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Interview
Verbandschef schlägt Alarm: "Wohnungsnot reicht längst bis in die Mitte der Gesellschaft"
Unbezahlbare Kosten und Vorschriften: Wohnbaugesellschaften stoppen den Bau zigtausender benötigter Wohnungen. Verbandschef Axel Gedaschko warnt vor einem Desaster.
Wohngeld: Verfahren für Zuschuss in Corona-Zeiten vereinfacht.jpeg       -  Axel Gedaschko ist Präsident des Bundesverbandes der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW.
Foto: Nils Hasenau, dpa | Axel Gedaschko ist Präsident des Bundesverbandes der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW.
Michael Pohl
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:26 Uhr

Herr Gedaschko, Ihr Verband vertritt über 3000 Wohnungsunternehmen, sowohl kommunale, soziale, gemeinnützige als auch gewerbliche Anbieter, die insgesamt für fast ein Drittel aller Mietwohnungen in Deutschland zuständig sind. Wie sehr trifft Ihre Mitglieder die Krise am Bau?

Axel Gedaschko: Bezahlbares Bauen und damit bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wird für die Wohnungsunternehmen zunehmend unmöglich. Derzeit laufen Neubauprojekte auf eine Quadratmetermiete von 15 bis 20 Euro hinaus und ich spreche dabei nicht von Metropolen, sondern von ganz normalen Lagen. Über 70 Prozent der Wohnungsunternehmen in Deutschland haben Projekte aufgeschoben oder ganz aufgegeben. Als wir vergangenes Jahr davor gewarnt haben, wurden wir als Schwarzseher tituliert. Jetzt gibt es kaum eine Region, die nicht betroffen ist

Wo liegen die Hauptursachen? In den Zinsen?

Gedaschko: Wir erleben eine regelrechte Bauinflation. Der kometenhaft schnelle Anstieg der Zinsen ist nur ein Teil davon. Die Explosion der Baukosten hat schon mindestens ein Jahr vor der Zinswende begonnen, unter anderem bei den Materialkosten. Dazu kommt das Förderchaos der Bundesregierung beim energieeffizienten Bauen. Derzeit wird fast nur noch dort gebaut, wo noch früher geschlossene Verträge mit günstigeren Konditionen vorliegen oder es um Sozialwohnungen geht, bei denen die Bundesländer die Kostensteigerungen finanziell ausgleichen. Das geschieht vor allem in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Hier kommen wir gerade noch auf Sozialwohnungsmieten zwischen 6,50 bis 8,50 Euro pro Quadratmeter.

Was bedeutet das für Normalverdiener, die eine Mietwohnung suchen?

Gedaschko: Wir haben in Deutschland einen Zustand erreicht, bei dem nicht-geförderte Mietwohnungen in Neubauten für Normalverdiener unerschwinglich werden. Auch deshalb liegen immer mehr Bauprojekte auf Eis. Wir brauchen eine völlig neue Förderpolitik über den sozialen Wohnungsbau hinaus für die breite Bevölkerung mit normalem Einkommen. Mieten zwischen zehn und elf Euro beim Neubau sind ohne Subventionen unter den gegebenen Bedingungen nicht mehr machbar. Hier brauchen wir eine Förderung für das mittlere Preissegment.

Die Bundesregierung hat versprochen, für den Neubau von jährlich 400.000 Wohnungen sorgen zu wollen und entsprechende Grundlagen dafür zu schaffen. Kann dieses Ziel in dieser Regierungsperiode noch erreicht werden?

Gedaschko: Die Zahl der neu gebauten Wohnungen wächst nicht, sie sinkt seit zwei Jahren. Seit 2021 sind wir wieder unter die Marke von 300.000 gefallen. Dieses Jahr werden es voraussichtlich nur 250.000 bis maximal 280.000. Und für das kommende Jahr sagt die Lage am Bau und die aktuell zurück gehende Zahl an Baugenehmigungen nichts Gutes voraus. Ich sehe derzeit nicht, wie die aktuelle Bundesregierung ihr Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen noch erreichen könnte. Wenn nichts Entscheidendes passiert, wird die Zahl der Wohnungsneubauten weiter nach unten gehen. Auch vom zweiten Ziel, 100.000 neue sozial geförderte Wohnungen pro Jahr, ist Deutschland meilenweit entfernt. Wir müssen schon froh sein, wenn wir mehr als ein Drittel davon schaffen.

Seit Jahren heißt es schon aus der Politik, Wohnen sei die soziale Frage unserer Zeit. Wie dramatisch ist die Wohnungsnot?

