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Berlin
Was bedeutet die Aufweichung des Klimaschutzgesetzes?
Die Ampel schwächt ein scharfes Instrument zur Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes. Warum das Aus der Sektorziele ausgerechnet auf die Grünen zurückgeht.
Autobahn.jpeg       -  Der Bereich Verkehr muss künftig nicht mehr unbedingt sein Sektorziel für den Klimaschutz einhalten.
Foto: Bernd Weißbrod, dpa | Der Bereich Verkehr muss künftig nicht mehr unbedingt sein Sektorziel für den Klimaschutz einhalten.
Christian Grimm
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:27 Uhr

Das Klimaschutzgesetz verpflichtet die zuständigen Ministerien, den CO2-Ausstoß im eigenen Bereich zu senken. Noch. Denn die Ampel-Koalition will das ändern und hat im Kabinett eine Überarbeitung des Gesetzes beschlossen. Wird das Regierungsbündnis sonst oft von CDU und CSU dafür kritisiert, es mit dem Kampf gegen die Erderwärmung mit der Brechstange zu übertreiben, wird ihr jetzt vorgeworfen, dem Klimaschutz schweren Schaden zuzufügen.

Was genau will die Ampel-Koalitionändern?

Das 2019 eingeführte Klimaschutzgesetz macht einzelnen Ministerien konkrete Vorgaben, wie viel Kohlendioxid jedes Jahr bis 2030 einzusparen ist. Diese Sektorziele gelten für die Bereiche Energieerzeugung, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft. So ist zum Beispiel das Wirtschaftsministerium für Energie und Industrie zuständig und das Bauministerium für die Gebäude. Verfehlt ein Haus das CO2-Ziel, muss es binnen drei Monaten mit einem Sofortprogramm gegensteuern. Die Ampel-Koalition hat jetzt beschlossen, diese Einzelzuständigkeit zugunsten einer Kollektivzuständigkeit zu ändern. Abgerechnet wird für alle Branchen gemeinsam durch die Bundesregierung. Ein Bereich kann also den Rückstand eines anderen ausgleichen. Die Novelle final beschließen muss der Bundestag, in dem SPD, Grüne und FDP die Mehrheit haben.

Warum wendet sich das Ampel-Bündnis von den Sektorzielen ab?

Dass es so kommt, stand bereits im Koalitionsvertrag. Damit hat es folgende Bewandtnis: In den auf die Bundestagswahl 2021 folgenden Koalitionsverhandlungen hatten die Grünen das Ziel, sich das Verkehrsministerium zu sichern und mit Toni Hofreiter zu besetzen. Während der Gespräche mit SPD und FDP dämmerte ihnen, dass es wegen des Zustands der Bahn und der Zunahme des Auto- und Lkw-Verkehrs extrem schwierig ist, den CO2-Ausstoß zu drücken. Schließlich gaben sie klein bei und überließen der FDP das Haus. Grünen-Anführer Robert Habeck erklärte jüngst, dass das Gesetz zwar auf dem Papier gut aussehe, aber für den Klimaschutz tatsächlich nicht viel bringe. "Keine Sau hat sich daran gehalten", polterte Habeck. Verkehrsminister Volker Wissing von den Liberalen hatte das Gesetz ignoriert und im Wissen der geplanten Novelle kein Sofortprogramm für seinen Sektor vorgelegt. 

Was spricht für, was spricht gegen Sektorziele?

Für die Sektorziele spricht, dass sie eine höhere Verbindlichkeit für die Senkung der CO2-Emissionen schaffen. "Wir haben diese jährliche Kontrolle bewusst eingeführt, damit die Einhaltung der Sektorziele laufend überprüft wird und bezogen auf die einzelnen Bereiche auch zielgenau reagiert werden kann", sagte die CSU-Umweltpolitikerin Anja Weisgerber unserer Redaktion. Das werde jetzt ausgehöhlt. "Das ist der selbst ernannten Klimaregierung nicht würdig", beklagte Weisgerber. Die Abgeordnete hat in der Großen Koalition intensiv für das Klimaschutzgesetz gearbeitet. 

Der Nachteil von Sektorzielen und Sofortprogrammen liegt in der Tendenz, teuren Aktionismus zu schaffen. Der Ausbau einer Bahnstrecke dauert Jahre, viele Häuser im Bestand sind für die Wärmepumpe ohne vorherige Dämmung nicht geeignet und Handwerker zum Einbau dieser neuen Heizungen gibt es zu wenige. Der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft stößt an finanzielle, personelle und planerische Grenzen. Förderprogramme kosten viel Geld, wenn sie gesamtgesellschaftlich etwas bringen sollen. Der Effekt für den Klimaschutz ist aber womöglich klein. 

Plant die Bundesregierung einen Ausgleich an anderer Stelle?

Ja, die Bundesregierung hat zeitgleich zur Aufweichung des Klimaschutzgesetzes ein Klimasofortprogramm beschlossen. Es fasst allerdings Maßnahmen zusammen, die bereits geplant oder im Werden sind. Dazu zählen beispielsweise der schnellere Ausbau von Windkraft und Photovoltaik, das 49-Euro-Ticket, Klimaschutzverträge für die Industrie und das umstrittene Heizungsgesetz. "Klar ist: Dieses Paket verlangt allen Koalitionspartnern etwas ab. Die Wirkungsabschätzung zeigt aber, dass es sich lohnt", schrieb Habeck an die Grünen-Fraktion. Die Abgeordneten seiner Partei mussten zuletzt mit dem entkernten Heizungsgesetz und dem EU-Asylkompromiss zwei Kröten schlucken. 

Was sagen die Umweltverbände?

13 Umweltverbände haben sich zusammengeschlossen und mit einem gemeinsamen Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) appelliert, die Schleifung der Sektorziele aufzuhalten. "Jeden Versuch, die jahresscharfen Sektorziele sowie das anknüpfende Monitoring infrage zu stellen, lehnen wir kategorisch ab", heißt es in dem Brandbrief. Die Umweltschützer bezweifeln, dass einzelne Bereiche so viel mehr Kohlendioxid einsparen können, um damit den Rückstand bei Verkehr und Gebäuden zu kompensieren.

Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit dem Aktivisten Ingo Blechschmidt über die Klimakrise und die "Letzten Generation" an:

 
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