Olaf Scholz konnte sich beim Gang über den roten Teppich in seiner Verbrenner-Verteidigung schon mal warmlaufen. Als der Bundeskanzler zum EU-Gipfel in Brüssel eintraf, war die erste Frage der Journalisten jene nach der deutschen Blockadehaltung im Streit um das Aus für neue Verbrennerautos ab 2035. Scholz war so kurz angebunden wie leicht genervt. Es gebe „klare Verständigungen in Europa“, sagte der SPD-Politiker. Es gehe jetzt nur noch ganz pragmatisch darum, den richtigen Weg zu finden, „diese von der Kommission ja längst gegebene Zusage umzusetzen“. Und: „Es ist immer richtig, sich an die eigenen Zusagen zu halten.“ Abzuwarten blieb, ob diese Antworten seine Amtskollegen zufriedenstellen würden. Wahrscheinlich war es nicht.
Zwar stand das Thema gar nicht auf der Agenda der zweitägigen Zusammenkunft der 27 Staats- und Regierungschefs der EU. Trotzdem trübt der Last-Minute-Widerstand bei dem wichtigen Klimaschutzgesetz die Stimmung. Denn eigentlich war der Deal, nach dem ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden dürfen, schon durch, die finale Absegnung galt als reine Formsache – bis Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) intervenierte. Ende offen. Vor dem Start des Gipfels hieß es aus deutschen Regierungskreisen, es handele sich um ein „ganz normales europäisches Verfahren“, was in Brüssel doch einiges an Gelächter auslöste, nachdem seit Wochen Vertreter der meisten Staaten sowie der EU-Kommission wahlweise verärgert, irritiert oder überrascht auf Berlin blicken. Hinter vorgehaltener Hand werfen Diplomaten in BrüsselDeutschland einen Vertrauensbruch vor.
Kollegen in Brüssel sind genervt von der Bundesregierung
Während sich der niederländische Premier Mark Rutte zuversichtlich zeigte, dass „vielleicht nicht heute oder morgen, aber in den nächsten Tagen“ eine Lösung gefunden werde, kritisierte ein „verwunderter“ lettischer Premierminister das Vorgehen der Deutschen. Die Bundesrepublik sende ein „sehr, sehr schwieriges Signal für die Zukunft“ aus, sagte Krisjanis Karins und warnte vor Nachahmern. „Wenn damit jetzt ein Mitgliedstaat durchkommt, was hält den nächsten künftig dann davon ab?“ Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel reagierte nur noch genervt auf die Debatte: "Es ist ja kein Wunschkonzert, wenn wir nach Brüssel kommen." Und die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, kritisierte die Bundesregierung mit dem Verweis, dass man keine Abmachung rückgängig machen könne.
Es geht um den „Erwägungsgrund 11“ im Beschlussdokument, wonach die EU-Kommission einen Vorschlag unterbreiten soll, wie E-Fuels, also künstliche Kraftstoffe, die mit Ökostrom erzeugt werden, weiterhin eine Option für den Einsatz in Verbrennerautos nach 2035 sein können. Die Behörde verstand den Zusatz im Abkommen stets so, dass davon nur Sonderfahrzeuge wie Kranken- oder Feuerwehrwagen betroffen sein sollen. Die FDP hatte eine andere Lesart – und sie weiß nun die Regierungen aus Warschau, Sofia, Rom, Prag und Wien an ihrer Seite. Kippt am Ende das gesamte Gesetz?
Zweites Streitthema des EU-Gipfels ist die Atomkraft
Die EU dürfe sich nicht von Staaten wie China abhängig machen, derzeit Weltmarktführer bei der Produktion von Batterien für Elektroautos, sagte Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Das schade der Wettbewerbsfähigkeit der EU. Über diese und weitere wirtschaftspolitische Themen wollten die Staatenlenker sprechen. Dass der Verbrenner-Streit beim Gipfel beigelegt werden würde, war also nicht zu erwarten. Verkehrsminister Wissing riet ohnehin von Zeitdruck ab.
Genauso wenig dürfte es eine Lösung in einer anderen Auseinandersetzung geben, die ebenfalls den Gipfel überschattete, ohne dass das Thema auf dem offiziellen Programm gestanden hätte: Wird die Kernkraft als sauber und klimafreundlich eingestuft – oder nicht? Frankreich verlangt mehr Unterstützung für seine nuklearen Pläne und dass auch Mini-Atomreaktoren mit Staatsgeld gefördert werden, damit keine Unternehmen in die USA abwandern. Unter anderem Deutschland lehnt das ab. Es bahnte sich am Rande des Gipfels ein Machtkampf zwischen den beiden mächtigsten EU-Ländern an.
Mit anderen konkreten Beschlüssen wurde bei dem Treffen nicht gerechnet. Vielleicht lud Ratspräsident Charles Michel deshalb den UN-Generalsekretär António Guterres ein. Dieser malte ein düsteres Bild. „In vielen Entwicklungsländern haben wir es mit einem perfekten Sturm zu tun“, sagte der Portugiese. Es gebe eine Kombination mehrerer Faktoren, die zu mehr Hunger, mehr Armut, weniger Bildung und weniger Gesundheitsversorgung in vielen Teilen der Welt führe. „Wir stehen an einem kritischen Punkt.“ Man brauche dramatische Maßnahmen, auch im Kampf gegen den Klimawandel, und zähle „auf die Führungsrolle der Europäischen Union in dieser Hinsicht“.