Die Wintermonate sind in der Flüchtlingskrise eine Verschnaufpause für Kommunen, Betreuer und Helfer. Weniger Menschen suchen Schutz in Deutschland. Im Dezember stellten nur 23.025 Geflüchtete einen Asylantrag bei den Behörden, zehntausend weniger als im November. Es war einer der niedrigsten Monatswerte des alten Jahres. Im Winter ist die Flucht noch gefährlicher als sonst, weil Stürme das Mittelmeer peitschen und die Kälte den Migranten zusetzt. Insofern folgt der Trend dem Muster der vergangenen Jahre.
Doch die Bundesregierung hofft darauf, dass die Entwicklung anhält und die Zahlen im Frühjahr und Sommer nicht mehr so stark nach oben schießen wie im vergangenen Jahr. “Auf jeden Fall ist es das Ziel, dass die irreguläre Migration sinken soll“, erklärte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Freitag.
Von der Migrationskrise profitiert die AfD
Die Ampelkoalition hat erhebliche politische Energie darauf verwendet, dass die Zahlen fallen. Viele Städte und Gemeinden wissen nicht mehr, wie sie die Flüchtlinge unterbringen sollen. Es fehlt an Wohnungen, Kindergartenplätze und Lehrern. Die zweite Flüchtlingskrise nach 2015/16 ist ein wesentlicher Grund für die Stärke der AfD. Den Zustrom abschwächen soll vor allem die härtere Gangart gegen Flüchtlinge mit Schellverfahren an den EU-Außengrenzen, auf die sich die Mitgliedstaaten geeinigt haben. Die Verschärfung soll noch vor der Europawahl im Sommer greifen.
Außerdem versucht die Bundesregierung mit hohem diplomatischen Aufwand, mit mehreren Staaten Migrationsabkommen zu schließen. Diese Länder sollen Staatsangehörige zurücknehmen, die kein Bleiberecht in der Bundesrepublik haben. Derartige Abkommen wurden bereits mit Georgien geschlossen und erst kürzlich mit Marokko. „Das ist für uns sehr wichtig, weil Marokko auch ein sehr wichtiges Land auf dem afrikanischen Kontinent ist, einen sehr großen Einfluss hat auch in der internationalen Migrationspolitik, selbst sehr viele Migrantinnen und Migranten auch in der Region hält“, sagte der Bevollmächtigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen, Joachim Stamp, diese Woche bei einem Besuch in der marokkanischen Hauptstadt Rabat.
Der FDP-Mann kündigte weitere derartige Partnerschaften an: „Jetzt kommen weitere Länder.“ Das werde Zeit brauchen, Deutschland müsse aber langfristig mit vielen Ländern solche Partnerschaften entwickeln, um Migration „vernünftig“ zu regulieren. Die marokkanischen Sicherheitsbehörden fungieren für Europa wie ein Türsteher, haben im vergangenen Jahr eigenen Angaben zufolge fast 90.000 Migranten an der Weiterreise gehindert. Deutschland befindet sich unter anderem in Gesprächen mit Kenia, Moldau, Usbekistan und Kirgistan.
Hessens Ministerpräsident fordert neuen Flüchtlingsgipfel
Gemeinsam mit den Bundesländern hat sich der Bund im November außerdem darauf geeinigt, mehr abgelehnte Asylbewerber außer Landes zu bringen. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Devise ausgegeben, dass mehr abgeschoben werden müsse. „Wir gehen davon aus, dass diese Maßnahmen wirken“, erklärte nun das Bundesinnenministerium. Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein hat indes ein weiteres Spitzentreffen von Bund und Ländern zur Migration gefordert, um bei der Umsetzung der November-Beschlüsse nachzuhalten.
Die Union warnte davor, aus dem Winter-Rückgang vorschnell einen Trend abzuleiten. „Auch wenn der Rückgang in diesem Dezember deutlich ausfällt, kann keinesfalls Entwarnung gegeben werden“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer von CDU und CSU im Bundestag, Thorsten Frei, unserer Redaktion. Vor allem die rasant steigende Zahl von Asylanträgen türkischer Staatsbürger beunruhigen ihn.
Mit mehr als 60.000 Anträgen machen Flüchtlinge aus dem Nato-Partnerland inzwischen die zweitgrößte Gruppe hinter den Syrern aus. „Die Bundesregierung unternimmt gegen diese Entwicklung rein gar nichts, sondern verzettelte sich zuletzt auf Nebenschauplätzen wie in Marokko“, beklagte Frei. Im vergangenen Jahr haben 330.000 Flüchtlinge eine Erstantrag auf Asyl gestellt und damit über ein Drittel mehr als 2022. Hinzu kommen die mehr als eine Million Ukrainer, die seit dem Ausbruch des Krieges nach Deutschland gekommen sind.