Herr Habeck, Sie haben mit dem Heizungsgesetz für viel Aufregung gesorgt, wahrscheinlich mehr, als Ihnen lieb war. Jetzt soll das Gesetz direkt nach der Sommerpause durch das Parlament gehen, die Opposition verlangt Änderungen. Was wird am Ende rauskommen?
Robert Habeck: Die Inhalte des Gesetzes sind in der Koalition geeint und Anfang September berät das Parlament es abschließend. Es ist ein wegweisendes Gesetz, das über verschiedene Stufen und Übergangsregeln dazu führen wird, dass Deutschland sich beim Heizen von Öl und Gas löst und mit erneuerbaren Energien heizt. Die Debatte über die Heizungen wurde im Ton laut geführt, sicher zu laut, aber in der Sache ist sie eine wichtige gewesen.
Warum?
Habeck: Sie hat deutlich gemacht, dass Klimaschutz konkret werden muss. Deutschland verbraucht 30 Prozent seiner Energie im Wärmebereich. Wir reden hier über Wirkungen für die nächsten Jahrzehnte.
Parallel dazu arbeiten Sie an der Regelung über die Förderung von Wärmepumpe und anderen umweltfreundlichen Heizungen. Steht schon fest, wer wie viel Zuschuss erhalten kann?
Habeck: Das ist bei der Einigung zum Gebäudeenergiegesetz politisch mitbeschlossen worden. Wir setzen die Beschlüsse der Fraktionen jetzt rechtlich um. Im Kern kann man sagen, dass es eine Grundförderung von 30 Prozent und einen zusätzlichen Bonus von bis zu 20 Prozent für diejenigen gibt, die gleich in den nächsten Jahren die Heizung tauschen. Für Haushalte mit einem Einkommen von bis zu 40.000 Euro pro Jahr soll es einen weiteren Bonus geben, sodass man maximal bis zu 70 Prozent gefördert bekommt. Das ist wirklich eine sehr gute Förderung.
Wo kann man die Anträge stellen?
Habeck: Wir wollen, dass es einfach für die Verbraucherinnen und Verbraucher wird, Anträge zu stellen. Es gibt ja neben dem Zuschussprogramm auch ein Kreditprogramm der KfW, über das Hausbesitzer zusätzlich günstige Darlehen für die energetische Sanierung bekommen können. Ich möchte, dass es so übersichtlich wie möglich wird.
Sie starten am Donnerstag zu einer zweitägigen Reise durch Bayern und Baden-Württemberg und besuchen junge Unternehmen. Im Zentrum steht nicht die Heizungs-, sondern Raketentechnik. Was interessiert Sie daran?
Habeck: Ich freue mich sehr darauf. Ich besuche zwei junge Unternehmen in Bayern und eines in Baden-Württemberg. Alle drei arbeiten an kleineren Raketen, die Satelliten bis zu 1000 Kilogramm Gewicht ins All bringen können. Wirtschaftspolitisch ist vor allem spannend, dass wir solche Unternehmen haben, die auf dem globalen Markt mitspielen können. Das ist Hightech aus Deutschland, die wir stärken wollen. Damit verknüpft ist eine hochpolitische Frage: Wie wird der Zugang zum All organisiert? Da muss man sagen, dass es um die europäische Souveränität nicht gut bestellt ist.
Es gibt doch das Ariane-Raketenprogramm.
Habeck: Bei den größeren Trägerraketen steckt Europa aktuell in einer Krise. Das Programm zur Entwicklung der neuen Ariane 6 ist verzögert. Die mittelgroße sogenannte Vega-C-Rakete hatte Ende 2022 einen Fehlstart. Im Moment hat Europa damit keinen eigenen Zugang zum All. Elon Musk ist es, der mit seinem Unternehmen SpaceX die europäischen Satelliten ins All befördert. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Das führt mich zu diesen jungen Unternehmen, weil die eben im Wettbewerb stehen und sich als leistungsfähig bewiesen haben.
Braucht Deutschland einen eigenen Weltraumbahnhof?
