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Europäische Union
EU-Behindertenausweis soll kommen: Laufzeit sorgt für Kritik
Der Ausweis soll kostenfrei erhältlich sein. Welche Vorteile er bringt - und wo aus Sicht einer Betroffenen und des VdK noch Verbesserungspotential besteht.
Braucht ein behinderter Mitreisender mehr Betreuung der Reiseleitung, ist das für weitere Reiseteilnehmer kein Mangel. Foto: Jens Büttner       -  Das Reisen dürfte für Behinderte bald einfacher sein.
Foto: Jens Büttner, dpa | Das Reisen dürfte für Behinderte bald einfacher sein.
Bill Titze
 |  aktualisiert: 14.03.2024 02:57 Uhr

Im öffentlichen Nahverkehr, Museen oder bei Sportveranstaltungen gibt es oft Ermäßigungen für Menschen mit Behinderung. Bisher gilt das aber oft nur dann, wenn man diesen sogenannten Nachteilsausgleich im eigenen Land in Anspruch nimmt. Das dürfte sich in Europa bald ändern, denn der Europäische Rat und Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments haben sich auf die Einführung eines Europäischen Behindertenausweises geeinigt.

Der Ausweis soll kostenfrei erhältlich sein, die EU-Mitgliedstaaten können aber beschließen, eine Verwaltungsgebühr zu beantragen. Behinderte sollen durch den Ausweis einen gleichberechtigten Zugang zu Sonderkonditionen auf Dienstleistungen und Einrichtungen erhalten. Darüber hinaus kann eine Begleitperson auf dem Ausweis mit einem großen "A" (Assistance) vermerkt werden. Auch eine digitale Ausgabe des Ausweises ist vorgesehen.

EU-Behindertenausweis soll kostenlos sein

Ebenso wird ein Europäischer Parkausweis eingeführt, der den gleichberechtigten Zugang zu ausgewiesenen reservierten Parkplätzen und anderen Parkbedingungen und Stellplätzen gewährleistet. Er ersetzt den EU-Parkausweis für Menschen mit Behinderungen, der bereits auf freiwilliger Basis eingeführt wurde. Um künftig sicherzustellen, dass der Ausweis EU-weit anerkannt wird, wird der verbesserte Europäische Parkausweis auf einem gemeinsamen verbindlichen Muster basieren. Ferner wird er mit Sicherheitsmerkmalen ausgestattet sein, um Fälschungen und Betrug zu verhindern.

Durch den Behindertenausweis nicht vorgesehen ist ein Zugriff auf Sozialleistungen in den Ländern. Diese unterscheiden sich von Staat zu Staat, genauso wie die Regelungen über die einzelnen Nachteilsausgleiche. Das ist einer der Kritikpunkte des Sozialverbands VdK. Die VdK-Referentin Abteilung Sozialpolitik, Dorothee Czennia, erklärt das anhand eines Beispiels. So gebe es in Deutschland den Nachteilsausgleich der sogenannten "kostenlosen Beförderung im öffentlichen Nahverkehr" für Schwerbehinderte, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen und bestimmte Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis haben. "Ganz kostenlos ist die Beförderung für die meisten aber nicht, denn es sind 91 Euro für ein Jahr zu zahlen."

Die Zahlung erfolgt im zuständigen Versorgungsamt. Jemand, der aus dem Ausland komme, müsse die hier geltenden Voraussetzungen dann natürlich auch erfüllen. "Wer eine Urlaubsreise unternimmt, wird sich wohl kaum einer solchen Prüfung unterziehen." Czennia wünscht sich auf mittlere Sicht daher eine Angleichung der Nachteilsausgleiche in der Europäischen Union. Zunächst sei jetzt zumindest eine Website wünschenswert, die die einzelnen Angebote pro Land auflistet. Tatsächlich plant die EU eine Internetseite, über die sich Interessierte informieren können.

Ausweis soll vorerst nur drei Monate gültig sein

Für viel mehr als eine Urlaubsreise wird der Ausweis nach derzeitigem Stand nicht reichen. Denn die Pläne sehen vor, dass der Ausweis nur bis zu drei Monate gilt. Zu kurz, findet man nicht nur beim VdK. Auch Waltraud Joa hält das nicht für angemessen. Sie sitzt selbst im Rollstuhl und ist Behindertenbeauftragte der Stadt Marktoberdorf. "Ich halte es für wichtig, dass der Zeitraum länger ist." Schließlich dauerten die Prüfungen insgesamt immer sehr lange.

Dennoch findet Joa die Idee eines Europäischen Behindertenausweises gut. Auch wenn sie selbst zumindest in ihrem Bekanntenkreis niemanden kennt, der sich von einer Reise ins Ausland aufgrund einer Behinderung abhalten lässt. "Es gibt ja beispielsweise spezielle Reiseprogramme, an denen viele teilnehmen." Außerdem gebe es Länder, in denen das meiste reibungslos ablaufe. "Ich kenne es selbst aus Italien, da hat man im Grunde keine Probleme, wenn man seinen Ausweis vorzeigt."

Deutsche Behinderte haben mit ihrem Ausweis kaum Probleme in Europa

Diesen Eindruck hat auch VdK-Mitarbeiterin Czennia. "Deutsche Schwerbehinderte kommen mit ihrem Ausweis in Europa meist problemlos weiter." Andersrum sehe das aber nicht so aus. "Wenn beispielsweise Menschen aus Bulgarien ihre Formulare vorzeigen, interessiert das hier kaum jemanden." Von daher werde es für diese Menschen eine Erleichterung darstellen. Insgesamt sei der Plan für einen Europäischen Behindertenausweises aus Sicht des Verbandes ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber aufgrund der kurzen Dauer und zahlreicher Ausnahmeregeln kein "Riesenwurf".

Bis der europaweite Ausweis kommt, wird es wohl noch eine Weile dauern. Im Falle einer Zustimmung des Europäischen Parlaments im April müssen die Mitgliedsländer selbst noch ihre nationalen Rechtsvorschriften anpassen. Dafür haben sie zweieinhalb Jahre Zeit, für die Anwendung noch einmal dreieinhalb Jahre. 

 
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