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Rio de Janeiro
Wie Brasiliens Präsident Lula den Westen irritiert
Vom Westen als Heilsbringer erwartet, geht Brasiliens neuer Präsident nach seinem Comeback eigene Wege. Im Ukraine-Krieg liebäugelt Lula da Silva mit einer Vermittlerrolle.
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Foto: Lincon Zarbietti, dpa | Wahlsieger Luiz Inacio Lula da Silva weckte viele Hoffnungen, doch nach 100 Tagen herrscht eher Ernüchterung.
Tobias Käufer
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:27 Uhr

Auf dem handbemalten Plakat steht “Lula weg – Amtsenthebung jetzt”, dazu wehen ein paar brasilianische Fahnen im Wind. Es ist Sonntagnachmittag in Rio de Janeiro und eine Handvoll Kritiker des zurückgekehrten brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, 77, haben sich zu einer Kleindemo eingefunden.

„Man will uns die Meinungsfreiheit wegnehmen. Viele Menschen, die sich auf Instagram kritisch zur Regierung Lulaäußern, werden gesperrt. Dabei gibt es viele Dinge an der neuen Lula-Regierung, die vielen Leuten nicht gefallen. Selbst jenen nicht, die Lula gewählt haben“, sagt Lais Uchoa. Die 23-Jährige hat das Plakat gemalt und sieht Brasilien auf einem Weg in eine linke Diktatur. Wenige Meter weiter entfernt hat Cecilia Junqueira, 29, eine komplett andere Einschätzung: „Brasilien befindet sich bereits in einem Prozess der Veränderung. Hin zu einer neuen Realität für Minderheiten und für eine neue ökologische Politik. Auch wenn es noch ein langer Weg hin zu dem ist, was Brasilien wirklich braucht.“ 

Bestseller-Autor Paulo Coelho bereut, dass er Lula unterstützt hat

Zwei Meinungen, die unterschiedlicher nicht sein können, aber den Gemütszustand im größten lateinamerikanischen Land ganz gut abbilden. Brasiliens neuer linksgerichteter PräsidentLula da Silva, der schon einmal von 2003 bis 2010 regierte, hat seine ersten 100 Tage im Amt hinter sich und zumindest der brasilianische Bestsellerautor Paulo Coelho ist enttäuscht. Er bereute öffentlich seine Unterstützung im Wahlkampf: „Ich sehe nicht, dass sich meine Stimme gelohnt hat.“ Lulas vulgäre Sprache im Umgang mit dem ehemaligen RichterSergio Moro, der ihn einst ins Gefängnis brachte, hat selbst seine eigenen Anhänger verstört. Zwar war das Land diesen unwürdigen Umgangston vom rechtspopulistischen Vorgänger Jair Bolsonaro gewohnt. Doch von Lula hatte man mehr Stil erwartet. 

Innenpolitisch zählt dessen Entscheidung, die Rechte der afrobrasilianischen Bevölkerung beim Zugang zu Arbeitsplätzen in der öffentlichen Verwaltung zu stärken, zu den positivsten Momenten der ersten Monate. Außenpolitisch gibt es vor allem in Washington, Brüssel und Berlin enttäuschte Gesichter: So ließ Lula entgegen der Bitte der USA zwei iranische Kriegsschiffe in Rio de Janeiro anlegen, während das Mullah-Regime in der Heimat tödliche Jagd auf Mädchen und Frauenaktivistinnen macht. Im UN-Sicherheitsrat stimmte Brasilien gemeinsam mit China für eine von Russland eingebrachte Nordstream-Resolution. Auch beim sogenannten „Demokratie-Gipfel“ in den USA wollte Brasilien keine russlandkritische Erklärung unterschreiben. 

Beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Lula der Bitte um Munitionslieferungen mit dem Verweis auf seine neutrale Position eine klare Absage erteilt. Nun scheint sich Brasilien aber immer mehr den Positionen Chinas und Russlands anzunähern. 

Der brasilianische Politikwissenschaftler Roberto Goulart Menezes von der Universität Brasilia verweist auf die Enttäuschung Lulas, dass es im Westen keine Unterstützung für dessen Idee eines „Friedensklubs“ zur Beendigung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gegeben habe. Brasiliens Votum signalisiere den Wunsch nach mehr Autonomie von den USA. Russland und China könnten sich Lula sehr wohl als Vermittler vorstellen.

Lula reist mit einer großen Delegation nach China

Die Lula-Reise nach China, zu der er an diesem Dienstag aufbrach, ist ein Spektakel an sich. Es sollen mehr als zwei Dutzend Kabinettsmitglieder sowie 200 Unternehmer für mehrere Tage ins Reich der Mitte reisen. In Lulas Zukunftsstrategie hat China, der größte und wichtigste Abnehmer der wegen ihrer Klimabilanz umstrittenen brasilianischen Agrar-Produkte, eine Schlüsselrolle inne. Der Präsident weiß: Anders als die kritische Europäische Union stellt Peking keine Fragen und macht auch keine Vorschriften.

Lula waren die Herzen der internationalen Staatengemeinschaft zugeflogen, vor allem weil er eine Null-Abholzungsstrategie im für das globale Klima so wichtigen Ökosystem Amazonas versprach. Doch nun wachsen Zweifel. Zwar gibt es spektakuläre Bilder von der Zerstörung von Equipment der Holzfäller und Goldsucher im Amazonas. Doch die werden nur vertrieben und dürften ihr lukratives und todbringendes Geschäft in Kürze an anderer Stelle fortführen. Im Februar stieg die Amazonas-Abholzungsrate überraschend an.

Das klingt nicht nach einem radikalen Kurswechsel in der Umweltpolitik. Doch Lula hat neben anderen Instrumenten die Möglichkeit eines präsidentiellen Vetos, das es ihm ermöglicht umstrittene Projekte zu stoppen. Damit könnte er ein Zeichen setzen, dass der Rest der Welt vielleicht doch zu Recht so große Hoffnungen ihn in gesetzt hat.

 
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