Herr Oberbürgermeister, die Wohnungsbaupolitik verfehlt ihre Ziele drastisch: Statt der angepeilten 400.000 neuen Wohnungen wurden 2023 nur 245.000 gebaut, Fachleute erwarten einen weiteren Rückgang bis 2025 voraussichtlich auf nur noch 200.000. Was bedeutet das für die Städte?
Markus Lewe: Die Krise im Wohnungsbau verschärft sich von Tag zu Tag: Es werden immer weniger neue Aufträge vergeben und immer weniger Wohnungen fertiggestellt. In Deutschland könnte reichlich gebaut werden, wenn die wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen stimmen. Denn die Kommunen haben ihre Hausaufgaben gemacht: Mehr als 800.000 von den Städten und Landkreisen genehmigte Wohnungen warten derzeit darauf, gebaut zu werden.
Besonders dramatisch wirkt die Zahl im sozialen Wohnungsbau. Nur ein Viertel der geplanten 100.000 neuen günstigen Wohnungen wird noch gebaut, obwohl der Bund zusätzliche Milliarden für den sozialen Wohnungsbau versprochen hat. Was müsste hier jetzt getan werden?
Lewe: Das Ziel ist klar: Wir wollen und brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum. Dennoch gibt es aller Förderung zum Trotz immer weniger Sozialwohnungen. Denn bestehende Wohnungen fallen aus der Förderung und für neue muss gegen Marktpreise angefördert werden. Gleichzeitig wird das Bauland immer rarer und teurer. Das muss sich ändern. Immer mehr Menschen suchen preiswerte Wohnungen. Und der Neubau stockt. Deshalb müssen wir auch Bestandswohnungen als Sozialwohnungen nutzen und sanieren. Das müssen Bund und Länder mit ihren Fördermitteln ermöglichen. Und wir müssen es schaffen, dass der Wohnungstausch in den Städten besser klappt.
Wie soll das funktionieren? Ein Umzug rechnet sich selten …
Lewe: Einige Ideen gibt es: Umzugslotsen könnten helfen, den vorhandenen Wohnraum besser zu verteilen, also die große Wohnung für die Familie mit Kindern und die kleine Wohnung für die Seniorin. Auch Umzugskosten könnten bezuschusst werden durch Fördermittel. Auch eine Fehlbelegungsabgabe wäre zu prüfen. Dann würden Mieterinnen und Mieter, die für ihre Sozialwohnung inzwischen zu viel verdienen, eine Abgabe zahlen. Die könnte dann wiederum in Sozialwohnungen investiert werden, wie das bereits in Hessen und Rheinland-Pfalz der Fall ist.
Wie bewerten Sie die Situation der städtischen Wohnbaugesellschaften? Sie sollen in den kommenden Jahren ihre Bestandswohnungen klimafreundlicher sanieren und mehr Wohnungen bauen. Beides wird immer teurer und einen Euro kann man nur einmal ausgeben …
Lewe: Die große Herausforderung besteht darin, dass die kommunalen Wohnungsunternehmen so gut finanziell ausgestattet werden müssen, dass sie ihre Bestände klima- und generationengerecht modernisieren können. Gleichzeitig müssen umgelegte Investitionskosten auch für Mieterinnen und Mieter bezahlbar bleiben. Das geht nur, wenn Bund und Länder bessere Rahmenbedingungen schaffen und auch mit finanziellen Mitteln gegensteuern, um eine Kehrtwende zu schaffen. Dazu gehören auch gezielte Investitionszuschüsse für Wohnungsbauträger, die Sozialwohnungen errichten und nicht nur steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten mit der Gießkanne.
Im sogenannten Deutschland-Pakt wurden zahlreiche Maßnahmen beschlossen, um die Bautätigkeit in Schwung zu bringen. Von welchen Maßnahmen erwarten Sie sich echte Fortschritte und was müsste nun geschehen, um sie rasch umzusetzen?
Lewe: Die Digitalisierungsnovelle im Bauplanungsrecht wird helfen, Verfahren zu beschleunigen – auch wenn damit noch nicht alle Optionen in Sachen Digitalisierung ausgereizt sind. Positiv ist am Deutschland-Pakt auch alles, damit wir leichter die Gebäude umbauen und erweitern können. Wenn jetzt dafür das Baurecht geändert wird, muss die Expertise der Städte einbezogen werden. Denn wir brauchen praxistaugliche Gesetze. Kritisch sehen wir den angekündigten „Bau-Turbo“: Wenn das Planungsrecht beim Neubau völlig außer Acht gelassen wird, führt das nur auf den ersten Blick zu Erleichterungen: Zwar entfallen Planungen, dafür müssen sich die Ämter aber mit einer Vielzahl unkoordinierter Bauvoranfragen und -anträgen an ungeeigneten Standorten auseinandersetzen. Nicht gut ist außerdem, dass bei der Regelung keine Vorgabe gemacht wird, dass wenigstens anteilig bezahlbarer Wohnraum gebaut werden muss.
Reicht Ihnen das aus?
Lewe: Wir sehen noch einige Stellschrauben, an denen wir drehen können. Vor allem muss die Handlungsfähigkeit der Städte gestärkt werden. Wenn die Städte Grundeigentümer sind, können sie dafür sorgen, dass ein angemessener Anteil an bezahlbarem Wohnraum entsteht und auch dauerhaft erhalten bleibt. Das wirkt sich auch dämpfend auf die Bodenpreise aus. Das wäre auch für die Immobilienwirtschaft vorteilhaft. Hierzu müsste das Vorkaufsrecht beispielsweise auf alle Grundstücke in der Kommune ausgeweitet werden. Außerdem dürfen gut erschlossene, aber nicht genutzte Grundstücke in zentraler Lage der Städte nicht länger brachliegen: Bei der anstehenden Novelle des Baugesetzbuchs sollte das Baugebot vereinfacht und praxisgerecht ausgestaltet werden, sodass die Städte es leichter anwenden können. Die Städte streben grundsätzlich an, Bauland im Schulterschluss mit Grundstückseigentümern und Projektträgern zu entwickeln. Wenn das aber nicht gelingt, müssen die Städte dennoch handeln können.
Was müsste nun für eine schnelle Wende in der Wohnungsbaupolitik geschehen?
Lewe: Die bauwilligen Wohnungsbauunternehmen brauchen fraglos Erleichterungen bei der Finanzierung ihrer Vorhaben. Dazu gehören vielleicht weniger steuerliche Abschreibungen als vielmehr Investitionszuschüsse, wenn sie Wohnungsbau für Zielgruppen mit geringen und mittleren Einkommen bauen. Die Baukosten müssen deutlich sinken, die Standards müssen kritisch überprüft werden. Und in Sachen Bauland muss der Bund bei der Novelle des Baugesetzbuchs die Vorkaufsrechte und Baugebote für die Kommunen stärken, damit die Städte mehr Handlungsspielräume erhalten. So können sie sich gemeinwohlorientiert dafür einsetzen, dass Flächen bebaut werden und bezahlbarer Wohnraum entsteht. Von den Ländern fordert der Städtetag, die Wiedereinführung der Fehlbelegungsabgabe zu prüfen, damit bezahlbarer Wohnraum gerechter verteilt wird.