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Berlin
Israels Botschafter beklagt Verharmlosung des linken Antisemitismus
Kurz vor dem 75. Geburtstag des israelischen Staates wird Ron Prosor deutlich. Einer der Vorwürfe: Deutsche Behörden würden linken Antisemitismus kleinreden.
1.-Mai-Demonstrationen - Berlin       -  Bei der 'Revolutionären 1. Mai-Demonstration' in Berlin kam es zu antisemitischen Vorfällen. Für den israelischen Botschafter Ron Prosor war das wenig überraschend.
Foto: Lukas Dubro, dpa | Bei der "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" in Berlin kam es zu antisemitischen Vorfällen. Für den israelischen Botschafter Ron Prosor war das wenig überraschend.
Jonas Klimm
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:07 Uhr

Der israelische Botschafter Ron Prosor hat Deutschlands Umgang mit dem wachsenden Antisemitismus heftig kritisiert. Er beklagte den "blinden Fleck" vieler deutscher Behörden, wenn es um Antisemitismus gehe. Gerade der Judenhass aus linken oder muslimischen Kreisen werde unterschätzt. Antisemitische Vorfälle wie zuletzt auf der "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" in Berlin seien leider zur Normalität geworden.

Prosor war am Donnerstagabend mit mehreren Personenschützern ins Berliner Hotel Albrechtshof gekommen. Dort hielt er eine Laudatio auf den deutsch-jüdischen Historiker Michael Wolffsohn, der anlässlich des 75. Jahrestags der israelischen Staatsgründung sein Buch "Ewige Schuld?" neu aufgelegt hat. Prosors Abrechnung dürfte auch mit den jüngsten Ereignissen am Tag der Arbeit zusammenhängen. Am Montag hatten Mitglieder der Gruppe Samidoun, die Teil der gewaltbereiten Volksfront zur Befreiung Palästinas sind, antisemitische Parolen durch Berlins Straßen gegrölt. Die Polizei zeichnete die Vorgänge auf, nun ermittelt der Staatsschutz. Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art. Immer wieder war es in den vergangenen Jahren zu offen ausgetragenem Antisemitismus auf Deutschlands Straßen gekommen. Häufig ginge es dabei nur vordergründig um Kritik an der Politik des israelischen Staates im Umgang mit Palästina, sagte Prosor. Vielmehr steckten antisemitische Botschaften dahinter, die langsam in die Gesellschaft einsickerten. Unterstützung fänden diese Menschen bei vermeintlich linksliberalen Intellektuellen, die die gefährlichen Aussagen weitertrügen.

Israels Botschafter warnt vor Antisemitismus aus linken Kreisen

Mit dem Antisemitismus aus linken Kreisen sei es wie mit dem berühmten Frosch im Kochtopf, so Prosor. Zunächst sei das Kochwasser angenehm lau, die allmähliche Erhitzung nehme der Frosch aber viel zu spät wahr. "Es wird langsam gefährlich, bis es dann zu spät ist", sagte Prosor. Bei rechtem Antisemitismus, der weiterhin eine große Gefahr sei, sei die Bedrohung hingegen sofort erkennbar. "Der Frosch wird in heißes Wasser geworfen und muss sofort wieder raus, um zu überleben", sagte Prosor.

Unterstützung für seine Aussagen bekam Prosor vom deutsch-israelischen Psychologen Ahmad Mansour. Mansour, selbst Muslim, engagiert sich seit vielen Jahren gegen Antisemitismus. Mit zahlreichen Projekten versucht er gerade in islamischen Kreisen den Antisemitismus einzudämmen. "In Berlin verbünden sich Linksradikale mit Intellektuellen und muslimischen Antisemiten und viele Politiker wollen die Dimension dieser Gefahr nicht sehen", sagte Mansour.

Straftaten gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Ein Großteil der Delikte wurde laut Polizeistatistik von Rechtsextremisten begangen. Gut 84 Prozent der rund 3000 antisemitischen Straftaten im Jahr 2021 sind demnach auf Menschen aus dem rechtsextremen Milieu zurückzuführen. Gleichzeitig verorteten bei einer Umfrage 2018 mehr als 40 Prozent der befragten Jüdinnen und Juden in Deutschland ihre persönlichen Diskriminierungserfahrungen bei Menschen mit extrem-islamischen Ansichten.

Michael Wolffsohn: Muslimische Extremisten wurden ermutigt

Der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn zeichnet ein beklemmendes Bild der aktuellen Lage. In der Neuauflage seines Buches "Ewige Schuld?", die er mit dem Untertitel "75 Jahre deutsch-jüdisch-israelische Beziehungen" versehen hat, nimmt Wolffsohn eine pessimistischere Sicht auf die deutsch-israelischen Beziehungen ein, als in der ersten Auflage aus dem Jahr 1988. Wolffsohn diagnostiziert eine mental weiche Demokratie, die vor rechten, linken und islamistischen Drohungen zurückweicht. Extremisten seien ermutigt worden, besonders die muslimischen. Die Folge für Wolffsohn: "Bei Otto Normalverbraucher gelten alle Muslime als potenzielle Terroristen." Um dem entgegenzuwirken und weil es in der Wählerschaft deutlich mehr Muslime als Juden gebe, distanziere sich die Politik von Israel und den Juden.

Für Israels Botschafter Prosor ist Wolffsohn einer der wenigen, der den Antisemitismus von allen Seiten klar durchschaue. Prosor selbst nutzte noch die Gelegenheit für einen Seitenhieb gegen die "sogenannten Experten, die lange betont haben, wie überholt Staatsgrenzen sind". Der Krieg in der Ukraine zeige deutlich, welche Bedeutung Staatsgrenzen und das Territorium eines Landes nach wie vor hätten. "Der Ukraine-Krieg lässt die Sorgen Israels um den Verlust der eigenen Existenz nachvollziehen", sagte Prosor.

 
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