
Wer wissen will, wie es um die Deutschen und ihr Verhältnis zur Energiewende bestellt ist, kann Umfragen bemühen. Solche, die besagen, dass sich drei Viertel der Menschen schlecht über die Kosten einer neuen Heizung informiert fühlen. Oder dass vier Fünftel hinter der Energiewende stehen, die Verunsicherung aber immer größer wird, welche denn jetzt genau die beste Lösung im eigenen Heizungskeller ist. Oder dass mehr als zwei Drittel besorgt sind wegen der Höhe der Gas- und Strompreisrechnungen im Jahr 2024. Oder man fragt Stefan Wagner, 49, Brennstoffgroßhändler aus Wertingen.
Einen Großteil seines Geschäfts macht Wagner inzwischen zwar mit regenerativen Energien, mit Pellets und synthetischen Kraftstoffen. Mit der Zukunft, wenn man so will. Trotzdem macht das gute, alte Heizöl noch immer 40 Prozent aus. Ölheizungskunden sind zufriedene Kunden, meint Wagner. Weil die meisten kaum Probleme mit den unkomplizierten Anlagen hätten, weil sie zu dem Preis und der Zeit bestellen könnten, wie sie wollten. Nur in diesem Frühjahr und Sommer wussten viele von Wagners Kunden auf einmal nicht mehr weiter: Sollten sie jetzt gleich tanken, wo doch die Ölheizung bald verboten werden soll? Oder müssten sie wegen Habecks neuem Gesetz gleich die Heizung aus dem Keller reißen? Weil, so habe man ja gehört, nur noch Wärmepumpen erlaubt sein sollten.
In Dubai geht es um Theorie, in Wertingen um die Praxis
Viele hatten auf einmal genug vom Thema Klimawandel, es gebe doch auch noch andere Themen, hieß es. Wagner schnauft am Telefon hörbar auf. „Diese ganzen Falschinformationen, dieses Hin und Her, das hat die Leute einfach verunsichert. Und im Endeffekt war es ein Hemmschuh für neue Technologien und für den Klimaschutz.“
Es ist das tägliche Klein-Klein, an dem sich am Ende entscheiden wird, ob das, was irgendwo in der Welt mit großen Worten beschlossen wird, auch umgesetzt werden kann. Doch vielen war klar geworden: Klimaschutz heißt nicht länger, einmal in der Woche auf Fleisch zu verzichten – wer es mit dem Klimawandel ernst meint, der muss mitunter tief in die eigenen Gewohnheiten und den eigenen Geldbeutel eingreifen.
Wer also wissen will, warum es mit dem Klimaschutz nicht vorangehen will, der muss nach Nordschwaben schauen – und nicht nach Dubai. Fast 6000 Kilometer liegen dazwischen. Doch eigentlich sind es ganze Welten, ja regelrechte Galaxien, die die beiden Orte und das, wofür sie stehen, trennen. Überspitzt könnte man vielleicht sagen: In Wertingen geht es um die Niederungen der Realität – in den Emiraten um wolkige Theorie. Zusammengefasst auf 21 Seiten. Die Frage ist, was taugt dieses Papier?
