zurück
Berlin
Wenn der atomare Schutzschirm zugeklappt wird
Der Ex-US-Präsident Trump löst eine große Debatte über die nukleare Sicherheit in Deutschland und Europa aus. Experten erklären, welche Alternativen es gibt.
US-Präsident Trump.jpeg       -  Ex-Präsident Donald Trump schütz sich mit einem Regenschirm vor einem Schauer. In Deutschland wird debattiert, was nötig ist, wenn der nukleare Schutzschirm der USA nicht mehr da ist.
Foto: Manuel Balce Ceneta, dpa (Archivbild) | Ex-Präsident Donald Trump schütz sich mit einem Regenschirm vor einem Schauer. In Deutschland wird debattiert, was nötig ist, wenn der nukleare Schutzschirm der USA nicht mehr da ist.
Simon Kaminski
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:08 Uhr

Die Diskussion entwickelt sich fast so rasant wie eine nukleare Kettenreaktion. Braucht Europa einen eigenen atomaren Schutzschirm? Braucht Europa einen eigenen atomaren Schutzschirm, falls dem früheren US-Präsidenten Donald Trump das Comeback geling? Braucht gar Deutschland eine eigene Atomstreitmacht? Das würde an seit Jahrzehnten sakrosankten Grundpfeilern deutscher Sicherheitspolitik rütteln. Auslöser der Debatte war einer, der sich auf das Durchrütteln versteht: Trump hatte gedroht, dass er als Präsident Nato-Mitglieder, die nicht genug Geld für Ihre Verteidigung ausgeben, in Zukunft nicht vor russischen Angriffen schützen würde. Damit stellte er den ehernen Nato-Grundsatz in Frage, dass alle Mitglieder militärisch zur Stelle sind, wenn ein Partner angegriffen wird. 

Etwas überraschend hatte die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, auf die Ankündigung Trumps mit sehr weitgehenden Überlegungen reagiert. Nachdem sie im Tagesspiegel konstatiert hatte, dass Trumps Äußerungen Anlass zu ernsten Zweifeln daran gäben, ob das atomare Schutzversprechen der USA in Zukunft noch Bestand hat, fügte sie auf die Frage, ob Europa ein eigenes Atomwaffenarsenal brauche, hinzu: "Auf dem Weg zu einer europäischen Armee kann also auch das ein Thema werden."

Sicherheitspolitiker ließen kein gutes Haar an Barleys Vorstoß

Sicherheitspolitiker ließen kein gutes Haar an Barleys Vorstoß. Verteidigungsminister Boris Pistorius – wie Barley Mitglied der SPD – sagte dem Fernsehsender Welt: "Ich kann nur davor warnen, mit dieser Leichtfertigkeit eine solche Diskussion vom Zaun zu brechen, nur weil Donald Trump, der noch nicht mal Präsidentschaftskandidat ist, solche Äußerungen macht." In diese Richtung ging auch die Kritik der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Agnes Strack-Zimmermann. Die FDP-Politikerin warf Barley vor, dass sie von den Fragen, die sich daraus ergeben würden, "überhaupt keine Vorstellung" habe. "Das bedeutet nämlich nicht, man stellt mal zehn Atombomben an die eine Grenze oder an die andere, sondern das ist letztlich ein gewachsenes, ausgefeiltes System, in dem eben ganz Europa geschützt werden muss", sagte Strack-Zimmermann.

In der Kritik stand am Mittwoch insbesondere, dass Barley eine Lösung auf Basis der Europäischen Union ins Spiel brachte. Auch der Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik, Markus Kaim, hält das Konzept EU-Atomstreitkräfte für nicht überzeugend. Es stelle sich die Frage, wer in der EU die Verfügungsgewalt über den Einsatz der Atomwaffen hätte. Schließlich gebe es ja bis heute keine gemeinsame Verteidigungspolitik, sagte Kaim im Deutschlandfunk. Dann müsse man eigentlich darauf warten, bis es die "Vereinigte Staaten von Europa" gebe. Das sei eine doch sehr langfristige Perspektive.

Könnte Deutschland ein eigenes Atomwaffenarsenal aufbauen?

