Schon die Ankunft von Annalena Baerbock in der georgischen Hauptstadt Tiflis verläuft brenzlig. Der Regierungs-Airbus mit der grünen Bundesaußenministerin an Bord musste die Landung abbrechen und durchstarten – ein anderes Flugzeug hatte es nicht rechtzeitig von der Bahn geschafft.
Beim zweiten Versuch klappte es dann, doch in der Kaukasusrepublik traf Baerbock auf eine gefährliche Gemengelage. Im Land brodelt es, die Bevölkerung ist hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, in EU und Nato aufgenommen zu werden, und der großen Furcht vor dem übermächtigen Nachbarn Russland.
Kaum verheilte Wunde des russischen Angriffs
Der Krieg in der Ukraine hat Wunden aufgerissen, die kaum verheilt sind: 2008 waren russische Truppen einmarschiert, bis heute kontrolliert Moskau die abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien. Dort sind schwer bewaffnete Truppen stationiert, teils nur 40 Kilometer von der georgischen Hauptstadt Tiflis entfernt. Jederzeit, fürchten viele Georgier, könnten die Russen wieder angreifen– und ihr nur rund vier Millionen Einwohner zählendes Land hätte ihnen wenig entgegenzusetzen. Gleichzeitig sorgen sich große Teile der Bevölkerung um einen zunehmenden Einfluss Moskaus auf die georgische Politik.
Vor diesem Hintergrund versuchte die deutsche Außenministerin, das Land in seinem West-Kurs zu bestärken. Baerbock sagte Georgien die volle deutsche Unterstützung im EU-Beitrittsprozess zu und warb für weitere Reformen: "Die Tür zum EU-Kandidatenstatus ist weit geöffnet. Jetzt gilt es, die verbleibenden zwölf Schritte zu gehen."
Zuvor hatte die Grünen-Politikerin ihren Kollegen Ilia Dartschiaschwili in der Hauptstadt Tiflis getroffen. Baerbock lobte die georgische Zustimmung zu den UN-Resolutionen zur Verurteilung des russischen Angriffs gegen die Ukraine.
Zur Enttäuschung vieler Georgier hatte die EU im vergangenen Sommer ihrem Land eine Beitrittsperspektive nur unter der Bedingung in Aussicht gestellt, eine Reihe von Reformen durchzuführen. Dagegen erhielten die Ukraine und Moldawien einen direkten Kandidatenstatus. Unter anderem drängt die EU auf eine Reform der Justiz, einen stärkeren Kampf gegen die Korruption und eine Begrenzung der Macht der reichen Oligarchen in der Politik.
Auch mehr Medienfreiheit wird angemahnt, doch auf diesem Pfad drohte zuletzt ein massiver Rückschlag. Die regierende Partei "Georgischer Traum" wollte mit einem sogenannten "Agenten-Gesetz" Medien und Nichtregierungsorganisationen, die Geld aus dem Ausland beziehen, zwingen, sich als "ausländische Agenten" registrieren zu lassen. Für die Opposition ähnelte der Entwurf auffallend jenen Gesetzen, mit denen Russland Journalisten und Kritiker verfolgt.
Die Regierung verteidigte den Plan zunächst, er diene der Transparenz. Die Öffentlichkeit solle erfahren, wer extremistische Organisationen finanziere. Vorbild sei nicht das russische Gesetz, sondern vielmehr ein gegen Hitler-Propaganda gerichteter US-Erlass von 1938. Doch nach mehrtägigen Massenprotesten gab sie den Plan auf.
Baerbock sagte in Tiflis, für den Beitrittsprozess zur Europäischen Union seien Rechtsstaatlichkeit, demokratische Standards und Medienfreiheit essenziell. Sie begrüßte die Rücknahme des Agentengesetzes, nun müsse die Regierung "die Polarisierung überwinden, Vertrauen wiederfinden und die anstehenden Reformschritte mit aller Entschiedenheit gehen". Bei den europäischen Werten könne es keine Abkürzungen geben. Ihr Amtskollege Dartschiaschwili betonte, es sei "unerschütterlicher Wille des georgischen Volkes", in die EU einzutreten. Seine Regierung arbeite mit Nachdruck an der Erfüllung der vorgegebenen Bedingungen.
Ex-Präsident: "Von russischen Agenten vergiftet"
Wie tief die Gräben sind, die durch die georgische Politik verlaufen, zeigte sich indes auch am Tag des Baerbock-Besuchs. Ex-Präsident Micheil Saakaschwili, der sich in Haft befindet, machte das russische Regime von Wladimir Putin für seinen katastrophalen Gesundheitszustand verantwortlich. Dem Nachrichtenportal Politico sagte er, er glaube, er sei "von russischen Agenten vergiftet" worden. Massive Vorwürfe erhebt er auch gegen die eigene Regierung: Die herrschende Partei "Georgischer Traum" um ihren Gründer, den Oligarchen Bidzina Iwanischwili, werde in Wirklichkeit von Russland gesteuert. Ziel des großen Nachbarn sei es, Georgien zu "kapern".