
Herr Prost, seit März vergangenen Jahres sind Sie Rentner. Von Ihrem Lebenswerk, dem Ulmer Schmiermittelhersteller Liqui Moly, hatten sie sich zuvor getrennt und die Firma an die Würth-Gruppe verkauft. Sie wirken maximal entschleunigt und optisch deutlich verändert.
Ernst Prost: Mir geht es sehr gut hier oben in Reit im Winkl mit Blick auf den Wilden und den Zahmen Kaiser. Da hinten ist schon Österreich. Von unten höre ich die Kühe vom Alois bimmeln. Haare und Bart habe ich mir länger wachsen lassen. Hier oben laufe ich mit Lederhose und Flipflops rum. Ich fröne der Freiheit und ich genieße die Faulheit. Ich pflege den Müßiggang. Das ist eine neue Epoche für mich. Es ist ein gezieltes und gewolltes fröhliches Verlottern.
Also ein lustvoll-vorsätzliches Verlottern?
Prost (lacht): Genau, das ist ein vorsätzliches Verlottern. In der Antike waren Menschen hoch angesehen, die die Kunst des Müßiggangs beherrscht haben.
Der antike Dichter Horaz hat sich intensiv mit der Kunst des Müßiggangs beschäftigt.
Prost (lacht): Dann bin ich so eine Art bayerischer Horaz.
Auf alle Fälle einer mit Motorrad.
Prost: Mit meiner Harley fahr ich schnell zu einer Brotzeit auf eine Alm oder runter in den Ort, wie zuletzt immer wieder zum Gau-Fest. Reit im Winkl ist besser als Tegernsee, nicht so nah dran an München. Nach Kitzbühel zu den Schickis zieht mich nichts. Reit im Winkl ist noch eine Oase in der umliegenden Schickimicki-Wüste.
Obwohl Sie sich Kitz, also Kitzbühel, locker leisten könnten.
Prost brüht selbst Kaffee auf und serviert ihn im Haferl-Becher: Aber mir gefällt es hier besser. Das erdet mich alles. Hauptsache raus aus dem Trubel, raus aus der Stadt, raus aus dem ganzen Schmarrn. A bissel a Natur, des tut einfach gut. Manchmal stehe ich schon um vier Uhr morgens auf, so schee ist es hier. So früh bin ich in der Arbeit nie aufgestanden. So wohl habe ich mich noch nie gefühlt. Ich habe schon überall auf der Welt gewohnt: in Kissing, Friedberg, Wertingen, Lauterbach, Ulm, Donauwörth, Leipheim. Jetzt verbringe ich den Sommer schon seit zwei Jahren in Reit im Winkl und den Winter im Süden von Teneriffa, ganz unten am Meer.
Sie scheinen sich das Leben nach 50 Jahren harter Arbeit und dem Aufstieg vom Kfz-Mechaniker-Lehrling zum Chef eines Unternehmens mit zuletzt 1080 Beschäftigten gut eingerichtet zu haben.
Prost: Am meisten freut mich, dass mich die Menschen in Reit im Winkl herzlich aufgenommen haben, auch wenn sie gar nicht wissen, dass ich der Prost bin. Sie sagen einfach: Setz Di her und trink a Maß. Ich mag die oberbayerische Deftigkeit. Die Menschen sind rau, aber herzlich. Und dem Trachtenverein bin ich auch beigetreten. Ich bin integriert. Das geht leichter als in Ulm. Früher habe ich nur Business-Leute rund um die Welt getroffen. Heute treffe ich Bauern, Schafzüchter, Almwirte, Jäger, Schwarzbrenner und Wilderer.
Bei allen Verlockungen der oberbayerischen Gemütlichkeit: Warum arbeiten Sie nicht wie so viele Unternehmer weiter und verzichten auf Rentner-Müßiggang?
Prost: Weil ich kaum Zeit für mich als Unternehmer gehabt habe: Jeden Tag 15 Stunden Arbeit, dauernd am Handy, auch wenn es meine große Leidenschaft war. Das ging nicht so weiter. Ich habe allen gesagt: Ich muss noch mal leben, ohne Verpflichtungen, ohne Terminkalender, ohne Druck, ohne Stress. Da bin ich Egoist. Ich habe eine Restlauf-Lebenszeit von zehn, 15 Jahren oder so. Jahrzehnte habe ich hart gebuckelt.
