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Berlin
"Die Spionagetätigkeit in Deutschland hat deutlich zugenommen"
Die drei deutschen Geheimdienste sollen effektiver kontrolliert werden. Es geht auch darum, Terroranschläge wie den vom Berliner Breitscheidplatz zu verhindern.
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Foto: Wolfgang Kumm, dpa | Der Bundesnachrichtendienst ist einer von drei Geheimdiensten in Deutschland. Die Politik will sie stärker kontrollieren.
Stefan Lange, Bernhard Junginger
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:36 Uhr

Herr Thomae, die beiden ehemaligen BND-Chefs Hanning und Schindler beklagen, dass die deutschen Geheimdienste zu sehr von der Politik kontrolliert werden. BND, MAD und Verfassungsschutz seien „zahnlose Wachhunde mit Maulkorb und Eisenkette“. Jetzt kommen Sie und fordern noch mehr Kontrolle. Wer hat denn nun recht?

Stephan Thomae: Unsere Nachrichtendienste leisten einen entscheidenden Beitrag für die Sicherheit unseres Landes. Aber sie brauchen Legitimation und Vertrauen von Gesellschaft und Politik. Niemand soll sagen, dass die Geheimdienste in Deutschland ein unkontrolliertes Eigenleben führen. Die behördliche und parlamentarische Kontrolle hindert sie nicht daran, ihre Aufgaben gut zu erfüllen, sondern ist die Voraussetzung dafür, dass sie effektiv arbeiten können.

Aber es gibt ja schon eine Kontrolle. Sie haben beispielsweise das Parlamentarische Kontrollgremium, Sie haben ein Kanzleramt, das sich regelmäßig um die Geheimdienste kümmert.

Thomae: Richtig, aber die Kontrolle ist auf viele Kontrollgremien verteilt. Sie ist unübersichtlich und zersplittert. Deshalb wollen wir die Kontrolle besser bündeln und dafür sorgen, dass die Kontrollinstanzen sich besser untereinander austauschen. 

Und wie?

Thomae: Wir wollen die Kontrolle der Nachrichtendienste einfacher und wirksamer gestalten. Außerdem müssen wir neu regeln, wann Informationen, die die Nachrichtendienste gewonnen haben, weitergegeben werden dürfen, zum Beispiel an Polizeibehörden. Weil das Bundesverfassungsgericht die aktuelle Praxis in Teilen für verfassungswidrig erklärt hat, hat das Kabinett zu diesen sogenannten Übermittlungsbefugnissen bereits ein Gesetzespaket beschlossen. Eine Übermittlung personenbezogener Daten darf demnach nur dann erfolgen, wenn wenigstens eine konkrete Gefahr für ein besonders gewichtiges Rechtsgut vorliegt, wie wir Juristen es nennen. Wenn es also etwa um Leib, Leben und Freiheit sowie die Sicherheit des Bundes oder eines Landes geht.

Ein Beispiel bitte.

Thomae: Nehmen Sie den Bau einer Bombe oder einer biologischen Waffe. Sammelt da jemand nur Informationen im Internet für ein Referat? Oder besorgt er sich Zutaten und Material, um daraus wirklich eine Bombe zu bauen? Das wäre spätestens der Zeitpunkt, wo eine konkrete Gefahr besteht und die zuständigen Behörden eingeschaltet werden müssen.

Hm, also wenn sich jemand mit dem Bau einer potenziellen Massenvernichtungswaffe beschäftigt, dann wären wir als Bürger aber froh, wenn sich Behörden da schnell austauschen.

Thomae: Das passiert ja auch. Aber es macht Sinn zu überlegen: Geht es nur um ein Gespräch in der Kneipe? Oder will da jemand den Überlegungen wirklich Taten folgen lassen? Das ist eine Gratwanderung, für die der Gesetzgeber klare Leitplanken setzen muss. Gerade weil Nachrichtendienste verdeckte Aufklärung betreiben und auch ohne konkrete Verdachtsmomente tief in Bürgerrechte eingreifen können, muss man hier sehr sorgsam vorgehen.

Und wir dachten, für solche Fragen sei das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum in Berlin-Treptow zuständig.

Thomae: Das GTAZ ist keine eigenständige Behörde und folgt bislang keiner gesetzlichen Regulierung. Das muss sich ändern. Nehmen wir als Beispiel den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz 2016. Es gab verschiedene Hinweise, aber am Ende ist daraus nichts gefolgt. Es braucht endlich eine gesetzliche Grundlage, die klar regelt, welche Informationen ausgetauscht werden dürfen oder auch müssen, wer die Prozesse koordiniert und wer die Verantwortung trägt. 

Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit deutscher Dienste mit Diensten anderer Länder – gibt es auch da Regelungsbedarf?

Thomae: Es gibt da in der Tat einen wertvollen Austausch, und es ist wichtig, dass wir darin auch eingebunden sind. Es gibt Bereiche, in denen unsere Dienste in der Weltspitze mitspielen.

Welche?

Thomae: Ich bitte um Verständnis, dass ich hier zur Verschwiegenheit verpflichtet bin. Aber man liest ja immer wieder, dass der entscheidende Hinweis von ausländischen Diensten gekommen sei. Das zeigt, dass die Zusammenarbeit mit unseren ausländischen Partnerdiensten funktioniert. Unser Anliegen muss es sein, dass wir zu den leistungsfähigsten Nachrichtendiensten weltweit gehören. Da können wir uns noch verbessern. Entsprechend muss sich die Kontrolle der Dienste immer anpassen.

Auf der anderen Seite gelten auch die russischen Geheimdienste als sehr mächtig, das wird angesichts des Ukraine-Krieges deutlich. Wie schätzen Sie aktuell die Bedrohung ein?

Thomae: Berlin gilt als eine der Welthauptstädte der Spionage. Der Ukraine-Krieg, aber auch der Systemwettbewerb etwa mit China führt dazu, dass die Spionagetätigkeit in Deutschland deutlich zugenommen hat. Von daher müssen wir besonders wachsam sein und für eine gute Eigensicherung sorgen. 

Wie sieht es denn mit der Bedrohung im Cyberspace aus – sehen Sie Deutschland da gut aufgestellt?

Thomae: Aus jeder erfolgreichen Abwehrmaßnahme lernt auch der Angreifer. Früher gab es aus China viele Angriffe, die aber weniger ausgefeilt waren. Das hat sich geändert. Die Angriffe werden professioneller. Die Herausforderungen an die Cyberabwehr wachsen. Denn nur ein einziger erfolgreicher Angriff bei Millionen gescheiterten Versuchen kann immensen Schaden anrichten.

 
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