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Brüssel
Gelingt von der Leyen der Balanceakt?
Für die Deutsche geht der Kampf um eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionschefin weiter. Die Nominierung ist geschafft, nun muss sie das Parlament überzeugen.
EU-Gipfel in Belgien.jpeg       -  Der Europäische Rat hat die CDU-Politikerin von der Leyen für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission nominiert. Die estnische Regierungschefin Kallas soll zur neuen EU-Außenbeauftragten ernannt werden.
Foto: Geert Vanden Wijngaert, dpa | Der Europäische Rat hat die CDU-Politikerin von der Leyen für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission nominiert. Die estnische Regierungschefin Kallas soll zur neuen EU-Außenbeauftragten ernannt werden.
Katrin Pribyl
 |  aktualisiert: 03.07.2024 02:46 Uhr

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni reiste in der Nacht zu Freitag in einer ähnlichen Stimmungslage ab, in der sie am Donnerstagmittag in Brüssel angekommen war: mürrisch. Dass sie sich bei der Verteilung der europäischen Spitzenposten übergangen fühlte, hatte sie mehrfach zum Ausdruck gebracht. Trotzdem sorgte sie nicht für den befürchteten Eklat, als die Entscheidung dieses Gipfeltreffens anstand: Kurz vor Mitternacht wurde Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin nominiert. Die Estin Kaja Kallas von den Liberalen soll zudem neue EU-Außenbeauftragte werden, der frühere sozialistische portugiesische Regierungschef António Costa wird den Posten des EU-Ratspräsidenten übernehmen.

Angesichts von Krisen, Krieg und politischer Instabilität entschieden sich die Staats- und Regierungschefs für die jeweils sichere Variante und besetzten ihre drei Spitzenämter mit erfahrenen Politikern. Aus gutem Grund: Für Machtspielchen, Dauerdramen oder Experimente sind die Zeiten zu ernst, die anstehenden Entscheidungen zu wichtig. In Europa sind die Rechtsextremen im Aufwind, in der Ukraine tobt weiter ein brutaler Krieg, in den USA könnte Europa-Schreck Donald Trump abermals ins Weiße Haus einziehen und Frankreich leidet unter einer politischen Krise, deren Folgen sich auch für die Union als fatal herausstellen könnten.

Meloni enthielt sich bei der Abstimmung

Getragen wird das nun beschlossene Personaltableau von der traditionellen Mitte der EU-Politik – den Konservativen, den Sozialdemokraten und den Liberalen. Im Brüsseler Jargon heißt das Trio Plattform und zu der gehören weder die Grünen noch die rechtsnationale EKR-Fraktion, deren Chefin Meloni ist. Die Postfaschistin bezeichnete das Vergabeverfahren noch in der Nacht als „methodisch und inhaltlich falsch“. Die Italienerin hatte zuvor aus innenpolitischem Kalkül gegen Kallas und Costa gestimmt und sich beim von der Leyen-Votum enthalten. Das war auch als Botschaft an die Deutsche zu verstehen: Eine zweite Amtszeit an der Spitze der EU-Kommission wird kein leichtes Spiel werden. Zwar hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán sogar gegen seine Lieblingsgegnerin gestimmt, doch Melonis Unmut stellt die größere Herausforderung für von der Leyens Führung dar. 

Italien ist nicht nur der drittgrößte Mitgliedstaat und eines der sechs Gründungsmitglieder. Die italienische Regierungschefin führt auch den mittlerweile drittgrößten politischen Block im EU-Parlament an. Der Chefstörenfried Orbán kann weggewunken werden, Meloni aber ist wichtig. Von der Leyen braucht bei der Abstimmung mindestens 361 der 720 Stimmen. Die Koalition der Mitte besitzt aber nur eine knappe Mehrheit, was deren Verhandlungsführer für die Jobverteilung um Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nicht von dem politisch unklugen Schachzug abhielt, Meloni bei den Verhandlungen auszubooten statt sie zumindest auf dem Laufenden zu halten. 

Wie werden sich die Grünen positionieren?

Weil mit zehn bis 15 Prozent Abweichlern gerechnet wird, besucht die bisherige Kommissionspräsidentin zurzeit besonders häufig das EU-Parlament. Es geht darum, Abgeordnete zu organisieren. „Für diejenigen, die kritisch sind oder Fragen haben, ist es meine Pflicht, zu ihnen zu gehen und die Fragen zu beantworten“, sagte die Deutsche nach dem Gipfel. Sie wirkte abgekämpft, dabei beginnt der eigentliche Marathon erst jetzt. Dementsprechend herrscht Nervosität. Während die EVP einem Schwenk nach rechts nicht abgeneigt scheint, lehnen die Sozialdemokraten und Liberalen das ab. Deren Vertreter haben betont, dass von der Leyen keinen Deal mit extrem rechten Parteien eingehen dürfe, wenn sie auf ihre Stimmen zählen will. In dieser Hinsicht kam Melonis lieblose Enthaltung gerade recht. 

Die Sozialdemokraten hoffen auf eine Einbindung der Grünen und sind zu inhaltlichen Zugeständnissen bereit, nur sträuben sich einige EVPler gegen deren Unterstützung. Gelingt von der Leyen der Balanceakt? Sie darf die Vertreter der drei Parteifamilien der Mitte nicht vergraulen und muss trotzdem genügend Verbündete aus anderen Lagern sammeln, mit denen alle zumindest leben können. Zumindest Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich zuversichtlich, dass von der Leyen gewählt wird. "Die Präsidentin hat ja doch einen ganz guten Ruf im Parlament", sagte der SPD-Politiker nach dem Treffen. Der Showdown soll am 18. Juli stattfinden. Und Ursula von der Leyen bleibt nur ein Versuch, ihn zu gewinnen. Sollte sie in der Abstimmung durchfallen, müssten die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten einen anderen Kandidaten aufstellen.

 
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