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Kommentar
Deutschland braucht ein neues Bewusstsein für das Militärische
Der Ukraine-Krieg hat vieles verändert. Über die Auswirkungen auf die Gesellschaft allerdings wird zu wenig gesprochen. Es braucht dringend eine Debatte.
Deutschland braucht ein neues Bewusstsein für das Militärische
Foto: Moritz Frankenberg, dpa
Stefan Lange
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:46 Uhr

Die jüngere Generation kennt sie nicht mehr: Die runden "Panzerschilder", die einst vor nahezu jeder Brücke standen und die "Military Load Class", die militärische Lastenklasse, angaben. Zahlen und Symbole zeigten, bis zu welchem Gewicht Militärfahrzeuge passieren konnten. Etwa 30 Jahre lang wurden sie ab 1960 aufgestellt, seit 1990 verschwanden sie aus dem Straßenbild. Die gelben Schilder stehen damit für die gesellschaftliche Debatte über Krieg und Militär in Deutschland. 

Die Erfahrung mit dem Krieg ist für alle Zeiten ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Auch die Nachkriegsgeneration weiß, was er bedeutet. Die praktischen Auswirkungen indes sind seit den deutschen Abrüstungsbemühungen und dem Abschied vom Kalten Krieg im Alltagsleben kaum noch spürbar. Die Wehrpflicht ist ausgesetzt, niemand muss sich in langen, quälenden Debatten zwischen Militär- und Zivildienst entscheiden. In den späten Abendstunden werden Anwohnerinnen und Anwohner nicht mehr von lauten Kampfjets aus dem Schlaf gerissen, einst mobilisierte der Nachtflug Bürgerinitiativen im ganzen Land. Ostermärsche sind Spaziergänge geworden, weit entfernt von der Betroffenheit früherer Jahre.

Sind Panzer wirklich Teufelszeug?

Der Ukraine-Krieg hat daran zunächst nicht viel geändert. Es wurde über die Lieferung schwerer Waffen diskutiert – mit Blick auf die Ukraine, aber nicht aufs eigene Land. Das war angesichts des Schocks über den Einmarsch der Russen folgerichtig. Mit zunehmender Kriegsdauer, mit der Verfestigung der Unsicherheit über das weitere Vorgehen Wladimir Putins, ist eine Ausweitung der Debatte jedoch dringend erforderlich. 

Sind Panzer wirklich Teufelszeug? Im ersten Augenblick schon, schließlich ist ein Leopard 2 eine ausgefeilte Tötungsmaschine. Aber im Ernstfall ist es dann doch ein beruhigendes Gefühl, einen Kampfpanzer zu haben. Ein Skalpell mag auch keiner, das ändert sich, wenn es bei der OP Leben retten hilft. Misslich dann bloß, wenn der Panzer an die Ukraine abgegeben wird und die eigenen Stellungen geschwächt sind.

Die Politik hat es versäumt, die Debatte auf die große Bühne zu heben

Die Debatte über die Aktivierung der Wehrpflicht wurde seit ihrer Aussetzung immer wieder mal geführt, aber nicht mit einer solchen Wucht wie in den letzten Wochen. Bei der Bundeswehr stieg die Zahl der minderjährigen Rekruten im Alter von 17 Jahren in den vergangenen fünf Jahren stetig an – die meisten kamen im vergangenen Jahr zur Truppe. 

Gleichzeitig stieg deutschlandweit die Zahl der Kriegsdienstverweigerer. Mehr als 230 aktive Soldatinnen und Soldaten versagten laut Verteidigungsministerium 2022 den Dienst an der Waffe, ein Drittel mehr als im Jahr davor. Nicht nur Soldatinnen und Soldaten gehen übrigens diesen Schritt, sondern vorbeugend auch sogenannte Ungediente. Hausbesitzerinnen und Hausbesitzern im Umfeld von Militärflughäfen drohen bereits Wertverluste, weil in Zukunft deutlich mehr Kampfflugzeuge stationiert werden. Manöver wird es wieder geben, inklusive Staus auf den Autobahnen und von Panzerketten zerpflügten Äckern.

Ziel sollte ein neues Bewusstsein für das Militärische in der Gesellschaft sein

Die Debatte über solche und andere Themen wird derzeit allenfalls im kleinen Kreis geführt. Die Politik hat es versäumt, sie auf die große Bühne, in die Hörsäle, in die Talkshows und die Feuilletons zu heben. Zeit wäre es, der Krieg kann noch dauern. Und was ist überhaupt, wenn er endet? Gibt es dann die nächste Zeitenwende hin zu Frieden und Abrüstung? 

Die Debatte sollte jetzt beginnen, bevor die Lage noch weiter eskaliert. Dabei gibt es die Chance, sie ausgewogen zu führen. Anders als vor 1990, als sich Anhänger eines neuen deutschen Militarismus und Kriegsgegner unversöhnlich gegenüberstanden. Ziel sollte es sein, ein neues Bewusstsein für das Militärische in der Gesellschaft zu verankern.

 
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