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Berlin
Was die Chauffeure der Spitzenpolitiker hören und erleben
Die einen sitzen im Bundestag, die anderen warten davor und fahren sie durch die Stadt. Wie ein Tarifkampf die Chauffeure geprägt hat und welche Geheimnisse sie täglich hören.
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Foto: Michael Kappeler, dpa | Stets zu Diensten für die Demokratie: Die Fahrbereitschaft des Deutschen Bundestags hat allerdings lange für mehr als den Mindestlohn kämpfen müssen.
Miriam Steinrücken
 |  aktualisiert: 06.04.2024 02:42 Uhr

Bekommt die Ukraine Taurus-Raketen? Wie schlägt sich Verteidigungsminister Pistorius im Abhör-Skandal? Hält die Ampel bis 2025 durch? Harald Müller weiß manches früher als andere. Aber er verrät nichts. „Diskretion gehört zum Geschäft“, sagt er. Genauso wie der Anzug und die Limousine. Müller ist Chauffeur, der Bundestag sein Passagier, Berlin sein Revier.

Müller und Kollegen fahren Abgeordnete. Im Wagen vorn hatten sie Mindestlohn, hinten haben sie Privilegien. Bis die Fahrer streikten und die Politiker halfen. Das brachte den Tarif und schuf Vertrauen. Heute sind die ungleichen Partner ziemlich beste Freunde. Doch ein Zweifel bleibt: Kann der Bundestag sich den Fahrdienst leisten, wenn alle sparen müssen? 

Chauffeur Harald Müller: "Wir schlagen Google Maps"

Dabei sind Müller und Co. keine Großverdiener. Der Fahrer-Lohn beträgt höchstens 3.400 Euro brutto pro Monat, die Politiker-Diät 10.600 Euro. Obwohl beide hart arbeiten – die einen im Paul-Löbe-Haus, die anderen davor. Der postmoderne Glasbau steht im gediegenen Regierungsviertel. Drinnen sitzen die Politiker im Büro, draußen warten die Fahrer im Wagen. Die drinnen müssen zu Fraktionstreffen, Podiumsdiskussionen und Fernsehauftritten. Die draußen müssen vorbei an Einbahnstraßen, Baustellen und Demonstrationen. Aber pronto bitte, der Terminkalender ist voll. Keine leichte Aufgabe im Stop-and-Go des Hauptstadtverkehrs. „Aber wenn jemand Berlin kennt, dann wir“, verspricht Müller. „Wir schlagen Google Maps.“

Weil ein unpopulärer Politiker mitfuhr, bespuckte ihn ein Passant

Im Wagen sitzen die Fahrer dicht an dicht mit den Politikern. Im Bundestag werden sie als Sicherheitsrisiko behandelt. Tasche leeren, Jacke ausziehen, Rucksack in die Kiste – alles wird durchleuchtet bei der Einlasskontrolle. Viel Aufwand für den Gang aufs Klo. Doch Müller nimmt es gelassen. „Wir fühlen uns wertgeschätzt“, versichert er. 

Man hat sich zusammengerauft – trotz sozialer Unterschiede und politischer Differenzen. „Natürlich habe ich eine Meinung“, räumt Müller ein. „Aber die spielt keine Rolle.“ Er fährt alle Politiker – egal, welcher Couleur. „Wenn ich gefragt werde, dann antworte ich. Aber ich dränge mich nicht auf.“ Weil ein unpopulärer Politiker mitfuhr, bespuckte ihn ein Passant. „Einige reagieren ihren Frust an mir ab“, berichtet er. „Andere wollen mich als Überbringer ihrer Heilsrezepte benutzen.“ Beides passt Müller nicht, darum bleibt er in diesem Text anonym. 

Der Tarifvertrag 2022 brachte die Wende

Der langersehnte Tarifvertrag kam im Jahr 2022, brachte 39 Stunden Arbeit pro Woche und 2800 bis 3400 Euro Lohn pro Monat. „Wie im öffentlichen Dienst“, lobt Müller. „Wir sind zufrieden.“ Der Unterschied zum öffentlichen Dienst: Der Fahrdienst ist allzeit bereit. Das 24/7-Pensum stemmt er mit drei Schichten à acht Stunden. Groß ist die Nachfrage in den etwa 20 Sitzungswochen des Bundestags, gering in den Wahlkreiswochen dazwischen. Der Fahrdienst betreibt ein Saisongeschäft gemäß den Zyklen des parlamentarischen Betriebs. 

