
Bürokratie hat viele Gesichter: die Behörden, die Vorschriften, die Dokumentationspflichten, immer schärfere Standards, immer neue Gesetze, umständliche und lange Genehmigungsverfahren, Papierformulare statt Digitalisierung, komplizierte Regeln bis ins kleinste Detail. Hinter all dem stehen gut gemeinte Absichten, die ständig mehr Bürokratie produzieren und die Verwaltungen wachsen lassen.
Der britische Historiker C. Northcote Parkinson entwickelte 1955 eine Formel, wie sich eine Verwaltung – egal ob auf staatlicher oder unternehmerischer Seite – unabhängig ihrer Aufgabe von selbst aufbläht, wenn man sie gewähren lässt. Die Formel findet heute noch Beachtung. Trotz Digitalisierung und Produktivitätssteigerungen wuchs auch die Zahl der in der Bundesverwaltung beschäftigten Menschen in den vergangenen fünf Jahren um über sechs Prozent.
Bürokratiekosten sind seit 2021 enorm gestiegen
Das allein wäre kein Problem, wenn sich nicht die Bürokratiekosten für Wirtschaft und Gesellschaft in der gleichen Zeit durch neue Gesetze stark erhöht hätten. In Deutschland misst sie ein Gremium mit dem schönen Namen „Normenkontrollrat“. Allein die Verwaltungskosten der Wirtschaft für die Erfüllung der von der aktuellen Koalition beschlossenen neuen Bestimmungen zum Mindestlohn und dem Gebäudeenergiegesetz belasten die Unternehmen laut dem Rat mit zehn Milliarden Euro Zusatzkosten pro Jahr. Der Aufwand ist damit laut Normenkontrollrat viermal so hoch wie die Einsparungen ganzer drei „Bürokratieentlastungsgesetze“, die vorangegangene Bundesregierungen für die Wirtschaft beschlossen hatten.
Was in Zeiten jahrelangen Aufschwungs ein Ärgernis war, wird immer mehr zum ernsthaften Problem. Europas langjährige Wirtschaftslokomotive lahmt: Als einziges großes westliches Industrieland fiel Deutschland 2023 in die Rezession. Dabei leiden auch die anderen europäischen Länder unter Inflation und hohen Energiekosten. Auf dem Weg aus der Krise werden gerade bürokratische Vorschriften immer mehr zum Ballast.
Die Pläne der Ampel zum Bürokratieabbau sind mutlos
Nirgendwo ist dies derzeit stärker zu sehen als auf dem Bau: Gesetzliche Vorschriften und überbordende Baustandards machen das Bauen in Deutschland bis zu einem Drittel teurer als in den Nachbarländern. Der Anstieg der Zinsen wurde somit zum K.-o.-Schlag für viele Neubauprojekte und zur existenzbedrohenden Krise für Wohnungsbauunternehmen.
Angesichts der kriselnden Wirtschaft wäre jedoch ein Befreiungsschlag nötig. Die Ampel plant zwar einen Bürokratieabbau, doch Vorschläge wie die Verkürzung der Aufbewahrungspflichten für Rechnungsbelege von zehn auf acht Jahre, die Aufhebung des Papierzwangs für bestimmte Verträge oder die Abschaffung der Meldeformulare in Hotels erinnern eher an Globuli-Kügelchen als an eine starke Medizin gegen die Krise. Allen voran kommt die Digitalisierung wie eh und je in Deutschland durch Datenschutz als Maß aller Dinge kaum voran.
Absenkung zu hoher Standards sind das beste Antikrisenmittel
Der Blick auf die Krise am Bau zeigt, dass ein echter Bürokratieabbau nur durch den Mut zur Absenkung von Standards gelingen kann und so das billigste Antikrisenmittel wäre. Beim Bau von Windrädern und Wohnungen haben sich die Ampel und die Länder tatsächlich auf kleine Schritte in die richtige Richtung geeinigt. Doch auch hier bleibt das versprochene „Deutschlandtempo“ weit hinter den Erfordernissen zurück. Bis die Maßnahmen greifen, vergehen Jahre. Zeit, die sich Deutschland immer weniger leisten kann.