Eines der besten politischen Sachbücher überhaupt ist das gerade erschienene „Die Moskau Connection“ derFAZ-Redakteure Reinhard Bingener und Markus Wehner. Es zeigt am Beispiel von Altkanzler Gerhard Schröder, dass es für Vetternwirtschaft in der Politik nicht zwingend einen Trauschein oder andere familiäre Bande braucht. Wenn Ministerinnen, Staatssekretäre oder Kanzler Günstlinge auf gut dotierte Posten heben wollen, dann reichen ein Hinterzimmer, ein paar Zigarren und reichlich Alkohol, um (Männer-)Bündnisse fürs Leben zu schmieden. Das Schröder-Netzwerk zeigt beispielhaft, dass der Fall Habeck und die familiären Verflechtungen wichtiger Mitarbeiter des Grünen-Politikers kein Einzelfall, kein isolierter Skandal sind.
Es verblüfft gleichwohl immer wieder, mit welcher Chuzpe einige Politikerinnen und Politiker vorgehen, wenn sie bestimmte Machtpositionen erreicht haben. Die Faustregel: Sobald ein Dienstwagen mit Chauffeur vor der Tür steht, läuft die Moral Gefahr, auf der Strecke zu bleiben.
Debatte ums Wirtschaftsministerium: Vetternwirtschaft in der Politk ist keine Seltenheit
Beispiele gibt es viele. So werden vor jedem Regierungswechsel eiligst treue Gefolgsleute auf gut besoldete Posten geschoben. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wollte unbedingt Jennifer Morgan, die Co-Chefin der ihrer Partei nahestehenden Umweltschutzorganisation Greenpeace, ins Auswärtige Amt holen. Morgan konnte zunächst nicht verbeamtete Staatssekretärin werden, weil ihr die deutsche Staatsbürgerschaft fehlte. Das Problem wurde zügig beseitigt. Im Wahlkampf hatte Greenpeace die Kanzlerkandidatin Baerbock offensiv unterstützt. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) wollte den FDP-Politiker Stefan Birkner als neuen Chef der bundeseigenen Autobahn GmbH installieren. Nun blockiert der Aufsichtsrat die Personalie und fordert ein reguläres Auswahlverfahren.
Im Fall Habeck steht sein Energie-Staatssekretär Patrick Graichen im Mittelpunkt. Der saß mit am Tisch, als für die bundeseigene Deutsche Energie-Agentur (dena) ein neuer Geschäftsführer gesucht wurde. Michael Schäfer stellte sich vor und Graichen hätte spätestens jetzt reagieren müssen, denn der Bewerber war sein Trauzeuge. Tat er aber nicht. Dabei hätte der 51-Jährige sensibilisiert sein sollen, denn es gibt noch weitere denkwürdige familiäre Verflechtungen – in einigen Medien ist vom „Graichen-Clan“ die Rede.
Robert Habeck verteidigt Patrick Graichen
Graichen muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er einen guten Bekannten auf einen Posten hieven wollte. In der Hoffnung, dass es niemand mitbekommt. Vetternwirtschaft ist da ein viel zu niedliches Wort. Und Habeck? Der räumte wie sein Staatssekretär einen „Fehler“ ein, legte aber sofort nach: „Patrick Graichen ist meiner Ansicht nach der Mann, der Deutschland vor einer schweren Energiekrise bewahrt hat.“ Mit anderen Worten: Liebe Leute, stellt euch bloß nicht so kleinkariert an, solch einem Helden darf so was doch mal durchrutschen.
Aus dem politischen Raum wird Graichens Rauswurf gefordert, Habeck dürfte dem nachkommen. Der Fall ist groß geworden und kann von dem Grünen-Star mit Kanzlerambitionen nicht einfach ausgesessen werden.
Der Vorgang ist nicht die Regel, aber eben auch kein Einzelfall. Vetternwirtschaft oder auch Nepotismus gab es bereits im Mittelalter. Besserung ist leider nicht in Sicht. „Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht“ – dieser Satz von Bundespräsident Richard von Weizsäcker wird in jeder Legislaturperiode als bittere Wahrheit aufs Neue bestätigt.