Gedaschko: Immer mehr Menschen in Deutschland erleben eine dramatische Wohnungsnot: Junge Familien oder Paare, die zusammenziehen wollen, finden keine bezahlbare größere Wohnung. Es gibt auch Paare, die sich trennen und dennoch zwangsweise weiter zusammenwohnen. Menschen müssen Jobangebote ausschlagen, weil sie sich Mieten zu Neuvertragspreisen in einer anderen Stadt nicht leisten können oder mit 120 anderen Bewerbern um eine freie Wohnung konkurrieren. All das ist Realität und zeigt: Die Wohnungsnot ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Dabei strömen viele Menschen nach Deutschland und es wird um hunderttausende Fachkräfte aus dem Ausland geworben. Verschärft sich der Druck auf den Wohnungsmarkt weiter?

Gedaschko: Es ist richtig: Wir werden deutliche Zuwanderung brauchen, nicht nur um unsere Wirtschaftskraft, sondern auch um unser Sozialsystem erhalten zu können. Und wir erleben, wie Russland weiterhin mit Angriffen auf die zivile Infrastruktur in der Ukraine dort der Bevölkerung das Leben zur Hölle macht und Menschen in die Flucht treibt. Inzwischen wachsen bei uns die Containerdörfer. Wir wissen, dass die Menschen eigentlich lieber von einem Tag, auf den anderen wieder nach Hause möchten, aber viele länger bleiben werden, als sie wollen. All das zeigt: Der Druck auf den Wohnungsmarkt ist immens und nimmt weiter zu.

Ist das nicht Ausdruck der Misere des deutschen Wohnungsbaus: Auf der einen Seite errichtet man billige Containerdörfer und auf der anderen nur teure Energieeffizienzhäuser nach immer schärferen Standards. Klafft zwischen diesen Extremen eine riesige Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit?

Gedaschko: Bei den Containerdörfern geht es sicher erst mal um Schnelligkeit, um die Menschen überhaupt unterzubringen. Aber wir müssen auch beim Wohnungsbau generell schneller werden. Wir sollten dafür zum Beispiel die Instrumente des seriellen und modularen in viel höherer Größenordnung nutzen. Das darf man auf keinen Fall mit dem alten Plattenbau verwechseln. Hier ist extrem vielfältige Architektur und ansprechendes Erscheinungsbild trotz Vorfertigung möglich. Serielles Bauen bietet einen erheblichen Zeit- und Kostenvorteil, kürzere Baustellen und weniger Belastung für die Nachbarschaft. Was die Baustandards betrifft, wird man das Rad nicht mehr zurückdrehen können, aber wir sollten sie nicht noch weiter verschärfen.

Es gibt Experten, die erklären, die Standards bei Dämmung, Schallschutz und Energieeinsparung hätten längst einen volkswirtschaftlich sinnvollen Punkt überschritten. Verteuern wir das Bauen unnötig in der Sucht nach deutscher Perfektion?

Gedaschko: Seit diesem Jahr gilt für den Neubau der gesetzliche Effizienzstandard 55. Das heißt, ein Gebäude kommt nur noch auf 55 Prozent der Heizungsenergieverbrauch des Gebäudestandards von 2009. Das ist für den Klimaschutz ein beachtlicher Wert. Allerdings plant die Regierung laut Koalitionsvertrag ab 2025 den Effizienzstandard 40 als Pflicht bei Neubauten, also nur noch 40 Prozent des einstigen Verbrauchs. Das bekommt man allein mit Dämmung und Fenstern nicht hin, hier müssen Bauherren geregelte Lüftungssysteme einsetzen. Das macht den Bau natürlich nochmals deutlich teurer. Auch bei den sich ständig verschärfenden DIN-Normen, etwa für Brand- und Schallschutz, sollte die Politik aufpassen, dass Hersteller solcher Produkte nicht durch die Hintertür die Kosten hochtreiben. Man kann immer alles ein bisschen noch besser und energieeffizienter machen. Doch am Ende müssen die Wohnungen für breite Schichten der Bevölkerung bezahlbar bleiben, und hier stoßen wir in Deutschland mit unseren Vorschriften und Normen für sehr viele Menschen längst an die Grenzen des Erträglichen. 

Zur Person:Axel Gedaschko ist seit 2011 Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW, in dem rund 3000 soziale, gemeinnützige und gewerbliche Wohnungsgesellschaften zusammengeschlossen sind. Zuvor war der 63-Jährige CDU-Wirtschaftssenator in Hamburg.

 
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