Die Delegationen feiern sich auf der Klimakonferenz selbst
Am Ende erheben sie sich alle von ihren Plätzen, die Delegierten aus Afrika, die Vertreter aus Europa und Amerika, die Experten und die Lobbyisten aus den arabischen Ländern. Sie applaudieren sich selbst. Jemand klopft Versammlungsleiter Sultan Ahmed Al-Dschaber, der nicht nur Präsident dieses Klimagipfels ist, sondern auch Chef des staatlichen Ölkonzerns Adnoc, auf die Schulter. Die Vertreterin der Marshall-Inseln hält sich die Hand vor den Mund, Tränen steigen in ihre Augen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock legt ihr die Hand auf den Rücken. John Kerry, früher US-Außenminister und heute so etwas wie der Silberrücken unter den Klimaschützern, umarmt seine Mitstreiter mit ausladender Geste. Es ist Mittwochvormittag und auf dem Konferenzgelände Expo City, jenem künstlichen Biotop in der Wüstenmetropole, wollen sie gar nicht erst auch nur den Hauch eines Zweifels aufkommen lassen. „Ich habe versprochen, dass ich die Ärmel hochkrempeln werde“, sagt Al-Dschaber. Ein „historisches Paket“ habe man geschnürt, eines, das die Welt besser und sauberer mache. Die Versammlung wirkt regelrecht euphorisiert von der Idee, eine echte Wende eingeläutet zu haben. Berauscht und gerührt von sich selbst und der eigenen Fortschrittlichkeit. „Das ist ein Tag der großen Freude“, sagt Baerbock. „Diese Klimakonferenz besiegelt de facto das Ende des fossilen Zeitalters.“
Tatsächlich liest sich das, was nun im Abschlussdokument der COP steht, wie der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Wer wissen will, wie es um die Deutschen und ihr Verhältnis zur Energiewende bestellt ist, kann Umfragen bemühen. Solche, die besagen, dass sich drei Viertel der Menschen schlecht über die Kosten einer neuen Heizung informiert fühlen. Oder dass vier Fünftel hinter der Energiewende stehen. Die ganze Nacht hindurch hatten sie noch gerungen, um zumindest diesen Kompromiss aufnehmen zu können. Die Öl-Länder hatten sich mit aller Kraft dagegengestemmt, am Ende mussten sie sich geschlagen geben. Zumindest ein bisschen. Denn was dem Dokument fehlt, ist ein konkreter Plan, wie das Ziel erreicht werden kann. Von Übergang ist die Rede statt vom Ausstieg – wie so oft muss man, wenn die Anmutung gigantisch ist, auf einzelne Worte schauen: Das Wort „phase out“ (Ausstieg) sucht man in dem Dokument vergeblich. Auch an anderer Stelle wiederholt sich das Spiel: So sollen die erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 verdreifacht werden. Wie? Das ist offen.
Klimaexperte kritisiert die Beschlüsse der COP28
„Unsere Arbeit geht weiter“, sagt Sultan Al-Dschaber. Und womöglich ist selbst das die Untertreibung des Jahres. Experten jedenfalls lassen so einiges an Luft aus dem glitzernden Luftballon, den die COP in den Himmel steigen lässt. „Für mich ist das, was in Dubai passiert ist, fast ein Déjà-vu“, sagt Mojib Latif. Der 69-Jährige ist einer der bekanntesten und renommiertesten deutschen Klimaexperten und ist der Formel-Kompromisse, die bei solchen Treffen gefeiert werden, längst überdrüssig. „Nach jeder Konferenz heißt es wieder, sie sei historisch gewesen, und alle liegen sich in den Armen. Aber ich kann dieser Abschlusserklärung absolut nichts Konkretes entnehmen.“ Was die Welt eigentlich brauche, sei vermieden worden, nämlich ein klares Bekenntnis zum Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen verbunden mit einer Jahreszahl. „Die deutsche Delegation kann doch mit diesem Ergebnis nicht zufrieden sein“, sagt der Wissenschaftler. „Es wundert mich, dass man trotzdem immer wieder versucht, sich die Ergebnisse schönzufärben. Eigentlich hat man sich auf so gut wie gar nichts geeinigt.“
Latif hat schon einige Klimakonferenzen beobachtet, in Dubai wurde die 28. dieser Mammut-Sitzungen ausgetragen – zugleich erreichen die CO2-Emmissionen immer neue Rekorde. Dabei müssten die nicht nur ausgebremst werden, sondern sogar sinken. Und das sogar deutlich. Zu erwarten ist das zumindest aufgrund des COP-Beschlusses nicht: Die Internationale Energieagentur (IEA) hat ausgerechnet, dass selbst wenn alle Staaten die Zusagen in vollem Umfang einhalten würden, eine Minderung der Treibhausgasemissionen im Umfang von vier Gigatonnen erreicht werden könnte – das sind gerade einmal 30 Prozent dessen, was nötig wäre, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu halten.
