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Debatte
Was soll, was kann, was muss das heute sein: Konservativ?
CDU-Chef Friedrich Merz polarisiert mit unbedachten Aussagen, derweil rechte Parteien sich im Aufschwung befinden. Höchste Zeit für eine Standortbestimmung – und einen Appell.
CDU-Chef Friedrich Merz.jpeg       -  CDU-Chef Friedrich Merz spricht auf dem Parteitag der CSU.
Foto: Peter Kneffel, dpa | CDU-Chef Friedrich Merz spricht auf dem Parteitag der CSU.
Christian Imminger
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:24 Uhr

Also sprach nicht etwa Friedrich Merz, sondern der Neffe des Fürsten zu Salina: „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss alles sich ändern.“

Es ist ein berühmtes Zitat, es stammt aus einem berühmten Roman und wird bis heute von allerlei politischen Richtungen in Anschlag gebracht, und doch ist der Satz aus Giuseppe Tomasi di Lampedusas „Der Leopard“, der in Zeiten großer Umbrüche, Garibaldis Revolution, dem Bedeutungsverlust des Adels spielt (heute würde man wahrscheinlich Disruption dazu sagen) und vielleicht eine gute Definition dessen ist, was „konservativ sein“ meint.

Konservatismus: Schon bei frühen Denkern ist das Verändern immer mitgedacht

Denn entgegen der lateinischen Wurzel, des „Bewahrens“ also, ist schon bei frühen Denkern des Konservatismus das Verändern, freilich behutsam, immer mitgedacht, umso mehr in erwähnten turbulenten Zeiten. Und ohne Zweifel haben wir diese Zeiten wieder, wenn sie denn je weg waren. Man muss es nicht aufzählen, man kann es auch gar nicht vollständig in dieser polykrisenhaften Gegenwart, aber ein paar Stichworte gleichwohl: Krieg, Klima, Kleber, Inflation, Abstiegsangst, Migration – und auch der Nachbar mäht seinen Rasen nicht regelmäßig (was nur heißen soll, dass früher als selbstverständlich erachtete, gesellschaftliche Verhaltens-Codices ebenfalls bröseln).

Die Herausforderungen, die Fragen sind jedenfalls große, und was aber ist die Antwort? Kein Zahnersatz für Asylbewerber. So sprach unlängst der Vorsitzende der größten Oppositionspartei im Bund, Friedrich Merz, Chef dessen, was vom deutschen Konservatismus übrig bleibt.

Dabei war er ja eigentlich mal und wenn auch erst im dritten Anlauf ein Versprechen: Nämlich die Partei, ja, die ganze politische Haltung der Union nach den Merkel-Jahren wieder auf einen halbwegs klaren Kurs zu bringen. Doch scheint sich dieser – trotz des derzeit in Arbeit befindlichen neuen Grundsatzprogramms – immer noch in einem mäandernden Abwehrkampf zu erschöpfen. Und so ist es kein Wunder, dass die frühere Kanzlerin ja nicht einmal in der ursprünglichen Fassung des türkis gefärbten Filmchens zum neuen Image der CDU vorkam – so, als gelte es da etwas zu bannen. Und der Verdacht drängt sich auf, dass da eher etwas ans sehr Persönliche rührt (der vor 20 Jahren von ihr ausgebootete Merz hatte immer noch kein Treffen mit Merkel), jedenfalls mehr als um eine Neubestimmung dessen, was eine konservative Partei heute ausmacht.

Auf Merkels nichtssagendes Regieren folgt die Phase der kompletten Orientierungslosigkeit

Nur stets dagegen zu sein, ist es allerdings nicht, und sei es selbst Angela Merkel, an deren Kanzlerschaft es gewiss einiges auszusetzen gibt. Zumal deren Interpretation von Konservatismus eher die Blaupause für all jene darstellt, die dieser politischen Strömung unterstellen, nur am reinen Machterhalt interessiert zu sein. Und in der Tat war es ja so, dass – bis auf die damalige Migrationskrise („Wir schaffen das“ und wenn nicht „Dann ist das nicht mehr mein Land“) – Merkel meist im Ungefähren blieb, im reinen Management der Gegenwart und mittels einer Art enthobenen präsidialen Politikstils suggerierte, Sorgen vom deutschen Volk fernzuhalten.

