Es ist längst zurück, das Thema Migration und Flüchtlinge. Und mit ihm die Sorge vor Überforderung, das Gerangel um die Verteilung der Lasten zwischen Bund, Ländern und Kommunen, die Suche nach Quartieren, der Streit um Integration und Sicherheitsbedenken.
Nachdem die Corona-Pandemie Fluchtbewegungen – zumindest in Richtung Europa– zeitweise fast zum Erliegen brachte, sind die Zahlen seit dem Frühjahr 2022 wieder stark gestiegen. Das liegt an dem völkerwidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, aber nicht nur. Bei den Zahlen der Asylanträge ist in den ersten drei Monaten nach den Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ein Plus von rund 80 Prozent – in Fallzahlen gut 80.000 Erstanträge auf Asyl– gegenüber dem ersten Quartal 2022 zu verzeichnen. Unter den Herkunftsländern sind Syrien, Afghanistan und der Türkei am stärksten vertreten.
"Die Kommunen sind am Anschlag": Markus Söder sieht den Bund gefordert
Die Regierungschefs von Bayern und Nordrhein-Westfalen, Markus Söder (CSU) und Hendrik Wüst (CDU) forderten vom Bund dringend mehr Hilfe. „Die Kommunen sind am Anschlag“, sagte Söder am Dienstag nach einer gemeinsamen Kabinettssitzung beider Länder in München. Man sage Ja zu Hilfe und Ja zu Arbeitsmigration, aber Nein zu illegaler Zuwanderung. Jetzt sei der Bund gefordert, betonte der CSU-Politiker.
Eine faktenbasierte Behandlung der Folgen von Vertreibung und Flucht für Deutschland, aber auch weltweit wollen die 37 Autoren und Autorinnen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft bieten, deren Beiträge im ersten „Report Globale Flucht“ 2023 jetzt im S. Fischer Verlag erschienen sind. „Wir haben in Deutschland ein Kommunikationsproblem, wenn es um Geflüchtete geht. Oft stimmen die Zahlen nicht, oft erfahren die Kommunen viel zu spät, was auf sie zukommt. Es fehlt ein regelmäßig tagender runder Tisch, der die Expertise aus den Bereichen Flucht, Wirtschaft, Sicherheit zusammenbringt“, beklagt der Wissenschaftler Franck Düvell, Mitherausgeber des Reports im Gespräch mit unserer Redaktion. Ohne zivilgesellschaftliches Engagement wäre die Lage aus Sicht des Experten noch weit dramatischer. Schwerpunkt der Experten sind die Folgen der Fluchtbewegung aus der Ukraine.
„Oft ist die Rede von einer Million Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Deutschland sind. Das aber ist eine Zahl, die durch Doppelzählungen zu hoch ist. Es sind derzeit rund 750.000“, sagt Düvell von der Universität Osnabrück. Das sei natürlich auch viel, insbesondere wenn man wisse, dass die Unterbringungsmöglichkeiten wie Flüchtlingszentren nach 2016 Schritt für Schritt geschlossen und aufgelöst wurden. „Diese Kapazitäten wieder hochzufahren ist sehr aufwendig und zeitintensiv“, erklärt Düvell, der aber davon überzeugt ist, dass viele Ukrainer im Frühjahr 2024 in ihre Heimat zurückkehren würden, falls es die Kriegslage zulässt. Tatsächlich läuft im März 2024 die Aufenthaltserlaubnis für Ukrainer aus, die jedoch durch einen EU-Ratsbeschluss um maximal ein weiteres Jahr verlängert werden könnte.
Düvell kritisiert, dass sich Deutschland immer wieder von Kriegen und Krisen und daraus resultierende Fluchtwellen überraschen lasse. „Davor, dass russische Truppen in die Ukraine einmarschieren würden, haben Briten und US-Amerikaner gewarnt. In Berlin wollte man die Gefahrenlage nicht wahrhaben.“ Die Fluchtforschung könne dazu beitragen, weltweite Entwicklungen zu erkennen und dementsprechend Prognosen anzubieten, sagt Franck Düvell.