Da klingt nach vielen Entbehrungen.
Prost: Alles war zu wenig. Jetzt hole ich alles nach. Ich bin vorsätzlich faul. Andere Rentner, die ihr Leben lang beruflich Gas gegeben haben, können das nicht: Die drehen durch. Die müssen noch einen Business Angel machen, Berater werden oder Vorträge halten. Das ist mir so fern. Auf meiner Alm herrscht Müßiggang und Glück. Hier gelten die Gesetze der Liberalitas Bavariae. Jeden Tag danke ich meinem Herrgott, dass ich noch auf meine Harley raufkomme.
Gibt es keine Rückfälle in die alte Arbeitswut?
Prost: Für mich gilt das neue Prost’sche Gesetz: kein Business mehr. Ich reiße mich wirklich zusammen. Auch wenn ich manchmal Ideen hätte, wie der ein oder andere sein Geschäft erfolgreicher betreiben könnte, verkneife ich mir jeden Ratschlag. Wenn mich einer heute auf Liqui Moly anspricht, geht sofort der Blutdruck hoch und die Magensäure steigt. Dann kriege ich wieder einen roten Schädel und gestikuliere wild. Wie man halt so ist, wenn man ein Business-Man, eben ein Unternehmer- und Vollgas-Typ ist. Weil ich darum wusste, habe ich bei Liqui Moly einen klaren Schnitt nach der Rente gemacht. Heute schaue ich nur noch Kühe und Schafe an und gebe Ruhe.
Sie sind weg aus Ulm gegangen und aus Ihrem Schloss in Leipheim ausgezogen, in dem sie knapp 20 Jahre gelebt haben.
Prost: Das mit dem Schloss ging irgendwann nicht mehr, schließlich hat mich der Bürgermeister vertrieben. Er ließ einen Elektro-Poller einbauen, sodass meine Gäste und ich nicht mehr im Schloss-Hof parken konnten. Mein Schloss habe ich zwar noch, aber ich brauche es nicht mehr. Ich lebe dort nicht mehr. Es wird geputzt. Störche haben sich auf dem Dach niedergelassen. In Reit im Winkl habe ich etwas Besseres gefunden.
Verkaufen Sie das Schloss?
Prost: Das kauft doch kein Mensch. Wer kauft denn ein Schloss, wo man nicht vor die Türe fahren kann, weil der Bürgermeister einen Poller hingebaut hat. Mir ist das alles wurscht. Das Leben ist eine Reise. Die Station Leipheim ist vorbei. Irgendwann vererbe ich das Schloss, das ich einst für 320.000 Euro erworben und in das ich gut 700.000 Euro reingesteckt habe. Der gut 800 Jahre alte Kasten hat seine Pflicht erfüllt, ja hat mir Spaß gemacht, war er doch auch ein gutes Marketinginstrument. Geschäftspartner aus aller Welt haben gestaunt, wenn ich sie durch das Schloss geführt habe. Und Herr Würth hat mich auch mal dort besucht. Es gab Klöße mit Rotkohl.
Haben Sie keine Sehnsucht nach dem Dasein als Schlossherr?
Prost: Das ist mein altes Leben, ob es um das Schloss oder Liqui Moly geht. Am Ende hat mein Berufsleben keine neuen Erkenntnisse gebracht, keine Kicks mehr, keine Befriedigung. Jedes Jahr gab es wieder einen Rekord. Es wurde fad. Ich habe mich daran gewöhnt, wie sich die Menschen hier in Reit im Winkl an die schönen Berge und die Kühe gewöhnt haben. Irgendwann sieht man die Schönheit nicht mehr. Ich sehe jetzt aber die Schönheit der Berge in Reit im Winkl oder die schönen Sonnenuntergänge auf Teneriffa. Dort setze ich mich aufs Moped und fahr den Teide hoch.
Auf Teneriffa sind Sie mit Ihrer langjährigen Lebensgefährtin öfter auf den Teide hochgefahren. Doch nach Ihrer Rente trennten sich die Wege von Ihnen und Ihrer Freundin.
Prost: Vor der Rente habe ich meine Lebensgefährtin Kerstin nur alle paar Wochen gesehen. Dann sahen wir uns plötzlich öfter. Sie störte sich etwa an meinen langen Haaren und dem langen Bart. Wir kamen nach 15 Jahren Beziehung nicht mehr so gut klar wie früher. Kerstin ist gegangen.
