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Interview
Was wird aus dem Paragrafen 218, Frau Woopen?
Der umstrittene Paragraf 218, der Abtreibungen im Strafgesetzbuch verankert, könnte von der Ampel gestrichen werden. Eine Kommission soll prüfen, ob das möglich ist.
Laura Mielke
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:35 Uhr

Frau Woopen, Sie arbeiten in der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung, die von der Bundesregierung einberufen wurde. Mit welchen Fragen befasst sich diese Kommission?

Christiane Woopen: Die Kommission hat zwei Arbeitsgruppen mit je neun Personen. Die eine Gruppe befasst sich mit der Frage, ob Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Paragrafen 218 geregelt werden können. Die andere Gruppe beschäftigt sich mit der Leihmutterschaft und der Möglichkeit zur Eizellenspende, die in Deutschland verboten sind.

Welchen Einfluss nimmt sie auf die Gesetzgebung?

Woopen: Hier sollte man unterstreichen, dass es sich um eine unabhängige Kommission handelt. Wir bereiten einen Bericht vor, der dann in den politischen Prozess eingeht, nicht aber unmittelbar in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden ist. Wir hoffen natürlich, dass unser Bericht so gut sein wird, dass er faktisch berücksichtigt wird.

Sie befassen sich mit der Frage, wie Schwangerschaftsabbrüche geregelt werden können. Warum ist die Beratung der Kommission da notwendig?

Woopen: Alle Fragen rund um einen Schwangerschaftsabbruch sind seit Jahrhunderten zutiefst umstritten. Es stehen zwei grundlegende Güter oder Werte im Konflikt miteinander. Einerseits das Leben, die Gesundheit, die Selbstbestimmung der Frau und andererseits das Leben und die Gesundheit des Ungeborenen. Geraten diese Güter in Konflikt, werden die Abwägungen schwer und führen zu einem ethischen Dilemma, weil eines dieser Güter zurücktreten muss. Es ist verständlich, dass in der Gesellschaft darüber intensiv und kontrovers diskutiert wird, wie diese Abwägung erfolgen sollte. Ich halte es aber für ausgesprochen wichtig, dass diese stark kontroversen Lager mehr aufeinander zugehen und gemeinsam Lösungen entwickeln. 

Gerade der Schutz des Ungeborenen ist ein Streitpunkt. Woran liegt das?

Woopen: Wir haben zwei historische Stränge, die zu diesem Problem führen. Der eine ist die Stellung der Frau, die geschichtlich um ihre Rechte kämpfen musste und muss. Der andere ist der moralische Wert des Ungeborenen. Allein die Frage, wann menschliches Leben beginnt, ist schon biologisch umstritten. Moralisch gibt es noch ein viel breiteres Spektrum, ab wann man dem Ungeborenen eine starke moralische Stellung zuschreibt. Beginnt es ab der Befruchtung, der Einnistung in die Gebärmutter, wenn das Ungeborene Schmerzen empfinden kann, oder erst, wenn es geboren ist? Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich auf den Zeitpunkt der Einnistung. Ich finde es richtig zu schauen, welche rechtliche Regulierung für unsere Gesellschaft angesichts unterschiedlicher ethischer Überzeugungen die zuträglichste ist, aber wir können nicht davon ausgehen, dass wir alle irgendwann einer Meinung sind.

Wie kann man Lebensschutz und Selbstbestimmung vereinen?

Woopen: Der Begriff der reproduktiven Selbstbestimmung erfasst aus meiner Sicht nur einen Teil des Problems. Die Frau bestimmt nicht nur über sich selbst, sondern auch über das Ungeborene. Es ist zudem etwas anderes zu fragen, wie ein Schwangerschaftsabbruch moralisch bewertet wird und welche Verantwortung dem Parlament in seiner gesetzgeberischen Rolle zukommt. Wenn der Staat die Schwangere rechtlich dazu verpflichten würde, eine Schwangerschaft auszutragen, wie würde er das durchsetzen können, ohne tief in die körperliche und psychische Integrität der Frau einzugreifen? Es geht einerseits darum, das Leben des Ungeborenen zu schützen und andererseits die Gesundheit und Integrität der Frau. Am besten wäre es, einen solchen Konflikt von vorneherein zu vermeiden, also die Prävention zu stärken.

Sie müssen dafür eine Lösung finden.

Woopen: Zu welchem Lösungsvorschlag wir kommen werden, wissen wir noch nicht. Wir bringen alle verschiedene fachliche Hintergründe ein und ringen darum, mit einer großen Offenheit und Ernsthaftigkeit möglichst hilfreiche Ansätze für den Gesetzgeber zu finden. Ich erlebe das als einen sehr fordernden, aber auch kreativen Prozess. Wir wollen auch unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen anhören, um möglichst nichts zu übersehen, was für unsere Argumentation wichtig wäre. Wenn wir allein schon dazu beitragen könnten, diese enorme Polarisierung und teils Aggressivität in der Diskussion zu mildern, wäre das auch ein guter Beitrag.

Kann man über ein solches Thema rein rational diskutieren?

Woopen: Vernunft und Gefühl sind in einem Menschen untrennbar miteinander verbunden. Man kann jedoch aufmerksam schauen, wie viel Gewicht man Tatsachen und guten Argumenten einräumt und wie sehr man sich unabhängig davon von Gefühlen oder eigenen Interessen leiten lässt. Zudem muss man sich fragen: Wie würde ich persönlich in einem Schwangerschaftskonflikt handeln und was halte ich für diese Gesellschaft für eine angemessene Regulierung? Dafür sind nämlich nicht die persönlichen Wertevorstellungen entscheidend, sondern was auf der Grundlage unserer Verfassung, die eine Verfassung der Freiheit ist, an unterschiedlichen Werten und Lebensformen ermöglicht werden kann oder eingegrenzt werden muss. Zudem ist die aktuelle gesellschaftliche Situation zu berücksichtigen.

Wie würden Sie die Gesetzgebung gestalten?

Woopen: Ich gehe in diese Diskussion offen hinein und habe noch keine fest gefügte Auffassung. Bestimmte Regulierungen finde ich schwierig, vor allem die medizinische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch. Dort geht es sowohl um die Bedrohung der Gesundheit einer kranken Frau durch den körperlichen Zustand der Schwangerschaft als auch um die Situation der Frau nach der Geburt eines Kindes mit einer Behinderung. Diese Konstellationen sind zutiefst unterschiedlich, sodass sie nicht in einem Paragrafen abgehandelt werden können. Ein Arzt kann nicht vorhersehen, wie eine Frau nach der Geburt mit der Erkrankung des Kindes umgeht und ob sie dazu genug Kraft hat. So wird faktisch doch immer an die Schwere der Auffälligkeit angeknüpft – letztlich also eine unredliche Situation. Ich halte das für ein Dilemma und eine Situation, in der man nur das geringere Übel wählen kann.

Müsste die Gesetzgebung dann ausführlicher sein?

Woopen: Wenn man es tatsächlich trennen möchte, müsste man wieder eine Indikation einführen, die an der Behinderung des Ungeborenen ansetzt, und das ist eine Diskriminierung, die nicht zulässig ist. Ein Mensch mit Behinderung hat dasselbe Lebensrecht.

 
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