Gewählt wurde sie gleichwohl oder gerade deshalb viermal in Folge, nicht zuletzt durch ihr Konzept der „asymmetrischen Demobilisierung“, heißt, zugespitzt: dem Koalitionspartner (also zuvorderst der SPD) die Themen zu klauen und die Menschen damit von der Wahlurne fernzuhalten. Mutti wird’s schon richten, also zumindest allen irgendwie recht machen.

Das allerdings ist im Ergebnis, das wir alle heute ja sehen, das Gegenteil eines staatsbewussten, gemeinwohlorientierten Konservatismus. Der im Übrigen – bis auf wenige Ausnahmen – in der Weimarer Republik ja noch kläglich versagt hatte und nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Zusammenbruch Nazi-Deutschlands erst lernen musste, dass auch Demokratie eine bewahrenswerte, stets aufs Neue zu verteidigende, ja, vielleicht auch stets zu erneuernde Errungenschaft ist. Auf Merkels nichtssagendes Regieren – denn je weniger man sagt, desto weniger Diskurs und damit Unruhe, man könnte auch sagen: politische Auseinandersetzung gibt es – folgte dann aber allein schon mit Laschets Lachen und der verlorenen Wahl die Phase der kompletten Orientierungslosigkeit.

Bewirtschaften von Ängsten, ohne auf eine eigene Erzählung zu zielen

Und so scheint man jetzt, auch noch zwei Jahre nach dem Verlust des Kanzleramts, einfach gegen alles zu sein. Grüne, Gendern, Dings, es überwiegt jedenfalls das Mosern. Dabei ist es doch eigentlich der „Common Sense“, der einen aufrechten Konservativen ausmacht – also zum Beispiel eine am Gemeinwesen orientierte, tatsächlich wertebasierte, konstruktive Kritik (und da gäbe es bei der jetzigen Regierung ja wahrlich einige Ansatzpunkte) anstelle des Bewirtschaftens von Ängsten eine eigene, große Erzählung. Ängste, die damit nur auf das Konto der Radikalen einzahlen – man schaue sich in Europa um und was aus den einst stolzen konservativen Volksparteien geworden ist.

Dabei war, zumindest bei Edmund Burke, einem der Urväter des Konservatismus, nichts so verachtens- und bekämpfenswert wie der Radikalismus, ein Radikalismus, den man mit nichtssagenden Worten ebenso wie mit denen, die sich ihm angleichen, nur nährt. Und Gesellschaften weiter spalten, ein Vorhalt, den man freilich auch den Linken machen kann, stürzen sich diese doch auch in den ihnen angebotenen Kulturkampf ganz so, als lebten wir noch in Bismarcks Zeiten.

Oberstes Anliegen aller Demokraten muss sein, ebendiese zusammenzuhalten

Das oberste Anliegen aller Demokraten und gerade der Konservativen, die ja zu Recht und quasi schon seit Jahrhunderten Unbehagen haben an einer zu fragmentierten, zu individualistischen Gesellschaft, muss aber sein, ebendiese zusammenzuhalten. Und nicht etwa auf die Wartezeiten in Arztpraxen zu verweisen und dass das mit der Wärmepumpe ja ohnehin Quatsch sei und beim Rest müsse man halt mal schauen. Nochmals: Konstruktive Kritik, ein Ziel, eine Vorstellung, wohin dieses Land gehen könnte, wie wir in zwanzig Jahren „gut und gerne leben“ möchten, wäre durchaus wünschenswert. Und eine Frage dabei ist natürlich die ökologische, wobei man sich wundert, dass ausgerechnet die Parteichefs der Union sich mittlerweile so schwertun damit – also ein vormals unschuldige Bäume umarmender Söder, der heute davon aber nix mehr wissen will und wie Friedrich Merz recht undifferenziert auf die Grünen einhaut.

Man könnte sich stattdessen auf die ureigensten Wurzeln, die Schöpfung, berufen, die man in Bayern bei einer Halbe unter Kastanien ja sehr schön bewundern kann, vielleicht gar auch auf einen immer noch überkonfessionell verehrten Franz von Assisi. Und man muss dafür nicht einmal mit den Vögeln sprechen, sondern einfach endlich mal sagen, was sich ändern muss. Und zwar nicht rückwärts, sondern im besten Fall: Den Weg weisen in eine menschenwürdige Zukunft.

Oder, um mit dem Gottvater der Christsozialen, nämlich Franz Josef Strauß, zu sprechen: „Konservativ heißt, nicht nach hinten blicken, konservativ heißt, an der Spitze des Fortschritts marschieren.“ Wir brauchen ihn.

 
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