Habeck: Für Europas Zugang zum All haben wir nur eine Chance, wenn wir auf eine europäische Lösung setzen. Das ist ja auch der enorme Vorteil der Europäischen Union: Wir können solche großen Aufgaben gemeinsam angehen, es muss nicht jeder alles selbst machen. Zudem wird es vor allem dann marktwirtschaftlich, wenn der Staat Aufträge verteilt. Wir haben in den USA gesehen, das ein Wettbewerb, bei dem Startdienstleistungen ausgeschrieben werden, ein wesentlicher Katalysator sein kann.
Sie haben in den zurückliegenden Wochen viele Unternehmen in Deutschland besucht. Die Stimmung in der Wirtschaft hat sich eingetrübt, es droht ein milder Abschwung. Woran liegt das?
Habeck: Die Lage ist aktuell nicht einfach, das stimmt. Es gibt mehrere Gründe dafür und natürlich müssen wir auch handeln. Daher habe ich Vorschläge für einen Industriestrompreis vorgelegt. Aber noch mal zu den Gründen: Wir haben gewachsene, strukturelle Probleme, die lange nicht bearbeitet wurden, wie zum Beispiel der Fachkräftemangel oder die langatmigen Genehmigungsverfahren. Der zweite Grund ist die hohe Abhängigkeit von fossilen russischen Importen, die wir in der Vergangenheit hatten. Wir haben sie überwunden, aber es war ein schmerzhafter Prozess, und das wirkt nach. Drittens schwächelt auch die internationale Nachfrage, was ein Exportland wie Deutschland härter trifft als andere. Viertens kommt hinzu, dass die USA mit einem riesigen Förderprogramm die Produktion grüner Technologie hochziehen, was die Importe aus Deutschland dämpft. Und natürlich ist es enorm wichtig, die Inflation zu bekämpfen. Allerdings, das gehört zur Wahrheit dazu, macht das gestiegene Zinsniveau Investitionen teurer, weshalb Unternehmen sich zurückhalten.
Und wo ist es jetzt die gute Nachricht?
Habeck: Das alles ist sehr anspruchsvoll und es gibt da kein Schwarz-Weiß. Weder braucht es Schönfärberei, noch braucht es die German Angst, dass alles dem Niedergang geweiht ist. Denn bei allen Schwierigkeiten, sollten wir immer sehen: Wir haben leistungsfähige Betriebe, einen starken, innovationsfähigen Mittelstand, kluge Köpfe. Und die Industrie erneuert sich. Die Stahlindustrie macht sich auf den Weg und will klimaneutralen Stahl bauen. Es gibt so vieles, worauf wir stolz sein können. Diese Stärken gilt es zu stärken.
Um der Industrie zu helfen, machen Sie sich für die Einführung eines rabattierten Strompreises stark. Unklar ist, wo die Milliarden dafür herkommen sollen. Finanzminister Lindner will das Geld zusammenhalten. Sind Sie schon weiter?
Habeck: Wir haben im letzten Jahr 200 Milliarden bereitgestellt, um den Energiepreisschock abzufangen. Mit einigem Erfolg, die Märkte haben sich stabilisiert. Deshalb mussten wir für die Preisbremsen bislang nur rund 18 Milliarden Euro ausgegeben. Aber gerade für die energieintensiven Betriebe, die im harten internationalen Wettbewerb stehen und mitten in der grünen Transformation stecken, sind die Preise schwer zu stemmen. Es ist doch nur folgerichtig, dass wir diese Unternehmen jetzt nicht hängen lassen und ihnen beim Strompreis helfen. Die Frage ist doch: Werden die Prozesse hier in Deutschland grün werden oder anderswo? Leider es gibt beim Industriestrompreis noch keine einstimmige Meinung in der Regierung. Ich habe den Vorschlag vorgelegt und seit einigen Wochen beraten wir darüber. Ich kann nur deutlich sagen: Wir haben keine Zeit zu verlieren.
