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Brüssel
Ist ein EU-Beitritt der Ukraine „wirklich in Reichweite“? 
Die Ukraine hat Reformfortschritte eingeleitet, um Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union zu erreichen. EU-Kommissionschefin von der Leyen gilt als Unterstützerin.
Präsidentin der Europäischen Kommission besucht Kiew.jpeg       -  Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Wochenende die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen in Kiew getroffen. Wichtigstes Thema: Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union.
Foto: Ukrainisches Präsidialamt, Planet Pix, Zuma Press, dpa | Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Wochenende die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen in Kiew getroffen. Wichtigstes Thema: Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union.
Katrin Pribyl
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:03 Uhr

Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass dieser Mittwoch ein wichtiger, vermutlich sogar ein historischer Tag für Wolodymyr Selenskyj sein wird. Allzu nervös wirkte der ukrainische Präsident zum Wochenstart trotzdem nicht. Dabei geht es langfristig um den großen Traum für die Zukunft seines kriegsgebeutelten Landes und kurzfristig auch ein wenig darum, die Sehnsucht nach guten Nachrichten in diesen düsteren Zeiten zu bedienen. Wird die EU-Kommission den Start für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine empfehlen? Am Mittwoch stellt die Brüsseler Behörde ihren Bericht über die Reformfortschritte der EU-Beitrittskandidaten vor, im Mittelpunkt steht die Ukraine. Dass sich Selenskyj im Vorfeld optimistisch gab, dürfte vor allem an den „positiven Signalen“ liegen, die er von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vermittelt bekam, die ihn am Wochenende in Kiew besucht hatte. Da sprach sie von „ausgezeichneten Fortschritten“. 

Die Deutsche wollte mit dem Kurztrip demonstrieren, dass die Solidarität der Europäer mit der Ukraine keineswegs schwindet. Zugleich wollte sie den Fokus nach Kiew lenken, nachdem in den vergangenen Wochen viel Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger auf dem Nahostkonflikt gelegen hatte. Von der Leyen kennt den schmucklosen Bahnhof in Kiew, sie kennt den roten Teppich im Hof des Präsidentenpalasts. Es war bereits ihre sechste Visite seit dem Angriff Russlands und abermals kam die Kommissionschefin mit warmen Worten nach Kiew gereist. Hier „dear Ursula“, dort „dear Wolodymyr“ – von der Leyen und Selenskyj schätzen sich. Und doch sind die Reisen stets ein Balanceakt für die Deutsche. 

Die Ukrainer pochen auf feste Zusagen

Die Ukrainer wollen feste Zusagen, aber von der Leyen muss sich zurückhalten, um die 27 Mitgliedstaaten nicht zu brüskieren. An ihnen liegt es am Ende, die wegweisende Entscheidung zu treffen. Deshalb gab es am Wochenende auch keine Versprechen, obwohl in Brüssel erwartet wird, dass die Behörde am Mittwoch trotz Defizite, etwa beim Kampf gegen Korruption, einen weitgehend positiven Bericht vorlegen wird. Ebenso gehen Diplomaten davon aus, dass die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel im Dezember die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen billigen werden. 

Alles andere, so hieß es hinter den Kulissen, könnte der russische Präsident Wladimir Putin als Erfolg ausschlachten. Das Gegenteil will die EU erreichen. Zum Durchhalten soll das ukrainische Volk motiviert werden und nicht nur den Wunsch nach dem Beitritt bewahren, sondern auch den Reformeifer. Geopolitisch liegt es im Interesse der EU, die Integration der Ukraine voranzutreiben, um das Land enger an die Gemeinschaft zu binden und es aus der Pufferzone zwischen Russland und der Gemeinschaft herauszuholen. 

Beitritt der Ukraine? Für die EU wäre es ein Kraftakt

Mit von der Leyen haben die Ukrainer eine prominente Fürsprecherin für ihr Ziel. Sie präsentierte sich am Wochenende wie schon seit mehr als eineinhalb Jahren als Chef-Antreiberin. Das Ziel sei „wirklich in Reichweite“, sagte sie. „Sie können es schaffen. Und zwar bald.“ Was aber bedeutet bald? Das Beitrittsverfahren ist komplex und langwierig. Damit ein Land EU-Mitglied werden kann, muss es die sogenannten Kopenhagener Kriterien erfüllen. Zu den Bedingungen gehören unter anderem die Garantie einer demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung sowie Wirtschaftsreformen, die für eine Integration an den europäischen Binnenmarkt sorgen sollen. Das Land habe bereits „deutlich über 90 Prozent des Wegs hinter sich“, befand von der Leyen und fasste damit das Dilemma um den Status Kiews zusammen. 

Das Land wehrt sich einerseits noch gegen den russischen Aggressor, unternimmt andererseits aber große Anstrengungen bei der Modernisierung des Staates – und hat trotzdem noch eine Menge Arbeit vor sich. Während sich in Brüssel deshalb einige Erweiterungskritiker die Augen rieben angesichts der Analyse von der Leyens, herrschte in der Ukraine mitunter Frust über die „90 Prozent“. Was sollen sie denn noch leisten, während sie unter einem Abnutzungskrieg mit den russischen Streitkräften leiden? Die Erwartungen in der Ukraine sind riesig und dürften nach diesem Mittwoch kaum niedriger werden. 

Dabei muss die EU selbst einen Kraftakt stemmen. Zahlreiche Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, fordern vor einer erneuten Erweiterung zunächst interne EU-Reformen. Die Folgen einer Vergrößerung nämlich wären massiv. Mit mehr als 40 Millionen Einwohnern zählt die Ukraine zu den größten Staaten Europas – und zu den ärmsten. Mit einem Beitritt würden schlagartig EU-Länder wie Polen, Rumänien oder Bulgarien, die derzeit hohe Summen aus Brüssel überwiesen bekommen, zu Nettozahlern.

 
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