Der Hinweis ist natürlich richtig, dass das Nato-Militärmanöver schon längst geplant war, als die russischen Truppen im Februar 2022 erfolglos versuchten, Kiew einzunehmen. Und doch hat die Rückkehr der donnernden Kampfjets über Deutschland sehr viel mit der aggressiven PolitikMoskaus zu tun. Die Tschetschenen, die 1994 und 1999 unter russischen Militärinterventionen gelitten haben, oder die Georgier, die 2008 von dem großen Nachbarn angegriffen wurden, wissen genau, was damit gemeint ist. Auch die baltischen Staaten und die Skandinavier, die immer wieder Provokationen der russischen Luftwaffe und Marine ausgesetzt sind, verfolgen die beispiellose Großübung als klares Signal an den Despoten Wladimir Putin mit Genugtuung.
Genau dies hatte die US-Botschafterin in Berlin, Amy Gutmann, mit Blick auf das am Montag gestartete Luftwaffen-Manöver "Air Defender 23" ganz unverblümt bestätigt. Die von Deutschland geführte größte Übung dieser Art in der Geschichte des westlichen Verteidigungsbündnisses, das am Montag gestartet wurde und auch von Nicht-Nato-Mitgliedern unterstützt wird, ist ein eindrucksvolles Statement: 25 Staaten, 250 Flugzeuge, fast 10.000 Soldaten.
In den 80er und 90er Jahren protestierten Bürgerinitiativen gegen den Fluglärm durch Kampfjets
Gleichzeitig ist die lärmende Übung der Tiefflieger, die noch in den 80er und 90er Jahren Bürgerinitiativen auf den Plan riefen, ein Eingeständnis, dass der Traum eines friedlichen Europas mit immer weniger Waffen ausgeträumt ist. Das ist tragisch, aber Realität. Putin und seine Kamarilla verstehen nur die Sprache der Stärke.
Weitere Schritte werden notwendig sein, um dem Expansionsstreben Moskaus entgegenzutreten. Verliert Kiew den Abwehrkrieg gegen die Invasoren, ist nicht nur die Existenz der Ukraine vernichtet – dann sind weitere Staaten durch Russland bedroht. Dabei geht es nicht zuletzt um frühere Sowjetrepubliken.
Putin hat nichts weniger im Sinn als eine großrussische Agenda. Deshalb ist und bleibt es notwendig, die Ukraine weiterhin mit Waffen zu versorgen, um nicht nur standhalten zu können, sondern auch, um die russische Armee und kriminelle Milizen wie Wagner zurückzudrängen. Zudem muss das Land eine klare Perspektive für einen Nato-Beitritt nach dem Krieg erhalten. Berlin sollte in diesem Punkt nicht länger als Bremser auftreten. Schon beim Nato-Gipfel in einem Monat in der litauischen Hauptstadt Vilnius könnte es ein entsprechendes Votum der Bündnispartner geben.
Dass Moskau ein solches Signal zur Weißglut bringen würde, muss in Kauf genommen werden. Putin selber betont ja, dass die Ukraine faktisch ohnehin bereits eng mit der Verteidigungsallianz verbündet sei – einen Zustand, den der Kreml-Chef mit seinem irrsinnigen und völkerrechtswidrigen Krieg höchstselbst herbeigeführt hat.
Gesprächskanäle mit Moskau offenzuhalten bleibt sinnvoll
Dass der französische Präsident Emmanuel Macron jetzt erneut angemahnt hat, die verbliebenen inoffiziellen Gesprächskanäle mit Moskau zu erhalten, widerspricht keinesfalls einer Politik der Stärke gegen Russland. Diplomatie ist dazu geeignet, gefährliche Missverständnisse zu vermeiden.
Wer sich in den nächsten Tagen vom Lärm der Kampfjets gestört fühlt oder die Verspätung seines Urlaubsfliegers in Kauf nehmen muss, sollte sich daran erinnern, dass das Manöver nötig ist, um Demokratie und Freiheit in Europa zu schützen. Das mag für manche pathetisch klingen, hat aber mit Zündelei oder Kriegstreiberei nichts zu tun. Im Gegenteil, es geht um Behauptungswillen.