
Christian Lindner hat einmal den immer richtiger anmutenden Satz gesagt, dass es besser sei, nicht als falsch zu regieren. Wenn das der Maßstab ist, wird es Zeit, dass die Ampelkoalition nun tatsächlich in die Sommerfrische reist. Und sich alle - die Opposition in der Regierung und die Regierung und die richtige Opposition - anständig voneinander erholen. Ein paar letzte Minister-Ausflüge noch, ins wahre Leben, zu "den Menschen". Schon erscheinen die Artikel zur Urlaubslektüre der Mächtigen (kleine Anregung aus dem Ratgeber-Fach: James Clear: "Die 1%-Methode – Minimale Veränderung, maximale Wirkung"). Und diesen Freitag stellt sich der Bundeskanzler nochmals der Bundespressekonferenz. Dann, endlich, könnte ein bisschen Ruhe einkehren. Alle mal durchatmen, bitte!
Denn es bleibt zwar richtig, dass diese Koalition unter den schwierigsten Bedingungen überhaupt angetreten ist. Und das entschuldigt manches - nicht aber den zuletzt immer disparateren Auftritt. Wenn im September die parlamentarischen Betriebsferien vorbei sind, ist die Legislaturperiode so gerade zur Hälfte geschafft. Wenn man einrechnet, dass das Jahr vor der nächsten Bundestagswahl 2025 deutlich von dieser geprägt sein wird, bleibt SPD, Grünen und FDP noch ein gutes Jahr, um den Fortschritt nicht nur weiter wagen zu wollen, sondern ihn zudem vermehrt umzusetzen und vor allem: ihn dem Land besser zu erklären.
Bundeskanzler Scholz muss sichtbarer werden
Heißt für den Bundeskanzler: Mehr Führung wagen. Wenn FDP und Grüne sich weiter so verhaken, wird es nicht reichen, innerlich zu grinsen und sich dabei zu denken, dass die Wähler dies der sich erwachsener (weil zurückhaltender) gebärdenden SPD schon honorieren werden. Es gibt genau eine Scholz-Rede, an die sich alle erinnern. Das ist - zu Recht - die von der Zeitenwende. Es ist allerdings auch die einzige - und damit zu wenig. Vielleicht ist man im Kanzleramt der Meinung, ausreichend zu kommunizieren. Vielleicht ist man der Meinung, dass der Kanzleramtschef den Laden hinreichend zusammenhält. Fakt ist aber: Scholz muss sichtbarer werden. Siehe zuletzt die Verhandlungen zum Haushalt. Dass die Umfragewerte der Ampel so niedrig sind wie noch nie seit Regierungsbeginn, muss sich der anrechnen lassen, der behauptet hat, bestellte Führung auch zu liefern.
Heißt für die Grünen und Herrn Habeck: Mehr Sorgfalt wagen. Sicher, der Klimawandel wartet nicht und die auf mehr Umweltschutz pochende Basis tut es auch nicht. Aber gerade so übergriffige Maßnahmen wie das nun vom Bundesverfassungsgericht zu Recht von der Parlaments-Tagesordnung genommene Gebäudeenergiegesetz (GEG) brauchen eben ihre Zeit, brauchen ausgiebige gesellschaftliche Debatten. Wenn die Agenda aber so getaktet ist, dass sich bereits das Parlament überfordert sieht, braucht sich niemand wundern, wenn es die Bevölkerung erst recht ist. Die Grünen, so senden sie in diversen Interviews und Talkshow-Auftritten, haben verstanden. Spät - aber immerhin.
Die FDP muss weitere Schritte riskieren
Heißt für die Freien Demokraten: Mehr Einheit wagen. Vielleicht tut man der FDP ja schrecklich unrecht, wer aber zuweilen vom eigenen Koalitionsvertragüberrascht wirkt, muss sich fragen lassen, ob ihm Landtagswahlergebnisse nicht wichtiger sind als eine dem gemeinsamen Erfolg verpflichtete Regierungspolitik.
Die Ampel hat ohne Zweifel mehr erreicht, als es den allgemeinen Anschein hat. Wenn sie aber wiedergewählt werden will, muss sie künftig anders auftreten. Schöne Ferien!