Rechnen Sie damit, dass es im Herbst noch mal Aufregung wegen hoher Betriebskostenabrechnungen geben wird?
Habeck: Das richtet sich danach, woher die Energiekonzerne ihren Strom beziehen. Wenn sie am Spotmarkt einkaufen, dürfte es da keine großen Probleme geben, denn die Spotmarktpreise sind in der Tendenz gesunken. Wenn die Versorgung mit Strom und Gas auf lang- und mittelfristigen Verträgen fußt, werden die Abrechnungen höher sein. Aber dann greift die Gas- und Strompreisbremse. Sie federt die schlimmsten Belastungen ab.
Die Bremse läuft Ende des Jahres aus.
Habeck: Ja, das ist richtig. Ich werbe aber dafür, dass wir sie nochmals verlängern, und zwar bis Ende des Winters. Genauer gesagt, bis Ostern. Denn die Preisbremsen wirken wie eine Versicherung gegen steigende Preise. Wenn die Preise fallen und unter dem Deckel von 40 Cent bei Strom oder zwölf Cent bei Gas für private Verbraucher liegen, dann braucht man die Bremsen nicht. Aber wenn doch etwas passieren sollte, ist die Absicherung eben auch im kommenden Winter noch da. Wir reden daher bereits mit der EU-Kommission darüber.
Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit der Abnabelung von russischer Energie?
Habeck: Vor ziemlich genau einem Jahr hat Russland seine Gaslieferung eingestellt, um die marktwirtschaftliche Ordnung in Deutschland zu zerstören. Das war das Ziel – und Putin hat sich komplett verrechnet. Dass sein Plan nicht aufgegangen ist, dass wir uns anders versorgen und neue Verträge machen konnten, dass wir schneller unabhängig wurden als gedacht, ohne extreme Verwerfung zu haben, das war eine starke Gemeinschaftsleistung.
Sie haben sich früher als andere für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Jetzt läuft die ukrainische Gegenoffensive und die zeigt: Angreifen ist schwieriger als verteidigen. Die Ukrainer wollen gerne noch mehr Waffen. Bekommen sie die auch?
Habeck: Mit Verlaub, Sie sprechen von Angreifen. Wir sollten aber nie vergessen: Russland ist der Angreifer, und die Ukraine führt die Gegenoffensive, um ihre territoriale Souveränität zu verteidigen. Zur Frage der Waffen: Meine Haltung hat sich nicht geändert. Ich habe schon vor dem Angriff auf die gesamte Ukraine nicht verstanden, wie man sich angesichts einer so klaren Bedrohung auf eine Position der Neutralität zurückziehen kann. Deswegen habe ich mich dafür ausgesprochen, die Ukraine mit Waffen zu versorgen. Das aber war auch damals schon kein leichter Satz, denn es geht um Waffen zur Selbstverteidigung, die aber Menschen töten. Das ist die bittere Wahrheit dieses russischen Angriffskriegs. Deswegen verbietet sich auch in der aktuellen Debatte jede Leichtfertigkeit.
Was heißt das für die Lieferung von Kampfjets?
Habeck: Was Kampfjets angeht, so sind wir erst mal gar nicht gefragt. Die von der Ukraine ins Auge gefassten Jets sind entweder amerikanische Modelle oder russische MiG-29. Letztere haben wir nicht und bei der Lieferung von US-Jets sollten wir uns nicht in den Weg stellen.
Sind Waffenlieferungen an die Ukraine ein Thema, bei dem der Kanzler letztlich für sich entscheidet, oder geschieht das im Dialog mit dem Kabinett?
Habeck: Wir haben da mittlerweile ein eingespieltes System und einen gemeinsamen Weg. Bis zur Entscheidung über die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern haben wir sehr viel miteinander diskutiert. Es gab unterschiedliche Meinungen oder Gewichtungen, am Ende aber, so ist die Ordnung innerhalb der Bundesregierung, entscheiden wir immer einstimmig. Das heißt, der Kanzler braucht uns und wir brauchen den Kanzler.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat erklärt, er wolle über die reine Selbstverteidigung hinaus russisches Gebiet angreifen. Kann die Regierung sicher sein, dass er das nicht mit deutschen Waffen tut?