„Immer diese Konjunktive, immer diese Aufforderungen“, sagt Latif. „Was man bräuchte, wäre ein klarer Fahrplan, das wäre ein echter Durchbruch.“ Die internationale Klimapolitik sei aber in Wirklichkeit praktisch zum Stillstand gekommen. Oder sie vertagt Probleme in die Zukunft: Im Abschlusstext der COP ist die Rede von der Speicherung und Abscheidung von CO2 – Technologien, die nicht nur umstritten sind, sondern auch noch in den Kinderschuhen stecken. „Wer darauf setzt, nimmt eine Hypothek auf die Zukunft auf“, sagt Latif. Das Gleiche gelte für die Atomkraft: Immer mehr Länder sehen die Kernenergie als maßgebliches Mittel, um klimaneutral zu werden. Doch was ist mit dem Atommüll? „Wir hoffen immer, dass uns da schon noch etwas einfallen wird – aber es ist uns in den vergangenen Jahrzehnten nichts eingefallen“, kritisiert der Experte. „Man versteckt sich hinter Schein-Lösungen. Das enttäuscht mich. Und noch mehr enttäuscht mich, dass man sich trotzdem feiert.“
Und Latif ist nicht der Einzige, der sich irgendwie betrogen vorkommt. Die Abschlussdokumente müssen traditionell einstimmig verabschiedet werden. Doch just in dem Moment, als Al-Dschaber den Hammer fallen ließ – so wie auf den Konferenzen üblich –, waren die besonders von der Klimakrise bedrohten Inselstaaten zu diesem Zeitpunkt gar nicht im Plenum: Eine Vertreterin Samoas, Anne Rasmussen, sagt, die Inselstaaten hätten sich noch koordinieren müssen. Sie äußert sich irritiert: „Wir können nicht auf unsere Inseln zurückkehren mit der Botschaft, dass dieser Prozess uns betrogen hat.“ Die nötige Kurskorrektur in der Klimapolitik sei nicht erreicht worden. Für Änderungen war es aber da schon zu spät.
Klimaexperte Mojib Latif: "Die Leute sind krisenmüde"
„Es ist eine besondere Zeit“, sagt Latif. „Die Leute sind krisenmüde, sie wollen keine weiteren Veränderungen mittragen, sie wollen nach Corona keine Einschränkungen mehr hinnehmen.“ Doch das sei politisch wie gesellschaftlich kurzsichtig. Die Waldbrände in Kanada, die tropischen Wirbelstürme, die Rekordtemperaturen hätten gezeigt, dass der Klimawandel unaufhörlich voranschreite. „Das kann man nicht negieren, auch wenn die Lage im Moment schwierig ist“, mahnt der Wissenschaftler. Und es gehe längst nicht nur um Klimaschutz, sondern auch um die Zukunftsfähigkeit der eigenen Wirtschaft. Die USA investieren Subventionen in Milliardenhöhe. Der „Inflation Reduction Act“ pusht vor allem Klima-Technologien, längst bauen auch deutsche Unternehmen ihre Standorte in den Vereinigten Staaten massiv aus. „Wir dürften nicht da auch noch den Anschluss verlieren“, sagt Latif. „Eine klimaneutrale Wirtschaft ist die Zukunft. Und wenn wir da nicht mitmachen, werden wir unseren Wohlstand verlieren.“
Leider reiße die Politik vieles, was sie auf den Weg bringen wolle, selbst wieder ein. Das schon von Öl-Händler Wagner verfluchte Heizungsgesetz ist für Latif so ein Beispiel oder aktuell der Umgang mit dem Klima- und Transformations-Fonds, der vom Bundesverfassungsgericht mit einem Deckel versehen wurde. „Und auf einmal heißt es wieder, die Grünen müssten auf ihre Klimaschutz-Projekte verzichten“, sagt Latif. „Das ist so entlarvend. Klimaschutz geht uns doch alle an.“
In Wertingen findet Brennstoffhändler Stefan Wagner, dass es endlich klarere Gesetze für den Klimaschutz brauche. Und dass der Weg auf lange Sicht wegführen müsse von fossilen Energieträgern „Die Zeit des Heizöls ist vorbei“, sagt der Heizölhändler. Die Ölheizung, prophezeit er aber, die werde bestehen bleiben. Nur werde sie dann mit synthetisch hergestellten Flüssigbrennstoffen betrieben, die etwa aus Abfallstoffen hergestellt werden. „2045 wird die Ölheizung klimaneutral sein“, sagt Wagner.
Die Gegenwart aber sieht weit weniger rosig aus. An diesem Mittwoch, an dem die Ampelregierung in Berlin endlich die Details ihrer Haushalteinigung vorstellt, wird klar, dass Heizen für alle deutlich teurer wird, die noch Öl oder Gas nutzen. Das liegt an einer höheren CO2-Abgabe, mit der die Koalition ihre Haushaltslücke schließen will.
Die Deutschen und ihr Verhältnis zum Klimaschutz, es wird jedenfalls nicht einfacher werden.