Dramatischer kann man es kaum formulieren: Das Fachblatt Auto Motor und Sport wirft zur derzeit stattfindenden Fahrzeugmesse„AutoShanghai“ die Frage auf: „Wird China die deutsche Autoindustrie ruinieren?“ Vorausgegangen war die Nachricht, dass der chinesische Auto-Konzern BYD dank seiner E-Autos die rund 40 Jahre währende Dominanz des VW-Konzerns in dem asiatischen Riesenreich gebrochen und an den Deutschen vorbei auf den ersten Absatz-Platz gefahren ist. Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer hält den Wachwechsel „für eine Zeitenwende“, wie er unserer Redaktion sagt. Für ihn hat „Deutschland die Elektromobilität lange nicht richtig ernst genommen“. Mit der Messe in Shanghai merke man, wie rasch sich die Welt geändert hat. Dudenhöffer forderte deutsche Hersteller auf, „jetzt eine schnelle Aufholjagd zu starten“.
Fest steht, dass der chinesische Markt für Elektroautos schneller wächst als gedacht. Dort wurden im vergangenen Jahr rund vier gegenüber noch 2,4 Millionen Stromern in 2021 abgesetzt. Unter den zehn am meisten verkauften Elektroautos in China befindet sich kein deutsches Modell. Nur der US-Hersteller Tesla, der schon wieder die Preise um tausende Euro gesenkt hat, ist in der chinesischen Top-Ten-Liste vertreten. Dudenhöffer traut nun chinesischen Anbietern wie BYD oder Geely zu, mit bezahlbaren und digital voll vernetzten Elektroautos in Deutschland erfolgreich zu sein: „Das sind die Toyotas von morgen.“ Um sich der chinesischen Konkurrenz und auch dem Rivalen Tesla zu erwehren, müssten VW& Co. lernen, schneller und damit preisgünstiger Elektroautos zu bauen. In der Effizienzdisziplin setzt vor allem Tesla Maßstäbe.
Deutsche Autobauer stehen sich selbst im Weg
Dagegen stehen sich deutsche Hersteller wie VW für Jürgen Pieper, Auto-Analyst des Bankhauses Metzler, oft selbst im Weg. Seiner Ansicht nach „passt die deutsche Gründlichkeit nicht mehr zur neuen Welt der E-Mobilität“. Die Kundschaft interessiere sich inzwischen nicht so sehr dafür, wie groß die Spaltmaße eines Autos sind. Pieper ist überzeugt: „Die Käuferinnen und Käufer wollen moderne, frische E-Autos mit Aha-Effekt.“ Aus Sicht chinesischer Konsumenten mangelt es deutschen im Gegensatz zu Elektroautos aus heimischer Produktion an Aha-Effekten. Immer wieder wird die mangelnde digitale Vernetzung gerade der VW-Stromer kritisiert.
Chinesische Autokäufer wollen einen Aha-Effekt
Asiatische Kunden haben zum Teil andere Bedürfnisse als deutsche. So fragt mancher nach, ob das Autoüber eine Karaoke-Funktion verfüge. Da in China vor allem junge Menschen Elektrowagen kaufen, sind ihnen deutsche oft zu teuer und entsprechen nicht ihren Vorstellungen des Autos als großes rollendes Smartphone-Unterhaltungs-Vehikel. Für Dudenhöffer ist es offen, ob VW die Aufholjagd in China glückt: „In fünf Jahren wissen wir mehr.“ Für ihn wirkt es jedenfalls deutlich zu hoch gegriffen, dass China die deutsche Autoindustrie ruiniere. Davon ist auch Professor Stefan Reindl, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen, überzeugt. Er glaubt sogar, heimische Premiumhersteller wie Mercedes-Benz, Audi und Porsche könnten mit ihrer Luxus-Strategie weiter in China gutes Geld verdienen. Volkswagen habe aber ein Problem, sei das Unternehmen doch weder ein Massen- noch ein Premiumhersteller, also weder Fisch noch Fleisch. Reindl glaubt: „Da wird es für VW schwer, in China preislich mitzuhalten.“ Auf dem dortigen Markt tobt bereits ein heftiger Preiskampf.