Olaf Scholz ist endlich aufgewacht. Träumte er im März noch von einem neuen Wirtschaftswunder, scheint ihm jetzt klar zu sein, dass ein solches Ziel unter den schwierigen Standortbedingungen nur eines ist: eine Fata Morgana, ein Trugbild. Statt weiter Illusionen zu schüren und von der Wirklichkeit einer Wirtschaftskrise eingeholt zu werden, probiert es der Regierungschef mit einem ambitionierten Reformpaket, das auf den griffigen Namen „Deutschland-Pakt“ getauft wurde. Konsequenter wäre es gewesen, das Konzept „Agenda 2030“ zu nennen und damit an die erfolgreichen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Reformen der „Agenda 2010“ anzuknüpfen. Doch der einschneidende politische Umbau Deutschlands unter Kanzler Gerhard Schröder und seinem Wasserträger Peter Hartz ist für viele Genossen ein rotes Tuch. Ärger ist das Letzte, was Scholz nach dem Ampel-Dauerzoff nun auch in seiner eigenen Partei heraufbeschwören will.
Dabei spricht der Kanzler endlich Klartext: „Die Bürgerinnen und Bürger sind diesen Stillstand leid. Und ich bin es auch.“ Der zutreffende Befund ist eine gute Ausgangsbasis, um sich vom soften, mit ruhiger Hand die hoch konfliktfreudige Ampeltruppe moderierenden Kanzler zum knackigen Reformer zu entwickeln.
Deutschland braucht dringend einen Reformer. Warum aber nur will man den Versprechen von Scholz nicht glauben, auch wenn er den Vorsatz hat, „im Maschinenraum des Landes zu arbeiten und an Hunderten von Reglern zu drehen“? Weil ein Scholz allein nicht in der Lage ist, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, die Digitalisierung der Verwaltung voranzutreiben, den Wohnungsbau anzukurbeln, die Energiewende zu beschleunigen und die Einwanderung nach Deutschland deutlich besser zu steuern. Um Fortschritte zu vollziehen, will der Kanzler Länder und Kommunen einbeziehen.
Wir sollten Scholz die Daumen drücken
In einem föderalen Land ist das eine kluge Idee, gerade was den überfälligen Bürokratieabbau betrifft. Doch die Gefahr ist groß, dass eine Allianz für Deutschland im Dauerwahlkampf und bei allerlei Eifersüchteleien unter den Parteien, denen die AfD im Nacken sitzt, an zu wenigen Reglern dreht. Wenn NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst den Deutschland-Pakt als „reinen PR-Gag für Projekte, die ohnehin schon in der Pipeline sind“ verspottet, sagt das alles. Dennoch sollten wir unserem Chefmaschinisten Scholz die Daumen drücken, dass er im Maschinenraum Deutschland vorankommt. Denn die wirtschaftliche Lage ist ernst: Das Biest Inflation erweist sich als hartnäckig und die Konjunkturaussichten verdüstern sich. Das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ wirft auf der Titelseite, die ein am Tropf hängendes grünes Berliner Ampelmännchen ziert, die Frage auf: „Ist Deutschland wieder der kranke Mann Europas?“ Das Blatt beschreibt verlässlich treffsicher die wirtschaftliche Lage des Landes und lag auch 1999 mit seiner Diagnose, Deutschland sei der kranke Mann Europas, richtig.
Nach einer Studie des Internationalen Währungsfonds ist Deutschland unter den führenden Industrieländern derzeit das Wachstumsschlusslicht. Mit einem reinen „Update“, wie Bundesbankpräsident Joachim Nagel glaubt, lässt sich das Land nicht zu alter wirtschaftlichen Stärke zurückführen. Dafür reicht nicht mal ein Doppel-Wumms. Dazu bedarf es schon eines Zehnfach-Wummses. Wie heißt es neudeutsch so schön: Scholz muss ins Doing kommen, also endlich handeln.