zurück
Interview
Was macht Populisten so erfolgreich, Herr Lewandowsky?
Mit der AfD und dem BSW sind populistische Parteien die großen Gewinner der Europawahl. Buchautor Marcel Lewandowsky erklärt ihren Erfolg – und wie man ihnen am besten entgegentritt.
Junge Alternative Stuttgart demonstriert gegen Ditib.jpeg       -  Die rechtspopulistische AfD konnte bei der Europawahl in der Wählergunst deutlich zulegen
Foto: Christoph Schmidt, dpa (Archivbild) | Die rechtspopulistische AfD konnte bei der Europawahl in der Wählergunst deutlich zulegen
Florian Lang
 |  aktualisiert: 19.06.2024 02:54 Uhr

Herr Lewandowsky, gerade rechtspopulistische Parteien haben in Europa deutlich zugelegt. Welche ersten Erkenntnisse ziehen Sie daraus?

Marcel Lewandowsky: Die erste Erkenntnis ist, dass der Rechtspopulismus nicht allein ein deutsches Phänomen ist. In anderen Ländern sind die Rechtspopulisten teilweise sogar noch viel stärker geworden. Wir haben es mit einem wirklich europäischen Phänomen zu tun, und bislang haben die anderen Parteien keine wirkliche Antwort darauf gefunden. Der zweite Punkt, der mir auffällt, ist insbesondere im Falle der AfD der, dass die Partei trotz aller großen Skandale nicht gelitten hat. Das zeigt, dass die Rechtspopulisten über eine extrem loyale und mobilisierungsfähige Wählerschaft verfügen. 

Der Erfolg der Rechtspopulisten beschäftigt die etablierten Parteien nun schon viele Jahre. Warum haben sie noch immer keine adäquaten Strategien gefunden?

Marcel Lewandowsky: Die etablierten Parteien sind in ihrer Strategie relativ festgefahren, nämlich dem wiederkehrenden Versuch, die Rechtspopulisten über das Thema Migrationspolitik zu schlagen. Das mag zunächst Sinn ergeben, dass, wenn man hier besonders harte Lösungen präsentiert, man den Rechtspopulisten die Wähler wieder abnimmt. Nur haben die Wähler der Rechtspopulisten ein so extremes Misstrauen, eine Ablehnung gegenüber allen anderen Parteien, dass sie eine bloße Rechtsbewegung nicht zurückholt. Es geht nicht nur um Migration, sondern es geht um die Ablehnung der demokratischen politischen Klasse, um im Sprech zu bleiben.

Obwohl die Wähler in den europäischen Ländern teils mit ganz unterschiedlichen Problemen zu kämpfen haben, schaffen es die Rechtspopulisten scheinbar, den ganz großen Schirm zu spannen. Wie gelingt ihnen das?

Marcel Lewandowsky: Die Populisten profitieren unter anderem von einer langfristigen Krisenwahrnehmung der Wähler. Es gab die Euro-Krise, es gab die Coronakrise, es gibt die immer noch andauernde Klimakrise, ganz zu schweigen vom russischen Überfall auf die Ukraine. Es herrschen in ganz Europa Ängste vor dem Verlust des eigenen Status, Ängste vor der Zukunft, die durch solche Krisen aktiviert werden. Und nur die Populisten, insbesondere Rechtspopulisten, sind momentan in der Lage, diese Ängste zu nutzen. 

Mit dem BSW war eine zweite populistische Partei bei der Europawahl erfolgreich. Hat Deutschland nun eine links-populistische Alternative zur AfD?

Marcel Lewandowsky: Nein, es ist keine klassische linkspopulistische Partei, weil die in der Gesellschaftspolitik eigentlich eher progressiv auftreten. Das ist eines ihrer Kernmerkmale, wie beispielsweise bei der Podemos in Spanien oder der Syriza in Griechenland. Was wir hier haben, ist eine nationalistische, populistische Partei mit einer eher linken Ausrichtung der Wirtschaftspolitik. Das ist eigentlich eine interessante Kombination, für die es auch bislang im deutschen Parteiensystem keinen Anbieter gab. Insofern ist es nicht überraschend, dass sie auch einen Achtungserfolg erzielen konnte. 