Habeck: Der ukrainische Präsident hat das so nicht gesagt, das möchte ich ausdrücklich klarstellen. Unsere ukrainischen Partner haben immer wieder betont und politisch zugesichert, dass die von Deutschland gelieferten Waffen nicht für Angriffe auf Ziele außerhalb des ukrainischen Territoriums zum Einsatz kommen. Damit es formal wie politisch ausgeschlossen.
Die Außendarstellung der Koalition, haben Sie gesagt, sei bisher kritikwürdig gewesen. Was soll besser werden nach der Sommerpause? Oder um ein Bild aus dem Handballsport zu verwenden, dem Sie sehr zugetan sind: Von außen betrachtet verhaken sich vor allem FDP und Grüne. Die einen stürmen vor, die anderen stellen den Abwehrblock, und dann knallt es. Ein raffinierter Kempa-Trick ist eher selten. Stimmt der Eindruck?
Habeck: Also zunächst einmal habe ich gesagt, dass sich die Leistungsbilanz der Ampel mehr als sehen lassen kann. Ich nenne nur mal die Beispiele Zuwanderungsrecht, Ausbau der erneuerbaren Energien, Vereinfachung von Genehmigungsverfahren oder Unterstützung der Ukraine. Man muss aber auch sagen, dass Selbstdarstellung und Kommunikation an manchen Stellen zu laut waren. Ich glaube, man muss auch mal schweigen können, Dinge überhören und nicht über jedes Stöckchen springen. Um in der Handball-Sprache zu bleiben: Wir haben es seit der Regierungsbildung immer wieder geschafft, die Dinge mit Kraft doch noch ins Tor zu wuchten. Aber die Eleganz eines Kempa-Tricks haben wir noch zu selten zelebriert.
Die AfD ist gerade die einzige Partei, die steigende Umfragewerte verzeichnet. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Es gibt die Debatte über eine mögliche Annäherung, die CDU-Chef Merz losgetreten hat. Der Kanzler fordert den Zusammenhalt der Demokraten, um auf diese Entwicklung zu reagieren. Wo steht der Vizekanzler, wo steht Ihre Partei in dieser Frage?
Habeck: Wir leben in einer Phase der Veränderung. Es gibt Krisen, Kriege. Viele Menschen sind zu Recht verunsichert. Regierung und Opposition müssen gerade jetzt Sicherheit geben, Vertrauen aufbauen und es sich immer wieder neu erwerben. Über die Regierung haben wir gesprochen, wir haben vieles gut hingekriegt, haben durch zu viel öffentlichen Streit aber auch Vertrauen verspielt. Da müssen wir besser werden. Aber auch die demokratische Opposition hat die Aufgabe, am Vertrauen in unsere liberale Demokratie zu arbeiten und ihren Teil für den Zusammenhalt beizutragen. Da scheint mir gerade die Union orientierungslos zu sein und Orientierungslosigkeit bedeutet dann eben auch einen Vertrauensverlust. Um es deutlich zu sagen: Wir brauchen eine funktionierende konservative Partei in Deutschland. Wir sehen in anderen Ländern: Da, wo konservative Parteien nicht funktioniert haben und sich dem Rechtspopulismus angedient haben, sind die als relevante Kräfte verschwunden. Ich hoffe sehr, dass die Union diese Debatte sehr reflektiert führt.
Wir haben Sie einmal dabei beobachten können, wie Sie auf dem Rennrad mit einem Affenzahn ins Kanzleramt gedüst sind. Ist Radfahren das neue Handball?
Habeck: Mein Sport ist nach wie vor der Handball. Aber leider schaffe ich es fast nie, ein Spiel zu schauen. Ich habe ein Rennrad, ja, und um die Frage vorwegzunehmen: Auch die Tour de France konnte ich in den eng getakteten letzten Wochen leider nicht wirklich verfolgen.