Eine traurige Geschichte.
Prost: Letztlich weiß keiner von uns beiden so genau, warum wir uns getrennt haben. Wir sind dumm. Kerstin und ich sind aber immer noch gut befreundet. Es gab keinen Rosenkrieg. Kerstin ist der vertrauenswürdigste Mensch, den ich kenne. Meine in Freundschaft getrennte Ex-Liebe sorgt sich nach wie vor als Expertin um meine drei Stiftungen. Eine dieser Stiftungen kümmert sich um unverschuldet in Not geratene Menschen, eine um Afrika und eine dritte dient der Förderung des Friedens. Für Afrika müssen wir viel mehr tun. Da sterben Menschen, weil sie kein sauberes Wasser, keine Medizin und nichts zu essen haben. Die Menschheit hat nichts dazugelernt. Und Kriege führen wir immer noch. Man könnte am Menschen verzweifeln. Der Mensch ist eine Pest für den Planeten. Ich denke gerade darüber nach, eine vierte Stiftung für den Naturschutz zu gründen.
Das Benzin- und Ölzeitalter geht langsam zu Ende.
Prost: Hoffentlich.
Doch Sie haben damit als Schmierstoff-Hersteller viel Geld verdient.
Prost: Wir waren Teil des Systems, so wie alle. Es gibt keine umweltfreundlichen Produkte. Nicht einmal eine Banane ist umweltfreundlich. Ich habe mir angeschaut, wie in Costa Rica mit viel Gift Bananen gezogen werden. Auch unsere Klamotten sind nicht umweltfreundlich. Ich verwende keinen Weichspüler mehr, nachdem ich gelesen habe, wie umweltschädlich Weichspüler sein kann. Ich war immer schon ökologisch orientiert. Schon in der Realschule haben wir dazu Aufsätze geschrieben. Und ich habe in Wackersdorf gegen die Wiederaufbereitungsanlage demonstriert.
Sie hatten als junger Mensch eine wilde Phase durchlebt und waren auf Kreta und dem damaligen indischen Hippie-Paradies Goa unterwegs.
Prost (lacht): Ich habe eine Pause von knapp 50 Jahren gemacht und knüpfe wieder an meine wilde Hippie-Phase mit langen Haaren an. Beim Gaufest in Reit im Winkl habe ich mit 66 Jahren wieder mit grauen Haaren das Headbanging angefangen. Wenn ich gewusst hätte, wie schön das Rentner-Dasein ist, hätte ich diesen Beruf gleich nach der Realschule ergriffen.
Waschen Sie Ihre Wäsche eigentlich selbst? Wie verlief denn Ihre Reintegration in das normale Leben?
Prost: Mir wurde 30 Jahre alles abgenommen. Ich habe nichts mehr gemacht. Wieder den Alltag zu bewältigen, war eine wahnsinnige Herausforderung. Als ich das erste Mal Wäsche gewaschen habe, ist alles rosarot und himmelblau geworden. Ich wusste nicht, dass man nicht alles zusammenschmeißen darf. Einkaufen beim Discounter ist für mich eine Art Adventure-Ausflug. Mir war nicht klar, dass man in einen Einkaufswagen einen Euro reinschieben muss, damit die Kette aufgeht. Doch ich finde diesen Lernprozess über das Alltagsleben richtig gut.
Ihr Kaffee schmeckt jedenfalls schon.
Prost: Ich habe ja keine Angestellten. Ich wasche mein Auto und mein Motorrad wieder selbst. So komme ich runter in die Normalität, auch wenn das manchmal mit schmerzlichen Erkenntnissen verbunden ist.
Was schmerzt besonders?
Prost: Einmal habe ich den Müll runtergetragen und den Eimer gleich mit weggeworfen, weil ich an etwas anderes dachte. Manchmal bin ich wie ein zerstreuter Professor. Ich war halt ein Spezialist im Unternehmertum.
Auch mit dem Kochen haben Sie angefangen.
Prost: Ich wurschtel ein bisschen in der Küche rum. Das macht mit Spaß. Nudeln mit Soße oder Weißwürste klappen schon ganz gut. Mein Müsli mit Hafermilch kriege ich morgens auch hin. Ich lebe einfach.
