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Stuttgart
Günther Oettinger ist der Strippenzieher vom Neckar
Was macht eigentlich Günther Oettinger? Der frühere CDU-Ministerpräsident Baden-Württembergs scheint nicht nur in Stuttgart omnipräsent.
385993699.jpeg       -  Günther Oettinger war Ministerpräsident und EU-Kommissar. Ein politischer Kopf ist er noch heute.
Foto: dpa | Günther Oettinger war Ministerpräsident und EU-Kommissar. Ein politischer Kopf ist er noch heute.
Ulrike Bäuerlein
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:45 Uhr

"Ich bin kein Strippenzieher", sagt Günther Oettinger mit ernster Miene. Um nach ein paar Sekunden das Gesicht kurz zu seinem markanten Oettinger-Grinsen zu verziehen. Blanke Ironie, versteht sich. Denn der CDU-Politiker Günther H. Oettinger, 69, das typische Stakkato-Schwäbisch unverändert breit, das Drahthaar eisgrau, der Gang energisch und der Blick durchdringend wie je, zieht an unzähligen Strippenenden. Die Netze seiner Seilschaften sind unübersichtlich und reichen weit, in Wirtschaft und Politik, in Medien und Gesellschaft, nach Baden-Württemberg und ganz Europa und natürlich nach wie vor in die CDU hinein. Erst recht seit seinem Ausscheiden aus der EU-Kommission im Herbst 2019.

Schon direkt nach dem Abschied aus Brüssel ließ sich Oettinger 2019 über ein Dutzend Tätigkeiten von der Kommission genehmigen. Aufsichtsräte, Beratungstätigkeiten, Präsidentenämter. Einiges vergütet, einiges im Ehrenamt. Manches davon lässt aufhorchen – etwa seine Aufsichtsratstätigkeit für den badischen Tunnelbohrmaschinen-Weltkonzern Herrenknecht, dessen Maschinen sich durch das Erdreich tief unter der Landeshauptstadt für das MilliardenprojektStuttgart 21 gefressen haben. Es war Oettinger, der 2009 als Ministerpräsident die Finanzierungsvereinbarung für das Projekt unterschrieben hatte. Neulich war er auf der Bahnhofsbaustelle. "Gigantisch", sagt er, "fantastische Architektur. Das wird für Stuttgart, was die Elbphilharmonie für Hamburg ist." Zur Kostenexplosion, zu den Wutbürgern und dem Protest der Stadtgesellschaft sagt er nichts. Denn zu den derzeit dazu laufenden Gerichtsverfahren zur offenen Frage, woher die zusätzlichen Milliarden kommen sollen, muss er wohl als Zeuge aussagen.

Oettinger berät mit seiner Lebensgefährtin Politiker

Oettingers Politik- und Wirtschaftsberatungsfirma "Oettinger Consulting Wirtschafts- und Politikberatung", die er seit 2022 mit seiner Lebensgefährtin Friederike Beyer führt, sitzt in Hamburg; 60 Prozent seiner Zeit investiere er dafür, sagt er. Derzeit ist er etwa beratend in das Milliardenprojekt einer Stromleitung zwischen Zypern und Athen involviert. Daneben fungiert Oettinger als Präsident der privaten hessischen EBS Universität für Wirtschaft und Recht, er ist Präsident des proeuropäischen Vereins United Europe, in dessen Vorstand auch CDU-Chef Friedrich Merz sitzt, er ist Vortragsredner und berät europaweit Unternehmen, um mit der Politik Projekte aufzugleisen. Wo man ihn am häufigsten antrifft? "Unterwegs", sagt Oettinger. Ein paar Tage hier, ein paar Tage dort, oft in Stuttgart und München oder auch im Münsterland, wo seine Partnerin Friederike Pferde hält. 

In Stuttgart schaut er gern bei diversen alten Stammtischen vorbei, spielt Skat, taucht beim Porsche-Tennisturnier auf, übernachtet zuweilen in der Studentenbude seines Sohnes in Tübingen auf dem Sofa. Mit Nach-Nachfolger Winfried Kretschmann tauscht sich der CDU-Politiker gelegentlich beim Essen aus. Man schätzt sich. Als Ministerpräsident liebäugelte Oettinger schon 2006 im Südwesten mit einer schwarz-grünen Koalition, damals für viele in eigenen Reihen noch undenkbar. Kretschmann wäre sein Vize geworden, man war sich fast einig – bis Stefan Mappus, der damalige CDU-Fraktionschef, dazwischen grätschte. Bald darauf war Oettinger Kommissar in Brüssel, Mappus als Kurzzeit-Ministerpräsident mitsamt der CDU-Mehrheit im Land Geschichte. 

Oettinger: "Ich sehe überall Stillstand"

Während des Gesprächs mit ihm wird der 69-Jährige alle paar Minuten gegrüßt und angesprochen. Er freut sich. "Die Leute sind immer freundlich zu mir, das ist anders als früher, da gab es Zustimmung, aber auch Ablehnung", stellt er fest. Dabei hält er auch heute nicht mit seiner Kritik hinter dem Berg. "Verschlafen, träge und satt" sei etwa die baden-württembergische Landeshauptstadt geworden, verpasse die Zukunft, bescheinigte er erst im April bei einer Talkrunde seinem Parteifreund und Stuttgarter OB Frank Nopper. Oettinger vermisse Ideen, Dynamik und Entwicklung, die Stuttgart endlich in eine Liga mit Hamburg oder München bringen sollen, sagt er. "Ich sehe überall Stillstand. Unser Wohlstand lässt sich so nicht sichern." Der Stadt, sagt Oettinger, drohe die Zweitklassigkeit. Ganz wie dem VfB Stuttgart, seinem Herzensklub. Auch an dessen Führung lässt das langjährige Vereinsmitglied Oettinger kaum ein gutes Haar. Ob man ihn denn nicht schon gefragt hat, den Laden zu übernehmen? "Doch, es wurden schon Fühler ausgestreckt", sagt Oettinger. Aber das passt derzeit nicht in sein Leben. Oettinger spielt in seiner eigenen Liga.

 
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