Im Vorfeld der Wahl dachten viele Beobachter, dass das BSW vor allem der AfD Wähler abnehmen kann. Die meisten seiner Wähler kamen aber von den eher linken Parteien. Herrscht auch unter Linken die Sehnsucht nach der großen Umwälzung?

Marcel Lewandowsky: Zumindest gibt es wohl auch eine große Unzufriedenheit mit der politischen Linken. Insbesondere die Grünen waren bei der letzten Europawahl eine große Projektionsfläche, haben es aber nicht geschafft zu überzeugen und viele Wähler wieder verprellt. Insofern ist es nicht überraschend, dass sich das linke Lager weiter aufspaltet. 

Fast ein Viertel der Wähler stimmte für Populisten, die die Politik grundlegend ändern wollen. Braucht es eine grundlegende politische Veränderung?

Marcel Lewandowsky: Populismus ist ja eine bestimmte Vorstellung davon, wie Demokratie laufen soll. Die Sehnsucht danach, dass Menschen, die so sind wie man selbst, von denen man glaubt, sie wären die schweigende Mehrheit, endlich wieder das Sagen hätten. Das hat immer etwas damit zu tun, dass die Versprechen der Demokratie nicht bei allen ankommen. Dies wiederum geht auch auf ökonomische Faktoren zurück. Das hat mit Arbeitslosigkeit zu tun, das hat mit strukturschwachen Regionen zu tun, das hat mit dem Gefühl zu tun, abgehängt und übervorteilt worden zu sein. Und das sind eben diese Voraussetzungen, die dafür sorgen, dass Menschen, die schon populistische Einstellungen haben, dann am Ende auch populistisch wählen.

Dann lautet eine Strategie, diese Unzufriedenheiten wirklich ernst zu nehmen?

Marcel Lewandowsky: Absolut. Es geht auf der einen Seite darum, diejenigen zu mobilisieren, die die liberale Demokratie erhalten wollen, und auf der anderen Seite darum, als Politik auch die harten Fragen zu stellen: Wie kann das eigentlich sein, dass es dieses grundlegende Gefühl der Abgehängtheit, das Gefühl, betrogen worden seien, bei so vielen Menschen gibt? Das hat nichts damit zu tun, die teils rechtsextremen Einstellungen von rechtspopulistischen Wählern zu verharmlosen. Aber man muss sich vor Augen führen, dass diese Einstellungen von populistischen Parteien oft nicht kreiert, sondern eher abgerufen werden. Die Menschen mit diesen Einstellungen haben früher eine andere Partei gewählt, und wie man diesen Zustand wiederherstellt, das ist die große Frage, die sich die Politik stellen muss.

In der politischen Debatte wird der Populismus oft mit einer gewissen Einfachheit und Volkstümlichkeit gleichgesetzt. Verniedlicht man ihn dadurch nicht?

Marcel Lewandowsky: In meinem Buch schreibe ich, dass dem Faschismus das Dämonische anhaftet und dem Populismus das Clowneske. Ich halte es tatsächlich für ein Problem, dass oft gedacht wird, der Populismus funktioniere nach dem Rattenfänger-von-Hameln-Prinzip. In der politischen Debatte wird völlig unterschätzt, dass es sich beim Populismus um eine bestimmte Demokratievorstellung handelt. Und diese Vorstellung ist: Das wahre Volk muss über alles bestimmen, ich gehöre zum wahren Volk, ich werde wie alle anderen unterdrückt, und wir müssen uns diese Demokratie zurückholen. Der Populismus ist eine ganz eigene Form der Illiberalität, er will Demokratie als absoluten Volkswillen, und zwar so radikal, dass er nicht nur gegen gesellschaftlichen Pluralismus ist, sondern im Zweifelsfall auch gegen Gewaltenteilung, gegen die Unabhängigkeit der Justiz. Wohin das führt, haben wir beispielsweise in Polen und Ungarn gesehen. Das Trump-Lager in den USA denkt ganz ähnlich.