Sie sind ein sozialer Mensch. Liqui Moly hat meist sehr gut verdient. Beschäftigte bekamen schon mal einen Bonus von 11.000 Euro und damit mehr als Porsche-Mitarbeiter.
Prost: Wir haben die gemeinsam erlegte fette Beute aufgeteilt – und zwar vom Pförtner bis zum Prokuristen. Den Gewinn haben wir ja auch zusammen eingefahren. Natürlich braucht es einen cleveren und fleißigen Anführer wie mich, der auch ein Gewissen hat. Ich sehe Mitarbeiter aber als Mit-Unternehmer. Ohne sie wäre ich ein Leader ohne Team gewesen.
Haben wirklich alle Beschäftigten 11.000 Euro bekommen?
Prost: Ja, auch ein südafrikanischer Lagerarbeiter hat 11.000 Euro bekommen, auch wenn das für ihn zwei bis drei Jahresgehältern entsprach. Manche in der Firma verstanden meine Entscheidung nicht. Für mich sind aber alle Menschen gleich. Warum soll ein südafrikanischer Lagerarbeiter weniger als ein deutscher Lagerarbeiter bekommen? Die fette Kohle muss verteilt werden. Ein südafrikanischer Lagerarbeiter kann das Geld besser brauchen als ein deutscher Prokurist. In komme von unten, von der Basis. Die fetten Boni haben dem Unternehmen Millionen gekostet.
Ganz schön viel Geld.
Prost: Aber die Beschäftigten haben sich das Geld ja verdient. Ich habe meinen Reichtum meinen Leuten zu verdanken. Der Bonus war kein Geschenk von mir. Das haben sich die Mitarbeiter hart erarbeitet. Robert Bosch hat einmal gesagt: „Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle.“ Das ist der Punkt.
Mit harter Arbeit haben Sie sich nach oben gearbeitet.
Prost: Ich bin Gabelstapler gefahren, ich habe Öl abgefüllt, im Außendienst als Vertreter gearbeitet und vor meiner Zeit bei Liqui Moly am Bau gearbeitet und Schwimmbäder gebaut. Meine Mutter ist als Donau-Schwäbin aus dem Gebiet des heutigen Serbiens vertrieben worden. Sie kam zunächst in ein Lager in Deutschland. Irgendwann landete unsere Familie in einer Sozialwohnung in Kissing südlich von Augsburg.
Sie kommen von ganz unten.
Prost: Mein Vater war Maurer. Er ist noch nach dem Krieg zu den Bauern zum Betteln gegangen. Bei uns war nichts da. In Kissing habe ich noch bis zu meinem zwölften Lebensjahr mit meiner Großmutter im gleichen Zimmer geschlafen. In den Urlaub wurde ich als Kind von der Arbeiterwohlfahrt geschickt. Das war schlimm damals in dem Ferienheim. Und dann habe ich noch eine fürchterliche Akne bekommen. Mit Pickeln im Gesicht und als Flüchtlings-Kind war ich ein Außenseiter. Sie nannten mich „Hufli“, also „Huren-Flüchtling“.
Diese Zeiten wollten Sie mit aller Macht hinter sich lassen.
Prost: Wenn man so wie ich ein armer Hund war, aber etwas haben möchte, ja etwas sein möchte, dann gibt man Gas. Zwei Dinge haben mich zu meinem Erfolg getragen: Ich wurde als Flüchtlings-Kind ausgegrenzt, ja gemobbt. Meine zweite Karriere-Raketenstufe war diese fürchterliche Akne. Da wurde ich noch mehr gehänselt. Das Mobbing wurde noch schlimmer. Andere mit so einer schlimmen Akne haben aufgegeben. Aus meiner Behandlungsgruppe im Münchner Klinikum rechts der Isar ist einer aus Verzweiflung vom Dach runtergesprungen. Ich habe gekämpft und mir gesagt: Euch zeige ich es! Ihr unterschätzt mich!
Wenn Sie schön und reich geboren wären, was wäre dann aus Ihnen geworden?
Prost: Ich hätte nie diese Karriere gemacht. Deshalb muss man die heutige Jugend mit Nachsicht beurteilen. Warum sollen die wie wir Vollgas geben und Tag und Nacht schaffen, auch wenn es Spaß gemacht hat? Doch am Anfang stand nicht der Spaß im Vordergrund: Ich wollte ein Bier kaufen, ein Moped fahren, eine Jeanshose haben, auch in den Urlaub fahren und ein Haus haben. Das ist der klassische Ehrgeiz, wenn Du aus der sozialen Unterschicht kommst. So habe ich die Realschule und die Lehre bestanden, ja schließlich Schwimmbäder gebaut und verkauft. Dann kam ich nach Neuburg an der Donau zu Sonax, dem Spezialisten für Auto-Pflege-Produkte. So ging das ab.
Haben Sie Ihre Chefs gefördert?
Prost: Die haben mich nicht gefördert. Die haben sich gefreut, dass ich Tag und Nacht geschafft habe und sich gedacht: Den Mann können wir gut brauchen. Aus der Rückschau ist für mich klar, warum ich nach oben kam: Ich war nie dumm, ich war ehrgeizig und das Mobbing gegen mich hat mich zum Arbeitstier gemacht. Ich wollte einfach nicht als Arschloch sterben. Und so habe ich es letztlich weit gebracht. Manche nannten mich sogar schon einen Philanthropen. Ich wusste erst gar nicht, was das ist.
Was dachten Sie zunächst, was das ist?
Prost (lacht): Zunächst dachte ich, es gehe um einen Briefmarkensammler. Dann habe ich den Ausdruck gegoogelt und gelesen, dass es hier um einen Menschen geht, der Gutes für andere Menschen tut. Und das mache ich ja mit meinen Stiftungen.
Woher rührt Ihr Engagement für andere Menschen?
Prost: Trotz aller Probleme habe ich als Kind viel Liebe erfahren, gerade von meiner Großmutter. Ich habe bis heute ein positives Welt- und Menschenbild. Ich will anderen Menschen helfen – und das mit meinem eigenen Geld. Ich bin schon ein wenig ein Weltverbesser, ja ein Idealist.
Weil das Leben es gut mit Ihnen gemeint hat? Wollen Sie der Gesellschaft etwas zurückgeben?
Prost: Die Gesellschaft hat mir gar nichts gegeben und es nicht gut mit mir gemeint. Die Gesellschaft hat mich als jungen Menschen genervt und gezwiebelt. Das war Mist. Ich habe mich allein durchgeboxt. Ich muss nichts zurückgeben. Ich zahle rund 50 Prozent an Steuern – und das gerne. Das reicht. Ich habe mich auch immer für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer eingesetzt, aber nur wenn der Staat anders als heute sparsam mit Steuergeldern umgeht und das Geld nicht für allen möglichen Blödsinn verballert. Der Staat kann leider mit Geld nicht umgehen.
Warum engagieren Sie sich dann sozial, wo Sie doch nichts an die Gesellschaft zurückgeben wollen?
Prost: Etwa, weil viele Menschen in Deutschland nicht von dem leben können, was sie verdienen. So soll der Mindestlohn zum 1. Januar 2024 von jetzt zwölf nur auf 12,41 Euro steigen, was viel zu wenig ist, gehen die Kosten doch durch die Decke. Ich weiß, wie es sich anfühlt, kaum Geld zu haben. Andererseits fahren Unternehmen Rekordgewinne ein. Wie passt das zusammen? Schließlich sind es die arbeitenden Menschen, die den Wohlstand erzeugen. Diese Menschen verdienen mehr Aufmerksamkeit. Ich habe jedenfalls immer Respekt, Toleranz und Nächstenliebe verspürt und praktiziert.
Auch im harten internationalen Wettbewerb?
Prost: Ich habe als Geschäftsmann stets die Kultur und Religion von Menschen aus anderen Ländern respektiert, ob sie aus Aserbaidschan, Indien oder China kommen. Deshalb habe ich mich mit dem Exportgeschäft so leichtgetan. Meine Geschäftspartner merkten schnell, dass ich sie mag, ja respektiere und ihnen nicht den deutschen Michel überstülpe. Wenn die einen Reiswein und kein Bier wollten, haben sie eben einen Reiswein bekommen. Ich mag Menschen. Marketing ist, das zu tun, was der Kunde will und nicht was einem irgendwelche Marketing-Fuzzis aus Düsseldorf einreden wollen.
Wie funktioniert Marketing à la Prost?
Prost: Ich habe die Leute gefragt: Wie schaut es denn da hinten aus in Deinem Kasachstan, Deinem Nigeria, Deinem Südafrika oder Deinem Mexiko? Ich bin dort hingeflogen und habe mit dem Kunden und Autowerkstätten geredet und geschaut, was die Menschen brauchen. Das war für mich Prag-Marketing, eben pragmatisches Marketing. Ich bin ich nicht wie ein Klugscheißer aufgetreten, sondern ich bin auf die Kunden eingegangen. Ich habe weder bei Sonax noch Liqui Moly eine Marketing-Agentur engagiert. Ein paar Mal haben wir es probiert.
Mit welchem Erfolg?
Prost: Da kamen dann so Burschen mit Cowboystiefeln und hoch gezwirbelten Bärten aus Düsseldorf und haben irgendwelche Koffer hinter sich hergezogen. Dann habe ich sie gefragt, ob sie schon einmal in einer Autowerkstatt waren oder ob sie bestimmte Länder und Märkte kennen. Doch da kannten sie sich überall nicht aus. Ich habe dann die Dienste dieser Leute nicht in Anspruch genommen, weil ich zutiefst überzeugt bin: Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht umgekehrt. Es nutzt nichts, wenn aus Düsseldorf irgendwelche Marketing-Leute und Klugscheißer kommen und irgendwelche Konzepte verkünden.
Wie funktioniert das Konzept „Prost“? Verraten Sie doch Ihr einstiges Geschäftsgeheimnis.
Prost: Ich bin zu den Kunden rausgefahren, habe mich mit ihnen hingehockt und sie gefragt: Wie schaut denn das alles aus? Wie ist Dein Tag? Wie kann ich Dir helfen, Dein Geschäft wirtschaftlich zu verbessern? So ist mein Marketing- und Vertriebs-Konzept entstanden: Nicht weil das aus meinem Schädel herauskam, sondern weil ich zugehört habe. Ich habe die Leute lokal abgeholt.
Wie funktioniert das?
Prost: Wenn der Huber Sepp oder der Meier Michi an ihrer Werkstatt ein Liqui-Moly-Schild haben, bringt das mehr, als wenn ich im Playboy oder in der Auto-Bild eine Anzeige schalte. Damit der Huber Sepp oder der Meier Michi aber ein Liqui-Moly-Schild an ihre Werkstatt hängen, muss ich als Unternehmen reizvoll sein. Deshalb haben wir etwa Winter- oder Motorsport im großen Stil gesponsert und uns auch einmal beim TSV 1860 München engagiert, als der Verein noch in der Ersten Bundesliga war. Das hat die Attraktivität der Marke gesteigert. Durch den Erfolg konnte ich das Unternehmen schrittweise übernehmen.
Wie ist Ihnen das gelungen?
Prost: Ich habe mich über beide Ohrwascheln verschuldet und musste meine Uhr und meine Harley als Sicherheit angeben. Reinhold Würth wurde dann stiller Teilhaber der Firma. Ich bewundere ihn und bin ihm freundschaftlich verbunden. Nachdem mein Sohn das Unternehmen nicht übernehmen wollte, habe ich mit Würth einen Vertrag auf Gegenseitigkeit geschlossen: Ich konnte demnach die Firma an keinen anderen als ihn verkaufen. Umgekehrt musste er Liqui Moly komplett zu einer definierten Preisformel kaufen, wann immer ich das wollte. Und ich wollte ja dann.
Kein schlechter Deal für Sie.
Prost: Das Konzept haben Herr Würth und ich ausgekaspert. Wir beide vertrauen einander. Er ist eines meiner großen Vorbilder. Ich kenne ihn ewig. Da waren damals viele bei mir, ob Shell, Esso oder Heuschrecken, die gerne mit mir ins Geschäft gekommen wären. Der Würth-Deal war gut: Ich war hoch verschuldet und der Laden hing an mir. Was wäre gewesen, wenn mir etwas passiert wäre? Was ist, wenn ich vom Motorrad gefallen wäre, was ein paar Mal passiert ist? Ich brauchte ein Backup, eine Sicherheit für meine Familie und die Beschäftigten. Der Vertrag war clever, weil ich eine Exit-Option hatte. Wann immer ich wollte, konnte ich sie ziehen. So konnte ich in Rente gehen.
Mit reichlich Geld von Würth.
Prost: Scho.
Könnte Sie das „Scho“ präzisieren? Wie viele Nullen hat das „Scho“ hinten dran?
Prost (lacht): Nein, zum Verkaufspreis mache ich keine Angaben. Aber er war natürlich ordentlich, hatten wir doch zuletzt schon mal gut 50 Millionen Euro im Jahr vor Steuern verdient.
Beruhigt Geld?
Prost: Natürlich. Wenn man kein Geld hat, ist es blöd. Und wenn man Geld hat, ist es auch schwierig, muss man es doch anlegen. Und dann hat man Angst, Geld zu verlieren. Ich war nie ein Geld-Mensch. Ich weiß heute noch nicht, wie viel Geld ich habe. Die Kerstin, meine frühere Lebensgefährtin, weiß das. Ich habe mein Geld immer bei der Volksbank angelegt, etwa auf Tagesgeldkonten. Dann musste auch ich in der Nullzins-Ära Strafzinsen zahlen. So habe ich das erste Mal in meinem Leben Aktien gekauft.
Wo sind Sie eingestiegen? Haben Sie einen heißen Tipp?
Prost: Was macht ein deutscher Unternehmer? Er kauft sich Dax-Fonds. Doch ich bin der Versuchung erlegen, in die Dax-Anlagen immer wieder reinzuschauen. Dann hast Du an einem Tag eine Million mehr und am anderen eine Million weniger. Geld beruhigt nicht, weil man Angst hat, die Kohle könnte wieder futsch sein. Nach meinem Verkauf an Würth sind hier reichlich Anlageberater mit allerlei Versprechen aufgeschlagen, wie ich mein Geld deutlich vermehren könne. Ich habe ihnen dann gesagt: Wozu brauche ich denn noch mehr Geld? Ich habe doch genügend Geld.
Man kann aber lesen, Sie hätten ein beruhigendes dreistelliges Millionen-Vermögen.
Prost (lacht): Was in der Zeitung steht, stimmt. Spaß beiseite: Ich werde es Ihnen nicht verraten. Außerdem habe ich mit alldem abgeschlossen und will eigentlich nicht mehr groß darüber reden. Ich genieße jetzt die Freiheit und mache, was ich für richtig halte. Aber natürlich denke ich weiter über unsere Gesellschaft nach.
Was kommt Ihnen da in den Sinn?
Prost: Das Umfrage-Hoch der AfD besorgt mich. Doch ich bin überzeugt: Die kommen nicht ran an die Regierung. Die Umfrageergebnisse der AfD sind das Ergebnis der Wut vieler Menschen über die Politik der Ampel-Regierung, aber auch der Vorgänger-Regierung. Menschen spüren, dass unser Land sich im Stillstand befindet: Die Brücken bröckeln, Schulen sind marode und Gesundheitsbehörden faxen. Die Menschen haben die Faxen dicke.
Doch die AfD wird immer radikaler.
Prost: Das Gedankengut der AfD ist verheerend. Anders als die Partei das suggeriert, ist Europa der Glücksgriff für Deutschland und unsere Wirtschaft. Wenn die AfD das kaputt hauen will, fehlen diesen Politikern jegliche Kenntnisse über den Segen unserer international arbeitsteiligen Wirtschaft. Die Europa-Kritik der AfD ist ein dummes Geschwätz. Deutschland ist der größte Profiteur der EU und der Globalisierung. Zwei Drittel meines früheren Geschäfts bei Liqui Moly gingen ins Ausland. Wenn wegen der AfD der Export in Deutschland einbricht, können wir alle wieder Schaf-Bauern werden. Und die AfD-Politiker müssen doch einsehen: Deutschland hat seinen Wohlstand größtenteils den Gastarbeitern zu verdanken. Ich bin jedenfalls überzeugt: Die AfD wird, wie einst die Republikaner, verschwinden. Wenn die Verantwortlichen in Berlin wieder eine gute Politik machen, erledigt sich das Problem AfD von selbst.
Zur Person: Ernst Prost, 66, wurde im oberbayerischen Altötting geboren. Bis er Ende 2017 seine Unternehmensanteile an die Würth-Gruppe verkaufte, war er Inhaber und geschäftsführender Gesellschafter des Ulmer Schmiermittelherstellers Liqui Moly.