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Kommentar
Das Prinzip des Förderns und Forderns gerät immer weiter aus der Balance
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Deutschland steigt. Das liegt auch an den neuen Prioritäten, die die Ampelparteien setzen. Es wird zu viel gefördert und zu wenig gefordert.
Arbeitslosigkeit in Deutschland.jpeg       -  Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im Juli erneut gestiegen.
Foto: Hauke-Christian Dittrich, dpa | Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im Juli erneut gestiegen.
Rudi Wais
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:54 Uhr

Die Situation am Arbeitsmarkt ist paradox. Händeringend sucht die Wirtschaft Metzger, Maurer oder Ingenieure – während gleichzeitig die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt. Obwohl die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter Milliarden in die Aus- und Weiterbildung von Erwerbslosen stecken, haben etwa 900.000 von ihnen seit mehr als einem Jahr keinen Job mehr. 140.000 sind sogar seit mehr als sechs Jahren arbeitslos. 

Für eine Volkswirtschaft, die im Wettbewerb der Industrieländer einen Platz nach dem anderen verliert, ist das ein fataler Befund. Arbeitslosigkeit kostet Wachstum und Wohlstand. Menschen schnell wieder in Arbeit zu bringen, ist allerdings nicht nur eine Frage der ökonomischen Vernunft, sondern auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Wer arbeitet, schafft Werte – für sich und andere. Wer dagegen nicht arbeiten will oder seinen Lebensunterhalt mit der staatlichen Stütze und gelegentlicher Schwarzarbeit bestreitet, lebt auf Kosten der Solidargemeinschaft. Erschwerend hinzu kommt, dass vor allem in Haushalten mit mehreren Kindern die Addition von Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag oft mehr bringt als die Annahme einer Stelle. 

Italien und Deutschland haben das gleiche Problem

Um Menschen wieder zu beschäftigen, muss keine Regierung so brutal vorgehen wie die italienische, die 169.000 Haushalten per SMS die Sozialhilfe gestrichen hat. Das ist so zynisch wie unnötig und wird Italiens Regierung mehr schaden als Italiens Arbeitsmarkt nutzen. Im Kern jedoch sind die Probleme, die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit der kruden Aktion bekämpft, die gleichen wie in Deutschland. In einer alternden Gesellschaft werden die Arbeitskräfte immer knapper – umso wichtiger ist es, die Menschen aus der Arbeitslosigkeit zurück in Arbeit zu bringen, notfalls auch mit sanftem Zwang, also mit Sanktionen für Unwillige und Verweigerer. 

Die Ampelparteien aber haben genau das Gegenteil getan, indem sie Hartz IV durch ihr Bürgergeld mit höheren Sätzen und einem höheren Schonvermögen ersetzt und mit dessen Einführung auch den so genannten Vermittlungsvorrang aufgehoben haben. Damit hat die Weiterbildung prinzipiell Vorrang vor der Vermittlung – mit dem Ergebnis, dass auch Stellen für einfache Helferarbeiten am Bau, in der Gastronomie oder der Pflege kaum besetzt werden können. Kein Wunder: Wer spült schon gerne spätabends in einem Restaurant Geschirr, wenn das Arbeitsamt ihm (oder ihr) doch auch eine weniger strapaziöse Umschulung zum Fitnesskaufmann oder zur Fachlageristin finanziert, und seien die Aussichten auf eine spätere Anstellung auch noch so ungewiss. 

Ein Drittel aller Arbeitslosen ist (zu) lange arbeitslos

Natürlich sollen Arbeitslose sich weiterbilden, nicht jeder aber eignet sich auch für eine solche Maßnahme, und nicht jede Maßnahme erfüllt auch ihren Zweck, Menschen nach langer Erwerbslosigkeit eine neue Perspektive zu schaffen. Hier ist mit den Jahren ein teures System aus immer neuen Kurs- und Umschulungsangeboten gewachsen, das sich selbst ernährt und dringend der Überprüfung bedarf, weil es den Praxistest erkennbar nicht besteht. Gut ein Drittel aller Arbeitslosen ist (zu) lange arbeitslos. Tendenz: steigend, weil häufig nicht nach dem Bedarf der Wirtschaft aus- und weitergebildet wird, sondern nach Gusto der Job-Center und ihrer Klienten. Auch daran scheitert das Vermitteln von Arbeit. 

So gerät das Prinzip des Förderns und Forderns, einst das Herzstück der Hartz-Reformen, immer weiter aus der Balance. Heute wird zu viel gefördert – und zu wenig gefordert.

 
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