Hubert Aiwanger forderte die schweigende Mehrheit auf, sich die Demokratie zurückzuholen, für Markus Söder gehören die Grünen nicht zu Bayern. Welchen Effekt hat es, wenn sich Politiker demokratischer Parteien aus dem Repertoire der Populisten bedienen? 

Marcel Lewandwosky: Wenn man der Versuchung nachgeht und die Erzählung der Populisten aufgreift, schwächt man sie nicht, sondern bestätigt sie. Nach dem Motto: Wenn Markus Söder oder Hubert Aiwanger so etwas sagen, muss es ja auch stimmen. Die Parteien unterschätzen, dass so etwas Auswirkungen auf den gesamten politischen Diskurs hat. Ich halte die Strategie für völlig verfehlt, nicht nur aus moralischer, sondern vorrangig aus strategischer Perspektive. 

Im bayerischen Landtagswahlkampf kam es vermehrt zu Gewalt und Bedrohungen gegen Politiker, manche konnten aus Sicherheitsgründen nicht auftreten. Ist das schon eine Konsequenz eines vergifteten politischen Diskurses?

Marcel Lewandowsky: Ich beobachte einen Anstieg der Bereitschaft, Politikern mit Gewalt zu begegnen. Es gibt einen regelrechten Hass auf die etablierte Politik, insbesondere auf Grüne und SPD. Ich würde nicht sagen, dass es eine Kausalität gibt, die von der Strategie der Union gegen die Grünen bis zu den Gewalttaten reicht. Ich würde beschreibend sagen, dass wir ein Klima extremer Polarität haben, mit einer höheren Bereitschaft, tatsächlich zu politischer Gewalt zu greifen. Menschen mit populistischen Einstellungen haben eine höhere Bereitschaft dazu, weil sie glauben, es wäre ihre einzige Möglichkeit, sich noch zu wehren. Sie wähnen sich in einem Abwehrkampf, und das nehmen wir momentan nicht ernst genug. 

Die AfD ist in den Sozialen Medien, insbesondere auf TikTok, sehr erfolgreich, auch weil ihr die Algorithmen in die Karten spielen. Kann seriöse Politik in den Sozialen Medien überhaupt mithalten?

Marcel Lewandowsky: Mit seriöser Politik ist es sehr schwer, weil Sie schon in den ersten Sekunden ihres Beitrags die wesentlichen Botschaften rüberbringen müssen. Ich glaube aber nicht, dass jede Politik auf TikTok populistisch oder gar rechtspopulistisch sein muss. Es bedeutet, dass die anderen politischen Akteure sich einer Form anpassen müssen, die für sie neu ist, eine Form der Zuspitzung, der Verkürzung. Gerade ältere, etablierte Personen in Parteien haben Berührungsängste mit den Albernheiten, von denen TikTok ein Stück weit lebt. Aber es gibt auch jüngere Kräfte, die versuchen, das stärker zu nutzen. Klar ist, wenn man die AfD hier bekämpfen will, muss man sich auch gemein machen mit der Art und Weise, wie TikTok funktioniert. Das ist ein Dilemma, aus dem man nicht herauskommt. 

Nun haben bei der Europawahl zwar rund ein Viertel der Wähler populistisch gewählt, der Rest aber auch nicht. Gleichwohl gibt es unter Populisten oft den Ruf nach mehr direkter Demokratie. Wäre mehr direkte Demokratie zu wagen, eine Strategie, um Populisten zu zeigen: Nein, ihr seid nicht das Volk?

