Der Sieg von Recep Tayyip Erdogan bei der Stichwahl um das türkische Präsidentenamt krönt eine außergewöhnliche Karriere. Erdogan regiert die Türkei länger als jeder andere Politiker vor ihm, Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk eingeschlossen. Er hat sich mitten in einer teils selbstverschuldeten Wirtschaftskrise gegen eine Front von Oppositionsparteien durchgesetzt, die von Kommunisten über Kurden, Linksnationalisten bis zu Rechtspopulisten reichte. Das ist beachtlich. Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Die türkischen Wahlen waren wegen Erdogans Macht über die Behörden, die Justiz und die Medien nicht fair. Obwohl der Präsident seinen ganzen Apparat aufbot, erhielt er dennoch von fast jedem zweiten Wähler eine Abfuhr.
Erdogan nutzt die Spaltung aus, statt sie zu beheben
Die Türkei ist ein gespaltenes Land, wie das knappe Wahlergebens zeigt – und Erdogan macht sich diese Spaltung zunutze, statt die Türkei zusammenzubringen. Kurz nach seinem Wahlsieg am Sonntag betonte er zwar, alle Türken hätten gewonnen. Doch fast im selben Atemzug beschimpfte er die Oppositionsparteien als schwul, um seine konservativen Anhänger für die Kommunalwahlen im kommenden Jahr in Fahrt zu bringen. Die Türkei dürfte jetzt einen noch weiter wachsenden Druck auf Regierungsgegner erleben. Ein Verbot der Kurdenpartei HDP vor den Kommunalwahlen ist wahrscheinlich.
Mit diesen Entwicklungen erinnert die Türkei immer mehr an eine zentralasiatische Autokratie, wie der Türkei-Experte Soner Cagaptay sagt. Viele junge und gut ausgebildete Türken werden versuchen, das Land zu verlassen.
Erdogan hängt von Arabern und Russen ab
Für den Westen wird Erdogan nach der Wahl noch unberechenbarer. Der neue Sieg wird die Macht in Ankara weiter auf seine Person konzentrieren und Institutionen wie die Justiz und das Außenministerium weiter schwächen. Erdogan wird zudem noch abhängiger von Regierungen am Golf und in Russland, die ihn schon vor der Wahl unterstützten, indem sie Milliardensummen an seine Zentralbank überwiesen und ihm die Bezahlung von Energie-Importen stundeten. Wegen der Wirtschaftskrise in der Türkei braucht Erdogan künftig noch mehr Hilfe von Arabern und Russen – und diese werden Gegenleistungen dafür fordern.