Herr Professor Brinktrine, wie stellt sich der Fall des Staatssekretärs Patrick Graichen rechtlich dar? Hat sich mit der Entlassung durch Minister Robert Habeck ein Disziplinarverfahren erledigt?
Ralf Brinktrine: Der Minister ist der Disziplinar-Vorgesetzte des Staatssekretärs und hat nun die Lösung der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand gewählt. Damit ist ein Disziplinarverfahren aber nicht zwingend erledigt. Bei einem Dienstvergehen besteht eine Untersuchungspflicht.
Wie sind die Fehler von Herrn Graichen bei der versuchten Ernennung seines Trauzeugen zum Chef der bundeseigenen Energie-Agentur Dena beamtenrechtlich zu bewerten?
Brinktrine: Bei dem Fall mit dem Trauzeugen spricht man von einer Nähebeziehung. Hier gilt allgemein im Öffentlichen Dienst, egal ob bei Personalentscheidungen oder Vergabeverfahren, dass dies eindeutig anzeigepflichtig ist oder man sich nicht beteiligen darf. Im Hochschulbereich dürfte man zum Beispiel bei einem Berufungsverfahren, um eine Professur zu besetzen, gar nicht teilnehmen. Sonst führt das im Ergebnis zur Rechtswidrigkeit des Verfahrens und der Ernennung.
Welche disziplinarrechtlichen Konsequenzen drohen Herrn Graichen?
Brinktrine: Prinzipiell kennt das Beamtenrecht fünf Disziplinarmaßnahmen: Verweis, Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge, Zurückstufung und als höchste Maßnahme die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Wir sprechen im Fall des Staatssekretärs im Rahmen der sogenannten Trauzeugenaffäre über einen Verstoß gegen Befangenheitsregeln. Hier wäre, nach allem, was man über den Fall weiß, nach der gängigen Rechtsprechung sicher ein Verweis oder eine Geldbuße möglich gewesen. Vielleicht hätte man aber auch das Verfahren als minderes Vergehen einstufen und auch einstellen können. Schwerer zu beurteilen ist die Frage der Abzeichnung von Fördermitteln in Höhe von 600.000 Euro an den BUND-Landesverband seiner Schwester. Das ist im öffentlichen Bereich eine hohe Summe, aber hier ist – soweit mitgeteilt – bisher kein Geld geflossen. Nach der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand ist ein Verweis oder eine Geldbuße aber disziplinarrechtlich nicht mehr möglich.
Ist die Versetzung in den Ruhestand nicht eine schärfere Disziplinarmaßnahme?
Brinktrine: Rein rechtlich muss man das trennen, das ist keine Disziplinarmaßnahme, sondern eine sogenannte Statusmaßnahme. Bei Versetzung in den einstweiligen Ruhestand wäre eine Kürzung oder die Aberkennung des Ruhegehalts eine Disziplinarmaßnahme. Dies wäre aber nur bei schweren Vergehen wie Bestechlichkeit oder schwerer Untreue denkbar. Ich erwarte deshalb – soweit es um die Trauzeugenaffäre geht – nun keine Disziplinarmaßnahme mehr, nachdem auch die Berliner Staatsanwaltschaft kein strafrechtliches Verhalten bei Herrn Graichen sieht. Wie es im Fall der Auftragsvergabe aussieht, muss man abwarten. Es erscheint mir aber auch hier eher unwahrscheinlich.
Welche Ansprüche auf Ruhegehalt hat Herr Graichen in der höchsten Besoldungsgruppe B11 mit gut 15.000 Euro Grundgehalt im Monat?
Brinktrine: Das kommt darauf an. Herr Graichen muss für einen Anspruch auf Ruhegehalt laut Beamtenversorgungsgesetz fünf Jahre im Dienst gewesen sein. Ist dies nicht der Fall, so bestehen keine Ansprüche auf Beamtenversorgung. Wenn es aber anrechenbare Zeiten aufgrund einer anderen Tätigkeit im Öffentlichen Dienst gibt und die fünfjährige Mindestzeit dadurch erfüllt ist – und so dürfte es aufgrund der laut Medienberichten insgesamt etwa zwölfjährigen Tätigkeit von Herrn Graichen als Beamter im Bundesumweltministerium in der Vergangenheit und jetzt im Wirtschaftsministerium gegeben sein –, dann hat er zunächst Anspruch auf 71,75 Prozent der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge für die Zeit seiner Tätigkeit als Staatssekretär. Das sind mithin etwa 18 Monate, maximal aber 36 Monate
Und danach?
Brinktrine: Danach bekommt er wie jeder Beamte ein nach individuellen Faktoren berechnetes Ruhegehalt nach den allgemeinen Regeln des Beamtenrechts. Theoretisch könnte man ihn aber auch aus dem einstweiligen Ruhestand wieder zurückholen. Vom Ruhegehalt zu unterscheiden ist das Übergangsgeld nach Beamtenbesoldungsrecht. Demnach hat er jedenfalls Anspruch auf die Weiterbezahlung seiner Bezüge für die folgenden drei Monate bis August. Und er kann sich auf jeden Fall für seine geleistete Dienstzeit in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichern lassen, wenn beamtenversorgungsrechtliche Ansprüche ausfallen sollten.
Zur Person Der Würzburger Rechtsprofessor Ralf Brinktrine gilt als Herausgeber zahlreicher Kommentare zum Beamtenrecht von Bund und Ländern als einer der wichtigsten Experten auf dem Gebiet.