihre Ideologie jedoch, warnt Palästinenserexperte Milshtein, werde weiterleben. Der Hass auf Israel vermutlich auch. Das AWRAD-Team von der Birzeit-Universität fragte die Teilnehmer auch, ob sie Israels Taten in diesem Krieg jemals „vergessen und vergeben“ könnten. 98 Prozent antworteten mit „Nein“.

AZ-LIVE-PODCAST Folge 31 Gespräch über den Krieg in Nahost (zum Einbetten im Artikel)

 
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