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Teheran
Kopftuch-Polizei im Iran kehrt zurück
Monatelang konnten Frauen im Iran mit offenen Haaren auf die Straße gehen. Jetzt ist die Protestwelle nach dem Tod der jungen Mahsa Amini abgeflaut, und das Regime fühlt sich wieder stark.
Alltag in Teheran Koptuch Frauen Iran .jpeg       -  Wieder riskant: Eine Frau geht in Teheran mit offenen Haaren am Abend eine Straße entlang. Die Behörden wollen wieder stärker gegen Frauen vorgehen, die kein Kopftuch tragen.
Foto: Arne Immanuel Bönsch, dpa | Wieder riskant: Eine Frau geht in Teheran mit offenen Haaren am Abend eine Straße entlang. Die Behörden wollen wieder stärker gegen Frauen vorgehen, die kein Kopftuch tragen.
Thomas Seibert
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:03 Uhr

Als im Iran voriges Jahr landesweite Proteste gegen das theokratische System ausbrachen, verschwand die Religionspolizei von den Straßen. Seitdem wurden Frauen in der Islamischen Republik vielerorts nicht mehr von den Sittenwächtern kontrolliert, wenn sie ohne Kopftuch aus dem Haus gingen. Der Rückzug der Religionspolizei war der größte Erfolg der Protestbewegung gegen das Regime und zeigte, wie verunsichert die Mullah-Regierung wegen des Aufstandes war. Jetzt sind die Religionspolizisten zurück: Das Regime fühlt sich sicher genug, um den Kopftuchzwang wieder durchzusetzen. Damit könnte die Regierung der Protestbewegung neuen Auftrieb geben.

Beamte der Religionspolizei in der Hauptstadt Teheran traten die Proteste im September los, als sie die 22-jährige Mahsa Amini wegen eines angeblich zu locker gebundenen Kopftuchs festnahmen und so schwer misshandelten, dass sie starb. Aminis Tod war der Funke, der die aufgestaute Wut vieler Iraner über ihren Staat explodieren ließ. Bei Demonstrationen verbrannten Frauen öffentlich ihre Kopftücher, und die Parole „Frauen, Leben, Freiheit“ wurde zum Schlachtruf von Millionen Demonstranten.

Massive Polizeigewalt: Kaum noch Straßenproteste als Reaktion auf den Tod von Mahsa Amini

Die Moralpolizei sei nach Ausbruch der Proteste im vergangenen Jahr nur aus taktischen Gründen zurückgezogen worden, sagt Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte und Direktor der Berliner Denkfabrik Center for Middle East and Global Order (CMEG): „Die Sicherheitskräfte hatten damals andere Prioritäten.“ Nun wähne sich das Regime sicher, auch weil die internationale Aufmerksamkeit für die Lage im Iran gesunken sei.

Polizei und die regimetreue Basidsch-Miliz hatten die Proteste damals brutal auseinandergetrieben – rund 500 Menschen kamen bei Straßenschlachten ums Leben, sieben Demonstranten wurden hingerichtet. Inzwischen gibt es kaum noch Straßenproteste.

Die Rückkehr der Religionspolizei war deshalb nur eine Frage der Zeit. Präsident Ebrahim Raisi wies Anfang des Monats alle Regierungsstellen an, den Kopftuchzwang wieder durchzusetzen. Nun erklärte die zentrale Polizeibehörde, Frauen ohne Kopftuch würden ab sofort wieder verwarnt oder festgenommen. Die Beamten der Religionspolizei patrouillieren wieder in Teheran. 

Iran-Experte Arif Keskin: Behörden nutzen den heiligen Monat Muharrem

Dass die Religionspolizei ausgerechnet jetzt wiederbelebt werde, sei kein Zufall, sagt der türkische Iran-Experte Arif Keskin. Weil an diesem Mittwoch der für die Schiiten heilige Monat Muharrem beginne, wollten die Behörden die Gefühle frommer Muslime für sich nutzen und radikale Kräfte innerhalb des Regimes zufriedenstellen. 

Keskin ist sicher, dass Raisi mit der neuen Kopftuch-Offensive auch von der Erfolglosigkeit seiner Regierung ablenken will. Der Präsident war vor zwei Jahren mit dem Versprechen angetreten, die Inflation zu bekämpfen und das Leben für die Iraner leichter zu machen. Stattdessen hat sich die Wirtschaftskrise verschärft.

„Außerdem wollen sie gegenüber der iranischen und der internationalen Öffentlichkeit zeigen, dass sie die Proteste unterdrückt haben“, fügte Keskin hinzu. „Wir wissen alle, dass dies falsch ist: Die Mahsa-Amini-Proteste haben die iranische Gesellschaft tiefgreifend verändert.“

Kopftuch als Symbol des schiitischen Gottesstaates

Für Raisi und andere Hardliner wie Revolutionsführer Ali Khamenei ist das Kopftuch eines der wichtigsten Symbole des schiitischen Gottesstaates. „Zu keinem Zeitpunkt hat das Regime in dieser Frage Zugeständnisse gemacht“, sagt der in den USA lebende Iran-Experte und Autor Arash Azizi. „Viele Amtsträger, mit Khamenei an der Spitze, waren immer fest entschlossen, die Kopftuch-Regeln durchzusetzen“, sagte Azizi unserer Redaktion.

Für die Demonstranten ist eine Abschaffung der seit 40 Jahren bestehenden Kopftuchpflicht eine zentrale Forderung. In einigen Landesteilen sind bereits neue Proteste aufgeflammt, wieIran International berichtete. Beamte der Religionspolizei in Rascht am Kaspischen Meer versuchten demnach, drei Frauen festzunehmen, die kein Kopftuch trugen. Die Frauen seien von Passanten aus der Gewalt der Polizisten befreit worden. Anschließend hätten sich tausende Demonstranten in Rascht versammelt, meldete der Sender.

Das könnte der Anfang einer neuen Welle sein. Azizi weist darauf hin, dass Millionen Frauen im ganzen Iran derzeit ohne Kopftuch oder sogar in ärmellosen Hemden auf die Straße gehen. „Das macht dem Regime Angst“, sagt Azizi. „Es versucht, dies zu unterbinden.“

Der neue Einsatz der Religionspolizei dürfte aber nicht ausreichen, um die Iranerinnen einzuschüchtern. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass der Iran wieder zu einem Zustand wie in der Zeit vor dem Beginn der Proteste im vorigen September zurückkehren werde, meint Fathollah-Nejad: „Man kriegt den Geist nicht mehr zurück in die Flasche.“

 
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