Marcel Lewandowsky: In der Schweiz gibt es sehr viele direktdemokratische Verfahren, und die stärkste Partei ist die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei. Wenn dort das Ergebnis einer Volksabstimmung nicht ihrem Willen entspricht, bedient sich die SVP der gleichen Narrative wie ihre Schwesterparteien in anderen Ländern. Direkte Demokratie ist also kein Allheilmittel, aber wir wissen, dass lokale Beteiligung, etwa in Bürgerräten, die Zufriedenheit der Teilnehmer erhöht. Wenn man über eine weitere Demokratisierung nachdenkt, sollte man das direkte Erleben von Demokratie und Mitgestaltung vor Ort in den Mittelpunkt stellen. Andernfalls halte ich den Lerneffekt für begrenzt.

In ihrem Buch schreiben Sie, dass man populistische Einstellungen nicht konfrontieren, sondern deaktivieren sollte, indem man die darunterliegenden Gründe adressiert. Wie genau kann man sich das vorstellen?

Marcel Lewandawosky: Grundsätzlich werden populistische Einstellungen nicht von populistischen Parteien gemacht, sondern waren schon lange da. Jemand, der schon vor 30 Jahren eine eher rechte Einstellung zu Migration hatte, wählte damals aber CDU oder SPD. Er hat die auch heute noch, wählt aber nun die AfD. Wie gesagt: Wir wissen, dass die Aktivierung populistischer Einstellungen durch die Wahrnehmung von Krisen und Angst vor Statusverlust passiert, und rechtspopulistische Parteien haben ein Interesse daran, diese Wahrnehmung aufrechtzuerhalten. Die Strategie ist nun, die Menschen nicht in der direkten Konfrontation mit dem Thema der Rechtspopulisten zurückzugewinnen, also zu versuchen, sie in ihrer Einstellung zu Migration zu bekehren, denn da gewinnen die Rechtspopulisten. Stattdessen gilt es, Transformationsthemen in den Mittelpunkt zu stellen. Denn die massiven Transformationsschübe unserer Zeit beim Klima, in der Wirtschaft, in der Sozialpolitik schaffen Ängste und Unsicherheiten. Die Parteien haben da teils inhaltlich die richtigen Ansätze, aber momentan sehen wir auf der einen Seite, dass die Kommunikation derer, die Transformation fortschrittlich gestalten wollen, nicht verfängt. Und auf der anderen Seite tun manche Politiker so, als gäbe es diese riesigen Aufgaben gar nicht – etwa dann, wenn sie Warnungen vor den Folgen des Klimawandels herunterspielen und als Ideologie abtun. Aber die großen Umwälzungen sind da und werden noch stärker. Wenn es nicht gelingt, das zu vermitteln und zu begleiten – und zwar von allen demokratischen Parteien – gewinnen die Populisten womöglich noch mehr. 

Heißt das auch, dass die Wähler der Populisten gar nicht so weit weg sind, wie man immer befürchtet?

Marcel Lewandowsky: Doch. Vor allem glauben sie, dass alle anderen Parteien und deren Wähler sehr weit von ihnen entfernt stehen, während sie selbst auf der richtigen Seite sind. In dieser Hinsicht haben wir schon eine starke Polarisierung – zwischen den Wählern der Rechtspopulisten und allen anderen. Aber ich glaube nicht, dass das in Stein gemeißelt ist, sondern dass solche Gefühle schwanken und über die Zeit schwächer werden können, wenn beispielsweise das Thema Migration in einem Moment nicht so wichtig ist. Das können die anderen Parteien zu beeinflussen versuchen, indem sie andere Themen in den Vordergrund stellen – daran herrscht ja angesichts der gewaltigen Umwälzungen unserer Zeit kein Mangel. 

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Alternative für Deutschland
CDU
Einwanderungspolitik
Faschismus
Hubert Aiwanger
Klimakrise
Markus Söder
Rechtspopulisten
SPD
Wähler
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen