Ihre Mutter, die Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia, wurde durch eine Autobombe getötet, weil sie über Politik und Korruption in Malta berichtete. Wie erinnern Sie sich an die Jahre, die dem Anschlag vorausgingen? Was ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Matthew Caruana Galizia : Einmal wurde unser Hund mit durchgeschnittener Kehle als warnende Botschaft auf der Türschwelle zurückgelassen. Als ich etwa neun Jahre alt war, setzte jemand die Eingangstür unseres Hauses in Brand. Meine Mutter war die damals wichtigste Journalistin des Landes und hatte sehr gute Quellen. Es gab Zeiten, in denen sie uns für zwei Wochen von der Schule nahm und wir in einem Haus auf einer anderen Insel lebten. Aber meine Eltern taten alles, was sie konnten, um uns ein normales Leben zu ermöglichen.
Wie nah ließ Ihre Mutter die Einschüchterungsversuche an sich herankommen?
Galizia: Sie hatte eine stoische Persönlichkeit. Sie sah es als ihre Aufgabe als Journalistin an, Missstände aufzudecken und zu dokumentieren, was vor sich geht. Aber sie machte sich natürlich Sorgen wegen der Drohungen. Einmal sagte sie zu meinem Bruder: "Sie versuchen, mich bei lebendigem Leib zu frittieren."
Gegen Ihre Mutter liefen zum Zeitpunkt ihres Todes 43 Verleumdungsklagen, mit denen man sie zum Schweigen bringen wollte.
Galizia: Ja, sie haben am Ende den größten Teil ihrer Zeit in Anspruch genommen.
Was ist aus den Klagen geworden?
Galizia: Alle wurden von meiner Familie geerbt, was schockierend war. Einige wurden später fallen gelassen. Andere laufen noch heute, wie die Klage, die vom Premierminister angestrengt wurde. Die effektivsten Klagen sind die, die sich ewig hinziehen. Im Fall meiner Mutter sogar über ihren Tod hinaus.
Haben Sie das Gefühl, dass sich seit ihrem Mord vor sechs Jahren etwas verändert hat?
Galizia: 2019, nach der Verhaftung von Yorgen Fenech (der Geschäftsmann gilt als Drahtzieher des Attentats, Anm. der Redaktion) und dem Rücktritt von Premierminister Joseph Muscat, sah ich eine Chance; als eine Menge schlechter Leute aus der Polizei und der Staatsanwaltschaft entlassen wurden. Aber mittlerweile herrscht in Malta das Gefühl, dass die Korruption sogar noch schlimmer wird.
Warum?
Galizia: Weil kaum jemand zur Rechenschaft gezogen wird. Kein einziger hochrangiger Beamter wurde wegen Korruption strafrechtlich verfolgt. Man hat das Gefühl, dass die Mehrheit der maltesischen Bevölkerung die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommt, während für eine bestimmte Klasse von Menschen, die wohlhabend, mächtig und einflussreich in der Labour-Partei sind, absolute Anarchie herrscht. Sie können tun, was sie wollen, und kommen damit durch.
Dachte Ihre Mutter jemals, dass es in Malta so gefährlich werden könnte, dass ihr Leben bedroht sein könnte? Vor allem nach dem EU-Beitritt im Jahr 2003?
Galizia: In den 90er Jahren und Anfang der 2000er ging es aufwärts. Meine Mutter kämpfte mit aller Macht dafür, dass Malta der EU beitritt. Wir erwarteten, dass unsere Mitgliedschaft den Menschen mehr Schutz vor staatlichem Missbrauch bieten und eine Rückkehr zu der Situation in den 1970er und 1980er Jahren verhindern würde. Damals wurde man noch verprügelt, wenn man zu einer Demonstration ging. Kriminalität und Korruption waren völlig außer Kontrolle. Aber der Beitritt hat nur Öl ins Feuer gegossen. Er hat unser Rechtssystem, unsere Verfassung, Regierungskultur und demokratische Kultur nie grundlegend verändert. In der EU zu sein, brachte dafür eine Menge Geld. Das eröffnete viele Möglichkeiten für Kriminelle, insbesondere in der Labour-Partei, die gegen die EU-Mitgliedschaft war und heute an der Regierung ist.
Würden Sie sich wünschen, dass die EU mehr zur Bewältigung des Problems beiträgt?
Galizia: Die EU überschwemmt Malta weiterhin mit Geld, ohne dass das Land dafür Rechenschaft ablegen muss. Aber es gibt einige Dinge vonseiten der EU, die hilfreich sind, zum Beispiel die Anti-SLAPP-Richtlinie.
Sie sprechen von der geplanten Richtlinie mit dem Spitznamen "Daphne’s Law", die Journalisten und Aktivisten, die Missstände publik machen, vor schikanösen Klagen schützen soll.
Galizia: Wenn sie in ihrer ursprünglichen Form durchkommt, würde sie helfen, Journalisten in Malta und der ganzen EU zu schützen. Unabhängigen Journalismus wird es nicht mehr geben, wenn es weitergeht wie jetzt.
Die EU-Kommission hat 2022 eine strenge Verordnung vorgeschlagen, die vom EU-Parlament unterstützt wurde. Doch die 27 Mitgliedstaaten versuchen gerade, sie zu entschärfen, weil sie eine Überregulierung durch die EU fürchten. Derzeit laufen die Verhandlungen über einen Kompromiss. Nach der aktuellen Fassung würde die Richtlinie etwa nicht für Kläger gelten, die im selben Land wie der Beklagte leben. Wie bewerten Sie die Lage?
Galizia: Ich bin enttäuscht. Das, was aktuell von dem Gesetz übrig geblieben ist, hätte unsere Mutter nicht geschützt. Die Haltung von Deutschland und nordischen Staaten ist egoistisch, ganz nach dem Motto: Unser Land hat kein Problem, warum sollten wir also etwas dagegen tun? Dabei betrifft die Korruption in Malta viele EU-Staaten wie Lettland, Zypern oder Italien. Ein anderes Beispiel: Malta verkauft goldene Pässe, ermöglicht also Einbürgerungen im Austausch gegen Investitionen. Das ist etwas, worüber sich Deutschland große Sorgen macht. Wer deckt die Missstände auf? Journalisten. Die Integrität der europäischen Demokratie und der EU hängt davon ab, dass Journalisten gleichermaßen in der gesamten EU und nicht nur in bestimmten Ländern geschützt werden. Deshalb brauchen wir umso mehr die Unterstützung Deutschlands und anderer großer Akteure für eine strengere Richtlinie.