In Stuttgart trägt auch die CDU dieser Tage weiß-rot. Als am Freitagnachmittag die Spitze der Südwest-CDU und rund 800 Parteimitglieder in die Carl-Benz-Arena in Stuttgart Bad-Cannstatt zusammenkommen, um bei der fünften von bundesweit sechs regionalen Konferenzen das neue Grundsatzprogramm der CDU Deutschlands zu diskutieren, lugt aus manchem Rucksack ein Fanschal des VfB Stuttgart hervor. Auch der Landes- und Landtagsfraktionsvorsitzende Manuel Hagel, der später noch als „neuer und nächster Ministerpräsident in Baden-Württemberg“ ausgerufen wird, hat einen dabei. Denn direkt nach der Konferenz bestreitet gleich nebenan der VfB sein Heimspiel gegen den FC Union Berlin, und der VfB ist auf der Siegerstraße.
Da will die CDU auch hin. Im Bund bei den Wahlen 2025, in Baden-Württemberg bei den Landtagswahlen 2026. Vorher aber gilt es, in die Partei hineinzuhören und dann den Kurs festzuzurren, den das neue Grundsatzprogramm den Christdemokraten zumindest für die kommende Dekade vorgibt. Es ist das vierte der Partei nach 1978, 1994 und 2007, trägt den Titel „In Freiheit leben. Deutschland sicher in die Zukunft führen“ und soll im Mai beim CDU-Bundesparteitag verabschiedet werden.
Vor allem aber soll das Programm der Partei nach Jahren des schleichenden christdemokratischen Orientierungsverlustes wieder ein zeitgemäßes, auf die Zukunft gerichtetes programmatisches Rückgrat und ein klares Profil geben. „Wir wollen wieder CDU pur sein, das bedeutet, dass wir christlich-sozial, liberal, aber auch konservativ sind“, sagt Linnemann, der den Prozess zum neuen Grundsatzprogramm verantwortet. Und er meint: "Konservativ sein ist nichts Schlimmes. Wir müssen alle einsammeln, die konservativ, aber nicht rechtsradikal sind.“
CDU für einen "weltoffenen Patriotismus"
Zu den Positionen aus dem 70-Seiten-Papier gehören etwa ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, das Bekenntnis zum Leistungsprinzip und zur Selbstverantwortung, zur Schuldenbremse, zur Kernkraft als Option für die Energieversorgung, aber auch zu einem „weltoffenen Patriotismus“ und „zum Mut zur deutschen Leitkultur“, zu einem „gemeinsamen Bewusstsein von Heimat und Zugehörigkeit“. Die Konferenzen sind ein Stimmungstest für die Partei und den Vorsitzenden Merz, und die Stimmung in Stuttgart ist gut. Erst recht, seit die Südwest-CDU sich mit Hagel an der Landesspitze verjüngt und die Grünen in Umfragen wieder hinter sich lässt.
„Spannend ist vor allem auch, was nicht drinsteht im Programm oder nicht konkret formuliert wird“, sagt Christian Bäumler, Landesvorsitzender der CDU-Sozialausschüsse in Baden-Württemberg zum neuen Programm. Er meint etwa Pflege, Rente, Sozialreformen. In Stuttgart wird auch nicht debattiert, wie etwa die geplante Drittstaatenregelung im Asylrecht zum christlich-sozialen Menschenbild und dem Freiheitsbegriff der Partei passt. Bäumler hat für die Diskussionsrunde eine Frage angemeldet, kommt aber nicht zum Zug.
Merz rechnet mit der Ampelregierung ab
Die große Bühne und die Ovationen in Stuttgart gehören nicht Linnemann und dem Programmentwurf, sondern dem Parteivorsitzenden Friedrich Merz. Er spannt rhetorisch den ganz großen Bogen, von Adenauer und der Geschichte der CDU über die politische- und Wirtschaftslage in Deutschland hin zum Krieg in Europa und wieder zurück zum neuen Grundsatzprogramm im Jahr 2024.
Es ist quasi eine Regierungserklärung zu Wirtschafts-, Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik und eine Generalabrechnung mit der Ampelregierung, vor allem mit den Grünen und SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz. „Jede Sitzungswoche des Bundestags ist eine Gefährdung des Wirtschaftsstandortes Deutschland, weil jede Woche neue unsinnige Gesetze und Regelungen beschlossen werden, die die Wirtschaft ersticken“, sagt er. Ohne eine starke Wirtschaft und eine starke Industrie gebe es aber keinen sozialen Wohlstand, und ohne sozialen Wohlstand könne sich das Land auch keinen Klimaschutz leisten. Merz betont: "Wir leben in ungewissen, unsicheren und herausfordernden Zeiten, wir haben wieder Krieg in Europa. Früher hieß es: Wir wollen in Frieden und Freiheit leben. Aber heute ist die wichtigste Herausforderung Freiheit." Und er fügt hinzu: "Ich sag es salopp: Frieden gibt’s auf jedem Friedhof. Freiheit ist das Wichtigste. Erst wo es Freiheit gibt, kann es Frieden geben. Und Sicherheit.“ Dem Kanzler wirft Merz vor, die für die europäische Sicherheitsarchitektur so wichtige deutsch-französische Freundschaft zerstört zu haben: "Man ist in Europa entsetzt über unsere Ukraine-Politik, über unser Zögern und das schlechte Verhältnis zu Frankreich“, sagt Merz.
Bei der Ukraine-Konferenz vergangene Woche in Paris habe Scholz wortlos zwei Stunden lang mit verschränkten Armen neben dem französischen Staatschef Macron gesessen und sich anschließend wortlos verabschiedet.