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Aachen
Pinchas Goldschmidt warnt vor Antisemitismus in Europa
Der Präsident der Europäischen Rabbiner-Konferenz wurde mit dem Internationalen Karlspreis 2024 ausgezeichnet – und mit ihm die jüdischen Gemeinden in Europa.
Internationaler Karlspreis 2024.jpeg       -  Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbiner-Konferenz, bei der Verleihung des Internationalen Karlspreises in Aachen.
Foto: Henning Kaiser, dpa | Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbiner-Konferenz, bei der Verleihung des Internationalen Karlspreises in Aachen.
Katrin Pribyl
 |  aktualisiert: 13.05.2024 02:46 Uhr

Pinchas Goldschmidt steht allein am Pult im ehrwürdigen Krönungssaal, aber er macht sofort deutlich, dass er für 1,5 Millionen Jüdinnen und Juden in Europa spricht. „Die Karlspreisträger 2024 leben in Angst“, sagt der Präsident der Europäischen Rabbiner-Konferenz am Donnerstagvormittag im Aachener Rathaus, nachdem ihm unter dem Kreuzrippengewölbe dieses mittelalterlichen Orts der Internationale Karlspreis verliehen worden war. 

Er nennt die Auszeichnung in seiner Dankesrede „einen Lichtblick“ und „eine Ermutigung in einer herausfordernden Zeit“. Tatsächlich ging der Preis nicht nur an den 60-jährigen Rabbiner, sondern zugleich an die jüdischen Gemeinden in Europa. Das Karlspreis-Direktorium wolle damit das Signal setzen, „dass jüdisches Leben selbstverständlich zu Europa gehört und in Europa kein Platz für Antisemitismus sein darf“, wie es in der Begründung heißt. 

„Das klingt märchenhaft“, sagt Goldschmidt in seiner Dankesrede. Leider sei das Gegenteil der Fall. „Jüdisches Leben ist eben nicht selbstverständlich, und in Europa ist viel Platz für Antisemitismus.“ Er sei zu alt, „um an Märchen zu glauben, aber ich bin zu jung, um aufzugeben“, sagt Goldschmidt und ruft dazu auf, zusammenzustehen. „Die Geschichte, die Zukunft unseres Kontinents, sie liegt in unseren Händen.“ Freiheitsliebende Demokraten müssten ihre Werte verteidigen. 

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine verließ Goldschmidt Moskau

Der Geistliche ist der wohl bekannteste Rabbiner in Europa. Er steht seit fast 13 Jahren als Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner vor, in der mehr als 700 Rabbiner vertreten sind. Zudem setzt er sich unermüdlich für den Dialog der Religionen wie auch für Frieden, Toleranz, Vielfalt und Verständigung ein. So betont er etwa stets das Verbindende der Religionen und hat unter anderem das Gremium des europäischen Muslim-Jewish-Leadership Councils mitgegründet, in dem hochrangige jüdische und muslimische Würdenträger im Austausch stehen. 

Geboren in Zürich, lebte er zuletzt drei Jahrzehnte in Russland. Infolge der Invasion Wladimir Putins in der Ukraine verließ er Moskau, nachdem er sich dem Druck auf die Leiter der jüdischen Gemeinden, den Krieg zu unterstützen, widersetzt hatte. 

Goldschmidts Leben und Wirken ermögliche „einen Blick auf das, was Europa sein kann, sein sollte und im Schatten der Welt, wie sie heute ist: sein wollen muss“, sagt Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in seiner Laudatio. „Menschen machen einen Unterschied, wenn sie wie Rabbi Goldschmidt einen Unterschied machen wollen.“ Das sei ein Auftrag an uns alle: „Aufzustehen, wenn Menschen unterdrückt, Minderheiten bedroht oder Gewalt eingesetzt wird.“ Mit der Ehre für Goldschmidt setze die Jury laut Habeck ein Zeichen gegen Antisemitismus und dafür, „dass jüdisches Denken und jüdisches Leben Europa reicher macht“. 

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung mahnt zur Differenzierung

Auch wenn die diesjährige Verleihung am Europatag klar eine Verbindung zu den Konflikten dieser Zeit zieht – man nehme ganz ausdrücklich „keine Position im Gaza-Krieg“ ein, sagte Armin Laschet, ehemaliger Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens und Mitglied des Karlspreis-Direktoriums, unserer Redaktion. Das seien „zweierlei Sachen“. Hier das alltägliche Leben der Juden in Europa, dort der Kurs der israelischen Regierung. 

Doch kann man in der aktuellen, polarisierten Debatte diese Trennlinie wirklich ziehen und die jüdischen Gemeinschaften in Europa auszeichnen, ohne die Ereignisse im Nahen Osten zu bewerten? Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, findet schon. Es gehe darum, „dass Jüdinnen und Juden in Europa nicht dafür verantwortlich gemacht werden sollen, was im Gazastreifen passiert“, sagte er. 

Man könne kritisch gegenüber dem Vorgehen der israelischen Armee sein. „Aber es kann nicht angehen, dass hierunter Bürger in Europa leiden und in Kollektivhaft genommen werden“, so Klein. Tatsächlich zeigte sich bereits bei den Diskussionsveranstaltungen im Vorfeld der Verleihung, wie schwer sich viele Vertreter aus Politik und Kultur taten mit der Differenzierung. 

Die radikalislamische Terrororganisation Hamas tötete am 7. Oktober fast 1200 Menschen in Israel. Tausende wurden verletzt, rund 240 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Die israelische Regierung reagiert seitdem mit einer großangelegten Militäroffensive, bei der in dem palästinensischen Gebiet bereits mehr als 34.000 Menschen ihr Leben verloren. Gleichzeitig ist die Zahl der antisemitischen Straftaten in vielen Ländern Europas stark gestiegen. 

 
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