Die Meldung ging am Freitagmittag über alle Kanäle – Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Sender in Europa, Asien und Amerika griffen sie auf. Sebastian Kurz, ehemaliger österreichischer Bundeskanzler und gefallener Shootingstar der Konservativen, muss sich ab dem 18. Oktober erstmals vor Gericht verantworten.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die, wie berichtet, in einem riesigen Verfahrenskomplex rund um Korruptionsvorwürfe gegen Kurz, einige seiner engsten Mitarbeiter, ÖVP-Politiker und weitere Personen ermittelt, wirft dem Ex-Kanzler eine mögliche Falschaussage vor dem Parlament vor. Beantragt haben die Ermittler laut der über hundert Seiten langen Anklageschrift, die unserer Redaktion vorliegt, die Ladung von nicht weniger als 21 Zeugen.
Unter ihnen sind auch Ex-FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Kurz‘ ehemaliger Intimus Thomas Schmid, dessen Mobiltelefon mit zigtausenden Chatnachrichten für die Staatsanwälte wesentliche Ermittlungsergebnisse geliefert hatte. Ebenfalls angeklagt wegen möglicher Falschaussage: Bernhard Bonelli, Kurz‘ ehemaliger Kabinettschef, sowie die ehemalige Generaldirektorin der Casinos Austria und Stellvertreterin von Kurz, Bettina Glatz-Kremsner.
Anklage gegen Sebastian Kurz: Ermittlungen seit 2021
Worum geht es genau? Vorweg: Die nun erhobene Anklage gegen Kurz ist nur ein erster Aufschlag in der vielschichtigen ÖVP-Korruptionsaffäre. Weiterhin wird gegen Kurz und viele weitere Beschuldigte ermittelt, gegen Kurz unter anderem wegen Untreue und Bestechlichkeit. Im Zentrum der vorliegenden Anklage steht die Bestellung von Thomas Schmid zum Alleinvorstand der ÖBAG, der Österreichischen Beteiligungs AG, in der quasi das Familiensilber der Republik Österreich gesammelt ist – genauer gesagt die Frage, ob, und wenn ja, inwieweit Kurz in die Bestellung seines ehemaligen Vertrauten involviert war. Nur informiert sei er gewesen, behauptete Kurz vor dem parlamentarischen ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss.
Die Staatsanwaltschaft will Kurz eine Falschaussage nachweisen – und führt in der Anklageschrift zahlreiche Beweismittel wie Chatnachrichten oder auch Sideletter, in der die Posten-Deals zwischen Kurz‘ Truppe und dem damaligen Juniorpartner, der FPÖ Straches, vermerkt worden waren. Schmid, zuvor Generalsekretär im ÖVP-geführten Finanzministerium, galt mit anderen Kurz-Vertrauten als Drehscheibe in der weitverzweigten Korruptionsaffäre. Den Job in der ÖBAG soll er seit Langem für sich auserkoren haben. „Kriegst eh alles, was du willst“ – das inzwischen sprichwörtliche SMS von Kurz an Schmid ist ebenfalls Teil der Beweisführung der Staatsanwaltschaft. Kurz selbst sei schon lange vor den ersten Medienberichten über die Postenbesetzungen an Schmid „herangetreten“ und habe ihm auch mitgeteilt, dass er die Rolle Schmids in der Leitung der neu zu strukturierenden ÖBAG sehe, schreiben die Ermittler in der Anklageschrift.
Falschaussagen vor dem Parlament? Kurz will Vorwürfe widerlegen
Auch Glatz-Kremsner soll vor dem Parlament und zudem bei einer staatsanwaltlichen Vernehmung falsch ausgesagt haben. „Unterstützung gerne und aus Überzeugung“ hatte Glatz-Kremsner in einer Casinos-Postenbesetzungs-Causa an Strache geschrieben, vor dem Parlament habe sie dann behauptet, nie mit Strache über die Angelegenheit geredet zu haben. Kurz-Intimus Bonelli stellte vor dem Parlament in Abrede, von Kurz‘ Involvierung in die Schmid-Bestellung gewusst zu haben.
Er freue sich, dass er nun endlich die Chance bekomme, die Vorwürfe der WKStA als unrichtig widerlegen zu können, schrieb Kurz am Freitag bei Twitter. Im Falle einer Verurteilung drohen Kurz, Bonelli und Glatz-Kremsner bis zu drei Jahre Haft. Für alle drei gilt die Unschuldsvermutung.