Der Druck der Demonstrationen schien der AfD einen Dämpfer verpasst zu haben. Ihr seid nicht das Volk, das ihr vorgebt zu sein, war die Botschaft des Protests. Ihr seid nicht die schweigende, unterdrückte Mehrheit. In den Umfragen büßte die Partei einige Zähler ein. Doch Umfragen sind das eine, Wahlergebnisse das andere.
Den ersten harten Test hat die AfD für sich entschieden. Als einzige Partei konnte sie bei der Wiederholungswahl in Berlin absolut an Stimmen zulegen. Selbst eine Anklage wegen der Planung eines Staatsstreichs durch die Reichsbürger hält Wählerinnen und Wähler nicht davon ab, AfD zu wählen. Die wegen dieses Vorwurfs in Untersuchungshaft sitzende Ex-Abgeordnete Birgit Malsack-Winkemann konnte ihr Erststimmenergebnis im bürgerlichen Wahlkreis Steglitz-Zehlendorf immerhin um 0,2 Prozentpunkte auf 5,5 Prozent steigern. Die 59-Jährige stand erneut auf dem Wahlzettel, weil es die formalen Bestimmungen einer Wiederholung erfordert hatten.
Die Protestfunktion der AfD ist intakt
Der Fall Malsack-Winkemann ist eine Episode am Rande dieses demokratischen Fiaskos, das zur neuerlichen Abstimmung in Teilen der Hauptstadt führte. Doch die Geschichte ist aufschlussreich. Demnach ist kein Skandal zu groß, um die Unterstützer der AfD abzuschrecken. Weder U-Haft noch Treffen mit prominenten Rechtsextremisten brechen die Kraft der Partei Protest, Wut und Unzufriedenheit zu bündeln. In den Umfragen der Meinungsforscher kommt der Effekt der sozialen Erwünschtheit zum Tragen. Ein Teil der Bürger traut bei der Befragung am Telefon nicht, sich zur AfD zu bekennen. In der Abgeschirmtheit der Wahlkabine können sie hingegen für sich allein ihr Kreuzchen setzen.
Berlin zeigt: Die Ampel profitiert nicht von den Protesten gegen die AfD
Der Ausgang der Wiederholungswahl ist für die Ampelkoalition das eindeutige Zeichen, dass die Demonstrationen der vergangenen Wochen explizit keine Unterstützung für sie bedeuten. Zumindest gilt das für SPD und FDP, die im Vergleich zur Bundestagswahl von 2021 in Berlin Stimmen verloren. Den Grünen gelingt es zumindest, ihr Kernmilieu zu mobilisieren und stabil zu bleiben. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Politik der Ampelregierung ist massiv und erscheint nicht schon allein dadurch besser, dass ein Dreierbündnis aus der demokratischen Mitte das Ruder des Staates führt.
Die Chancen auf einen Stimmungswechsel stehen indes schlecht. Wenn die Wähler ihnen die Gunst entziehen, reagieren Parteien mit der Schärfung ihres eigenen Profils. Bei der schwer an der Ampelkoalition leidenden FDP heißt das Stärkung der Wirtschaft, bei der SPD Ausbau des Sozialstaates. Das Beharren auf dem eigenen weltanschaulichen Kern macht beide Parteien aber unflexibler für Kompromisse in der gemeinsamen Regierungsarbeit. Der Streit wird auf Dauer gestellt, die Koalition erzeugt den Eindruck einer zerrissenen Chaostruppe. Die AfD profitiert.