
Am Ende geht es, wie immer, ums Geld. Acht von zehn Beschäftigten würden nach einer Umfrage der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am liebsten nur noch vier Tage pro Woche arbeiten. Fragt man die gleichen Beschäftigten dann, ob sie dafür auch Einbußen bei Lohn oder Gehalt in Kauf nehmen würden, antworten nur noch acht Prozent mit Ja.
So gesehen verhält die IG Metall sich nur konsequent, wenn sie in der Stahlindustrie die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich fordert – und obendrauf noch 8,5 Prozent mehr Geld. Wer wünschte sich das nicht, deutlich weniger zu arbeiten, gleichzeitig aber deutlich mehr zu verdienen? Dabei zeigt eine simple Zahl bereits, dass die Rechnung der Gewerkschaft nicht aufgehen kann. In den kommenden Jahren werden nach Berechnungen der Industrie- und Handelskammern bis zu 400.000 Menschen mehr den Arbeitsmarkt verlassen als neu auf in kommen, weil die geburtenstarken Jahrgänge der sechziger Jahre allmählich in Rente gehen, weil zu wenige Junge aus Schulen und Universitäten nachrücken und die Zuwanderung in Deutschland vor allem in die Sozialsysteme führt und nicht in den Arbeitsmarkt. Gut ausgebildete Fachkräfte sind auch in Kanada, den USA oder der Schweiz begehrt.
Mit neuen Arbeitszeitmodellen ist der Fachkräftemangel nicht gelöst
Wenn die Arbeit nicht weniger wird, das Personal gleichzeitig aber immer knapper, verbieten Arbeitszeitverkürzungen in größerem Stil sich eigentlich von selbst. Erschwerend hinzu kommt ein völlig neues Verständnis von Arbeit in der Generation der Unter-30-Jährigen, die ihr Leben anders als die Generation ihrer Eltern und Großeltern nicht irgendwie um den Beruf herum bauen will, sondern auf eine ausgewogene Balance zwischen Arbeit und Freizeit achtet – als führe eine Arbeitswoche mit 35 oder 36 Stunden automatisch in einen Burnout. Um gute Leute zu halten, müssen die Unternehmen so immer neue, noch flexiblere Arbeitszeitmodelle erfinden, was jedem Beschäftigten, der (oder die) davon profitiert, gegönnt sei. Das eigentliche Problem, das der fehlenden Arbeitskräfte, ist damit aber nicht gelöst. Im Gegenteil.
Eine Volkswirtschaft, die wettbewerbsfähig bleiben will, kann es sich nicht leisten, dass Unternehmen Aufträge ablehnen müssen, weil sie kein Personal mehr finden. Zumal eine Volkswirtschaft wie die deutsche, in der noch große Kapazitätsreserven schlummern. So beziehen im Moment knapp vier Millionen Menschen Bürgergeld, die von den Arbeitsagenturen als erwerbsfähig eingestuft, aber offenbar nicht in Arbeit vermittelt werden können oder wollen. Außerdem arbeiten in Deutschland überdurchschnittlich viele Frauen in Teilzeit, nämlich rund 50 Prozent – kein Wunder, wenn bundesweit mehr als 380.000 Kindergartenplätze und fast 100.000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen.
Produktivität schafft Spielraum für Lohnerhöhungen
Eine Gewerkschaft, die mit der Zeit geht, kämpft deshalb nicht in alttestamentarischem Eifer für immer noch kürzerer Arbeitszeiten, sondern für immer bessere Arbeitsbedingungen. Wer sich wertgeschätzt fühlt, wer sein Kind gut betreut weiß und einen Teil seiner Arbeit auch zu Hause im Homeoffice erledigen kann, ist nicht nur zufriedener, sondern auch produktiver. Und je produktiver ein Betrieb oder eine Branche arbeitet, umso größer ist in der nächsten Tarifrunde auch der Spielraum für Lohn- und Gehaltserhöhungen.
Diese vergleichsweise simple Logik ignoriert die IG Metall mit ihrer 32-Stunden-Woche komplett. Schließlich gehen auch der Stahlindustrie immer mehr Fachkräfte verloren. Jeder dritte Beschäftigte ist dort bereits älter als 55 Jahre.