Im Werbesprech des Fuhrunternehmens heißt das „bedarfsgerechte, flexible, wirtschaftliche“ Lösungen. Im Arbeitsalltag der Fahrer bedeutet das neben Vollzeitkräften etliche Teilzeitarbeiter und Minijobber. Das geht nur mit Outsourcing: Die zuletzt rund 250 Fahrer sind zwar vom Bundestag beauftragt, aber von der „BWFuhrpark Service GmbH“ angestellt. Diese ist eine Tochterfirma der Bundeswehr, gehört zu drei Vierteln dem Verteidigungsministerium und zu einem Viertel der Deutschen Bahn. Der Fahrdienst ist der einzige Bundeswehr-Ableger mit Haustarif.

Die Fahrer streikten, die Abgeordneten solidarisierten sich

Bis dahin war es ein langer, schwerer Kampf. Müller hat einen Kollegen, der ist schon länger dabei, fuhr für den Bundestag bereits unter Vorgänger „RocVin“ und erinnert sich: Das privatwirtschaftliche Unternehmen beschäftigte die Fahrer zu geteilten Diensten während der Stoßzeiten und bestellte sie kurzfristig ein, beschäftigte viele Minijobber und zahlte Mindestlohn. Für den Bundestag war das zwar günstig, aber auch peinlich: Als das Lohndumping im Jahr 2017 publik wurde, trennte das Parlament sich nach 18-jähriger Zusammenarbeit von der Firma und wechselte zum „BWFuhrpark“. Die Bundeswehr-Tochter übernahm die Fahrer, zahlte aber zunächst auch keinen Tariflohn. Das verhinderte das damals CDU-geführte Verteidigungsministerium – so sieht das Verdi-Verhandler Nils Kammradt.

Die Wende brachte Kammradts Ansicht nach der Regierungswechsel nach der Bundestagswahl 2021, als die SPD das Ressort übernahm, die Fahrer streikten und die Abgeordneten sich solidarisierten. Die meisten Unterstützer waren Sozialdemokraten und neu im Bundestag – wie Erik von Malottki. Für den SPD-Linken aus Mecklenburg-Vorpommern war es ein „Schockerlebnis“, dass Beschäftigten im „Herzen unserer Demokratie“ der Tarif vorenthalten wurde. Gegen diese „Ungerechtigkeit“ mobilisierte der Gewerkschafter die Fraktion, die Verteidigungsministerin, die Parlamentspräsidentin (alle SPD) – und trat selbst in den Fahrdienst-Streik. Mit Erfolg: 2022 bekamen die Fahrer den Vertrag und Malottki neue Freunde. „Noch heute bedanken sich viele bei mir“, freut sich der Enddreißiger. „Wir haben ein Vertrauensverhältnis“ – besonders beim Bier danach, wenn Fahrer und Politiker einmal im Jahr Fußball gegeneinander spielen.

Teurer Fahrdienst: 10,6 Millionen Euro im Jahr 2022

Weniger freundlich gesinnt ist dem Fahrdienst der Bund der Steuerzahler. Der Verein kritisiert die hohen Kosten von zuletzt geschätzten 10,6 Millionen Euro im Jahr 2022. Ein teurer Luxus, findet der Steuerzahlerbund. Und unnötig, denn die Abgeordneten können Züge, Busse und Taxen kostenfrei nutzen. Trotzdem hält selbst der streit- und streikbereite Malottki den Fahrdienst für unverzichtbar. „In Sitzungswochen habe ich so viele Termine, dass ich es nur mit dem Auto pünktlich schaffe“, berichtet er. Das Taxi sei da keine Alternative zur Limousine: „Es wäre nicht immer sofort zur Stelle – und wohl auch nicht billiger.“

Also bleibt es beim Fahrdienst. Eine Entscheidung, die Müller freuen dürfte.

 
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