Könnte Deutschland in Eigenregie ein Atomwaffenarsenal aufbauen? Dagegen spricht nicht nur die zu erwartende Ablehnung weiter Teile der Bevölkerung, die schon Verteidigungsminister Franz Josef Strauß Anfang der 1960er-Jahre bei seinem gescheiterten Versuch, seinen Landsleuten die Bombe schmackhaft zu machen, zu spüren bekam. Die Bundesrepublik hat den Verzicht auf nukleare Bewaffnung auch in Verträgen festgeschrieben: Einmal verbrieft durch die Ratifizierung des internationalen nuklearen Nichtverbreitungsvertrags im Jahr 1975, dann bekräftigt durch den Verzicht auf Atomwaffen in dem 1990 in Moskau unterzeichneten Zwei-plus-vier-Vertrag zur Wiedervereinigung. Zudem wären die meisten Nachbarstaaten von Deutschland als eigenständige Atommacht alles andere als begeistert.

Oliver Thränert vom Center for Security Policy in Zürich blickt zuerst nach Frankreich, wenn es darum geht, was zu tun ist, wenn ein gewählter Präsident Trump den Schirm tatsächlich zuklappen würde. Frankreich stellt seine eigenen Waffen seit vielen Jahren zusammen mit den USA und Großbritannien für die Abschreckung der Nato zur Verfügung. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat jedoch den Gedanken, seine "Force de Frappe" – der Atomstreitmacht der französischen Streitkräfte – auf europäische Partnerstaaten auszuweiten, längst konkretisiert und mehrfach Deutschland zu Gesprächen darüber eingeladen. Die Reaktion aus Berlin fiel jeweils äußerst zurückhaltend aus. "Wir sollten auf Macron zugehen", sagte Thränert, ebenfalls im Deutschlandfunk und liegt damit auf der gleichen Wellenlänge wie Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeinen Zeitung für eine deutsch-französische Kooperation warb. Thränert warnt gleichzeitig, dass das Projekt, den Schutz durch die USA auf diese Weise zumindest in Teilen zu ersetzen, eine militärstrategisch, strukturell und politisch gewaltige Herausforderung wäre. 

Im Vergleich zu Russland ist Frankreich ein atomarer Zwerg

Thränert verweist darauf, dass das atomare Arsenal des Nachbarlandes nicht nur zahlenmäßig sehr viel kleiner ist als das russische. Es würden zudem im Gegensatz zu Russland waffentechnisch verschiedene flexible Optionen fehlen, die nötig wären, um Moskau nachhaltig abzuschrecken. Dies schrittweise zu verändern, sei sehr aufwendig und teuer.

Doch selbst wenn französischer Schutz für Deutschland denkbar sein würde, bliebe die Frage offen, ob Paris auch in der Lage und Willens wäre, ein Schutzversprechen beispielsweise für die baltischen Staaten zu geben. Nicht zuletzt aus diesem Aspekt heraus regt Thränert an, Großbritannien mit seiner nuklearen U-Boot-Flotte in Überlegungen über Europas Verteidigungsfähigkeit einzubeziehen. 

Deutschland erfüllt Zwei-Prozent-Ziel

Gewiss ist, dass Europa bei einem nuklearen Rückzug Washingtons sich lange Zeit mit Zwischenlösungen zufriedengeben müsste, die weit unter dem aktuellen Schutzstandard liegen. Thränert fordert, dass sich Politik und Fachleute möglichst bald und intensiv mit Fragen der nuklearen Abschreckung in der Zukunft befassen sollten – allerdings weniger in der Öffentlichkeit. 

Bei aller Aufregung über die Drohungen Trumps ging fast unter, dass immer mehr Nato-Mitglieder in puncto Verteidigungsbereitschaft offensichtlich den Schalter umlegen wollen: 18 von 31 Staaten, die in dem Verteidigungsbündnis assoziiert sind, erfüllen nun das Zwei-Prozent-Ziel – erstmals seit vielen Jahren auch Deutschland. (mit dpa)

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Atombomben
Atommächte
Boris Pistorius
Deutsche Presseagentur
Deutscher Bundestag
Deutschlandfunk
Donald Trump
Emmanuel Macron
Europäische Union
FDP
Franz-Josef Strauß
Französisches Militär
Katarina Barley
Nato
Präsidenten der USA
SPD
Verteidigungsausschuss
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen